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Muslimische Kinder bei einem Fest in Mannheim
© Ronald Wittek/dpa

Statistiken in der Kritik: Die Muslim-Macher

Wieviele Muslime leben wirklich in Deutschland? Es gibt die unterschiedlichsten Zahlen dazu - die Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus hat sie sich angesehen.

Zwischen 3,8 und 4,3 Millionen Muslime leben in Deutschland – das stellte vor vier Jahren das  Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) 2009 fest. Das wären mehr oder weniger fünf Prozent der gesamten Bevölkerung. Oder sind es nur 1,9 Prozent, wie die Volkszähler 2011 im bundesweiten Zensus feststellten? Oder jene 2,8 bis 3,2 Millionen, die die rot-grüne Bundesregierung 1999 – die erste offizielle Schätzung überhaupt in Deutschland - präsentierte, als die Unionsfraktion im Bundestag sie danach fragte? Sieben Jahre und zwei Regierungen später war dann von 3,1 bis 3,4 Millionen Muslimen in Deutschland die Rede. 

Die tatsächliche Zahl dürfte sich über diese vierzehn Jahre hinweg kaum sehr geändert haben. Dass die Ziffern so deutlich abweichen, hat mit der Zählweise zu tun. Und die wiederum, so hat es die aus Berlin stammende Erlanger Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus kürzlich festgestellt („Wer ist Muslim und wenn ja, wie viele? Muslime in der Statistik“) spiegelt mehr das Weltbild der Statistiker oder ihrer Auftraggeber als die Realität: Die beiden älteren regierungsamtlichen Zahlen zum Beispiel entstammten einer „kulturalistischen“ Sicht darauf, wer als muslimisch gilt, schreibt Spielhaus in ihrer Analyse für den „Mediendienst Integration“. Sie bildeten ab, wer selbst oder wessen Familie aus einem muslimisch geprägten Land stammte. So konnten einerseits auch arabische Christen, Atheisten oder frühere Muslime in die Zahlenreihen geraten – dagegen nie Muslime aus Familien, die seit Generationen deutsch sind.   

In den neueren Statistiken wurde das korrigiert; sowohl die Bamf-Zählung wie auch der Zensus 2011 berücksichtigten, ob die Befragten sich selbst als Muslime definierten. Aber auch diese neueren Zahlen haben es in sich: Die Bamf-Statistik blieb beim Prinzip „aus muslimischen Ländern stammend“. Und dass etwa der Zensus das Bekenntnis zu einer der muslimischen Strömungen verlangte, sunnitisch, schiitisch oder alevitisch, dürfte das Ergebnis deutlich gedrückt haben. Wer sich in diesen Schubladen nicht wohlfühlte oder sie gar nicht kannte, fiel aus der Zählung. Zudem verweigerten bei dieser ersten großflächigen Befragung – erfasst wurde ein Drittel der Gesamtbevölkerung - 17,4 Prozent aller Befragten die Aussage zu ihrer Religionszugehörigkeit. Die Statistiker selbst sehen deshalb ihre Arbeit als wenig aussagekräftig an und wollen die Daten in den nächsten Jahren mit andern gegenschneiden. 

Eine etablierte Zahl gibt es dennoch: Jene 3,8 bis 4,3 Millionen Muslime, die das Bamf vor vier Jahren im Auftrag der Deutschen Islam-Konferenz herausfilterte, hat sich inzwischen allgemein durchgesetzt. Das liegt aber, wie Spielhaus argumentiert, nicht an der einzigartigen Qualität der Nürnberger Zahlen, denen sie gleichwohl handwerkliche Solidität bescheinigt. Sie seien einfach „alternativlos“; es gebe noch nichts Verlässlicheres. Andererseits aber passten die Kriterien der Erhebung gut zum westeuropäischen „allgemeinen Empfinden“, wie und wer Muslime seien: Migranten nämlich und, unabhängig von ihren anderen Prägungen, eine geschlossene Gemeinschaft. Einen weiteren Grund könnte man ergänzen: Die Bamf-Zahl ist auch die größte von allen bisher erhobenen und an einer möglichst großen Zahl statistischer Muslime haben viele Beteiligte ein Interesse: Die muslimischen Verbände, die ihre Bedeutung daraus ableiten, ebenso wie Rechtsextreme und Populisten - Spielhaus' Analyse erwähnt das -, die damit Überfremdungsängste und Drohszenarien unterfüttern. Berlins Ex-Senator Thilo Sarrazin etwa rechnete die Zahl der Muslime hierzulande auf "fünf bis sechs Millionen" hoch. Aber auch Länder und Kommunen brauchen Daten, um den Bedarf an Religionsunterricht, Kita- und Friedhofsplätzen abzuschätzen. 

Wie also raus aus dem Zahlensalat? Spielhaus plädiert dafür, künftige, realistischere Statistiken mit einem Muslim-Begriff starten zu lassen, der sich auf Religiosität beschränkt und „muslimisch“ nicht zum Ersatz für „migrantisch“ macht. Das wäre auch im Sinne von Staat und Verbänden, könnte aber zu Überraschungen führen: Eine „wesentliche Erkenntnis“ der anerkannten Bamf-Studie war, schreibt Spielhaus, dass starke Teile der aus muslimischen Ländern stammenden Menschen angaben, gar keine Muslime zu sein. Als Muslime definierten sich die Hälfte der Iraner, nur 37 Prozent der Südosteuropäer, 64 Prozent der Einwanderer aus dem Nahen Osten und 88 Prozent der Türkeistämmigen. Und von denen, die sich als Muslime bezeichneten, nannten sich gar 14 Prozent wenig oder gar nicht gläubig. Dabei könnte, vermutet sie, eine Rolle spielen, dass gerade Angehörige religiöser Minderheiten oder politisch Oppositionelle eher auswandern (müssen). Ob bessere Statistiken dann mehr oder weniger Muslime in Deutschland zutage fördern, bleibt abzuwarten: Aus dem, was bisher bekannt ist, sagte Autorin Spielhaus dem Tagesspiegel, „ist kein Trend zu erkennen“.

Andrea Dernbach

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