Schulen sollen geschlossen bleiben: Die Maßnahmen der Lockdown-Verlängerung im Überblick
Angela Merkel wollte auf dem Corona-Gipfel härtere Lockdown-Maßnahmen. Dann wurde stundenlang diskutiert - und es wurde persönlich. Die Beschlüsse im Detail.
Diese Pandemie zehrt auch an den Nerven der Politiker, im Kanzleramt und in den Staatskanzleien wurde beim Corona-Gipfel am Dienstagabend bis nach 22 Uhr hart gerungen. Nach über acht Stunden Debatte wirkte auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sichtlich erschöpft.
Sie bekam weniger als sie wollte, aber klar ist: Deutschland wird noch einmal länger und in einen verschärften Corona-Lockdown bis mindestens 14. Februar geschickt. Der Hauptgrund: Die Sorge vor der hochansteckenden Virusmutation B117.
Da eine zunehmende Coronamüdigkeit zu konstatieren ist, geht Kanzlerin Angela Merkel einen seltenen Schritt: An diesem Donnerstag wird sie in der Bundespressekonferenz die Lage und was jetzt auf die Bürger zukommt, erklären.
Ein Überblick über die beschlossenen Maßnahmen:
Der bisher bis 31. Januar befristete Lockdown wird mit weiteren Anpassungen, um zwei Wochen bis 14. Februar verlängert. (Hier der Beschluss im Wortlaut)
Ausgangssperren kommen nicht wie erst diskutiert bundesweit, es bleibt im Ermessen der Bundesländer, in einzelnen Regionen mit hohen Infektionszahlen solche Maßnahmen zu ergreifen.
Schulen und Kitas bleiben bis zum 14. Februar geschlossen. Schulen sollen "grundsätzlich" zu bleiben beziehungsweise die Präsenzpflicht bleibt ausgesetzt, heißt es in dem Beschluss, Merkel forderte eine "restriktive Umsetzung". Aber: Es wird weiter für Kitas eine Notfallbetreuung sichergestellt und Distanzlernen angeboten. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) sprach von schwierigen Entscheidungen. "Das bedeutet, dass es jetzt insgesamt acht Wochen sind, die wir aus dem normalen Präsenzunterricht aussteigen."
Des Weiteren hat die Runde eine Verschärfung der Maskenpflicht beschlossen. Es soll eine Pflicht zum Tragen "medizinischer Masken" im ÖPNV und in Geschäften geben – also FFP2- oder die günstigeren OP-Masken.
[Mehr zum Thema: Schutzwirkung, Preis, Zertifizierung – wie man gute FFP-2-Masken erkennt und was sie kosten]
Hintergrund dafür, dass keine reine FFP2-Pflicht kommt, sind auch Sorgen vor Engpässen und den höheren Kosten für die Bürger. OP-Masken etwa schützen die Träger aber unzureichend gegen Aerosole; die Luft entweicht über Lücken zudem ungefiltert, weil sie nicht so dicht anliegen wie die FFP2-Masken, die auch alle Regierungschefs tragen.
Im Verkehr soll eine höhere Frequenz bei Bussen und Bahnen helfen, die Zahl der Passagiere in den Verkehrsmitteln im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit um ein Drittel zu reduzieren.
Arbeitgeber müssen mehr Homeoffice ermöglichen
Arbeitgeber müssen ihren Beschäftigten das Arbeit im Homeoffice dort ermöglichen, wo es die Tätigkeiten zulassen. Das Arbeiten von zu Hause aus soll per Verordnung bis mindestens 15. März ermöglicht werden. Bisher war es bei Appellen der Regierung an die Unternehmen geblieben.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) plant dafür eine Verordnung, die Arbeitgeber verpflichtet, Bürobeschäftigten und ähnlichen Heimarbeit anzubieten, wenn am Ort der Betriebsstätte der Inzidenzwert von 50 Infektionen pro 100.000 Einwohnern binnen sieben Tagen überschritten wird. Ist das nicht möglich, müssen Arbeitgeber das begründen.
[Mehr zum Thema: Alle aktuellen Corona-Inzidenzen für alle Landkreise finden Sie hier.]
Zudem müssen Arbeitgeber ihren Angestellten, sollten die noch ins Büro oder die Fabrik kommen müssen, medizinische Masken zur Verfügung stellen - und es soll mehr Schnelltests für Angestellte geben. Sind Abstände nicht einzuhalten und kann eine ausreichende Lüftung nicht sichergestellt werden, sollen Arbeitnehmer in Fabriken und Betrieben FFP2-Masken tragen. Auch die Arbeitszeiten sollen entzerrt werden. Hier ist aber nicht von einer Verpflichtung, sondern nur von einer Aufforderung die Rede.
An den geltenden Kontaktbeschränkungen soll sich nichts ändern. Es gilt wie bisher: Private Zusammenkünfte sind weiterhin im Kreis der Angehörigen des eigenen Hausstandes und mit einer weiteren nicht im Haushalt lebenden Person gestattet. "Dabei trägt es erheblich zur Reduzierung des Infektionsrisikos bei, wenn die Zahl der Haushalte, aus der die weiteren Personen kommen, möglichst konstant und möglichst klein gehalten wird („social bubble“)", heißt es im Beschlusspapier.
Gottesdienste in Kirchen, Synagogen und Moscheen sowