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Brandenburgs Ministerpräsident, Dietmar Woidke (SPD).
© Ralf Hirschberger/pa/dpa

Brandenburg: Die Methode Woidke

Brandenburgs Ministerpräsident regiert pragmatisch, bodenständig, ohne großes Netzwerk. Sein wichtigstes Projekt ist eine Verwaltungsreform. Reicht das aus?

Er will es durchziehen. Vergangene Woche trat Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) entschlossen vor die Presse, als sein rot-rotes Kabinett nach monatelanger Hängepartie die konkreten Gesetzentwürfe zur Kreisgebietsreform verabschiedete. Ab 2019 soll die Verwaltung in der Mark umgekrempelt werden. Aus 18 Kreisen werden zwölf. Das ist Woidkes Plan. Er begründet ihn vor allem mit sinkenden Einwohnerzahlen.

Das Vorhaben ist riskant. Gebietsreformen sind selten beliebt. Man kann damit vor Verfassungsgerichten scheitern wie jetzt in Thüringen. Oder am Unmut der Bevölkerung. Eine von der CDU-Opposition geführte Volksinitiative hat in wenigen Wochen 130.000 Unterschriften gegen Woidkes Projekt gesammelt, ein Rekord. Zwei Drittel der Brandenburger, auch die meisten SPD-Anhänger, lehnen die Gebietsreform ab, bei der Cottbus, Frankfurt (Oder) und Brandenburg ihren Status als kreisfreie Städte verlieren würden.

Der Regierungschef aber will es notfalls sogar auf einen Volksentscheid ankommen lassen, auf einen Showdown vor der Landtagswahl 2019. "Ich habe davor keine Angst", sagt er. Dieser 1,96 Meter große Hüne, dessen politisches Schicksal von der Reform abhängt, hat die Ruhe weg. Aber ist sein Machtgefüge stabil genug? Mit welchem System regiert der Mann überhaupt, der 2013 den erkrankten Matthias Platzeck beerbte? Wer berät ihn? Und wie?

"Er schwimmt ziemlich allein"

Wer sich hinter den Kulissen im Regierungs- und Politikbetrieb umhört, stößt auf einen überraschenden Befund. "Er schwimmt ziemlich allein", heißt es. Oder, wie ein Staatssekretär sagt, der unter allen Regierungschefs diente: "Er hat kein Netzwerk." Jedenfalls kein klassisches, kein festes, kein breit verästeltes. Es gibt keine Zirkel, keine Rotweinrunden wie unter Platzeck, auch keinen Strippenzieher, keine graue Eminenz. Woidke kann auch nicht auf langjährige Vertraute bauen, die mit ihm aufgestiegen wären. Er regiert weitgehend in den regulären Strukturen und Abläufen, mit loyalen Ministern, einer, bisher jedenfalls, auf Geschlossenheit gepolten Partei und einer im Profil schwachen Fraktion.

Gewiss, da sind die Genossen des engeren Zirkels. Generalsekretärin Klara Geywitz gehört dazu, auch Mike Bischoff, der seit dem Tod von Klaus Ness der Landtagsfraktion vorsteht, freilich ohne die Lücke wirklich füllen zu können.

Auch die Führung in der Staatskanzlei, die Woidke im vergangenen Sommer nach Querelen reorganisierte, ist neu. Der Ministerpräsident trennte sich damals auch von Rudolf Zeeb, der lange als sein einziger Vertrauter galt. Ein Grund sollen Differenzen beim Thema Kreisreform gewesen sein.

Seitdem lenkt Thomas Kralinski die Regierungszentrale, Politikwissenschaftler, 45 Jahre, zuvor lange Zeit Geschäftsführer der Fraktion. Ein politischer Kopf, Typ Mediator, als Machttechniker noch in der Erprobungsphase. Außerdem machte Woidke den ministeriumserfahrenen Medienprofi Florian Engels zum Regierungssprecher.

Er hat das Sagen. Darauf achtet er, immer

Der Kreis, in dem im Regierungsalltag vieles zusammenläuft, ist überschaubar. Jeden Morgen erörtert Woidke mit Geywitz, Kralinski, Engels und Bischoff in einer Telefonkonferenz die aktuelle Lage. Bevor dienstags die Fraktion tagt, sitzt der Ministerpräsident mit den SPD-Ministern zusammen. Eine Stunde. Aber, sagt einer, der die Interna gut kennt: "Er hört sich alles an. Aber das heißt noch lange nicht, dass er dann macht, was ihm empfohlen wird."

Es ist das berühmte Wechselspiel von Nähe und Distanz, auf dem Macht beruht. Woidke entscheidet, er hat das Sagen. Darauf achtet er, immer. Um sich ein Urteil zu bilden, nimmt er sich Zeit, lässt sich nicht drängen. Spontane Entschlüsse, etwa aus Aufgeregtheiten des Tages, kennt man von ihm nicht. Er sei auch "kein Aktenfresser", heißt es.

Woidke setzt aufs Gespräch, am liebsten direkt. "Da sind 40 Minuten angesetzt: Zehn Minuten geht es um das eigentliche Thema, den Rest nutzt er, um Einschätzungen zu anderen Fragen zu hören, die ihn bewegen. Ein Gegencheck", sagt ein Staatssekretär. "Er verlässt sich nicht auf Einflüsterungen aus der Staatskanzlei, der Minister, des Apparates", bestätigt Wolfgang Krüger, Hauptgeschäftsführer der IHK in Cottbus und früher CDU-Wirtschaftsstaatssekretär. "Er ist nicht beratungsresistent. Er ist fleischgewordene Pragmatik. Den SPD-Landesvorsitzenden habe ich nie getroffen."

Manchmal ruft er einfach an, holt Meinungen ein, etwa von Ulrich Freese, dem Bundestagsabgeordneten und Gewerkschafter aus der Lausitz, bei der nüchternen Infrastrukturministerin Kathrin Schneider oder bei Innen-Staatssekretärin und Vize-Parteichefin Katrin Lange. Auch Albrecht Gerber, der Wirtschaftsminister und frühere Staatskanzleichef, gehört inzwischen zu den Ratgebern. Oder Peter Danckert, der für die SPD im Bundestag saß. Viele sind es nicht.

Die Linken machen ihm kaum Ärger

Vielleicht braucht Woidke weniger Rat als andere, weil er über mehr Erfahrung verfügt. Seit 1994 sitzt er im Landtag, war Chef der Fraktion, Agrar- und Innenminister. In mehr als zwei Jahrzehnten in der Brandenburger Politik hat er ein Detailwissen angesammelt, aus dem er schöpfen kann. Das helfe ihm, den Ministern Leine zu lassen, aber sie trotzdem "unter Beobachtung zu halten", heißt es.

Die Linken machen ihm kaum Ärger. Er kann sich auf Absprachen mit Christian Görke verlassen, seinen Vize, den Linken-Chef und Finanzminister. Umgekehrt gilt das auch. Krach gibt es, öffentlich, in der Koalition selten. Intern schon. So sind die Linken genervt, "Reparaturbrigade" spielen zu müssen, weil das Getriebe der SPD nicht rundläuft, sich Pannen häufen. Und das, obwohl der Koalitionsausschuss präventiv relativ häufig tagt, alle zwei Monate, mal beim Italiener im "Il Theatro", mal in der Villa von Haacke, mal im "Inselhotel" in Potsdam.

Das Berliner Parkett? Interessiert Woidke nur mäßig. Er ist Polen-Beauftragter der Bundesregierung, ja, aber das wars. SPD-Parteivorstand? Er fährt hin. Auf Bundesebene meldet er sich selten und meist nur dann zu Wort, wenn es um Brandenburger Interessen geht, etwa um Energie oder Ostrenten. Das Verhältnis zu Frank-Walter Steinmeier gilt als gut, das zu Ex-Parteichef Siegmar Gabriel als abgekühlt, seit man im Streit über Braunkohle und Klimaschutz aneinandergeriet. In der Riege der Länderchefs kann er mit Stephan Weil, dem Niedersachsen, mit dem Hamburger Olaf Scholz und, geschäftsmäßig, mit dem Berliner Michael Müller. "Mir liegen eher die Unkomplizierten, die Pragmatischen", sagte Woidke mal.

Mit Stanislaw Tillich telefoniert er fast jede Woche

Besonders eng ist der Draht zu Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU), Lausitzer wie Woidke. Beide telefonieren nahezu wöchentlich, machen gemeinsam Politik. Kürzlich tagten ihre Kabinette gemeinsam in Großräschen. Danach forderte das Duo ein Milliardenprogramm des Bundes, um die Lausitz rechtzeitig auf die Zeit nach der Braunkohle vorzubereiten. Später, beim Spaziergang am gefluteten Tagebau, fielen sie ins vertraute Du. Tillich lobte Woidke: "Man weiß bei ihm, woran man ist." Und fügte, nur halb im Scherz, hinzu: "Hätten Brandenburg und Sachsen den neuen Flughafen gebaut, wäre der schon fertig." Woidke gefiel das.

Der 55-Jährige gibt sich nicht nur bodenständig, er ist es auch. Mittags taucht er, anders als einst Platzeck, oft in der Regierungskantine auf. Forst, wo er weiterhin mit seiner Familie lebt, ist ihm näher als Potsdam. Präsenz im Land, da hält er es wie seine Vorgänger, ist erste Landesvaterpflicht. Er findet leicht Zugang zu den "kleinen Leuten", weil er ihre Sprache spricht. Und er traut dem, was er draußen aufnimmt, mehr als allen Umfragen oder dem Potsdamer Betrieb. Noch immer ist kein anderer Brandenburger Politiker so bekannt und beliebt wie er. In der letzten Brandenburg-Umfrage vom Januar 2017 lag die SPD immer noch mit 30 Prozent vorn, trotz Kreisreform. Das kann jetzt allerdings schon anders sein. Bei der Sonntagsfrage zur Bundestagswahl zog die Union vorbei.

Dass Woidkes Methode an Grenzen stößt, liegt vor allem an strategischen Defiziten. "Es fehlt am Gestaltungsanspruch, an einer Agenda, wo Woidke über eine Gebietsreform hinaus mit Brandenburg hin will", sagt ein gestandener Verantwortlicher aus der SPD-Kommunalriege. Und ein Landrat, ebenfalls Genosse, urteilt: "Ich habe den Eindruck, dass er sich als Ministerpräsident genügt." Für seine Reform mag das reichen. Vielleicht.

Der Text erschien in der "Agenda" vom 20. Juni 2017 - einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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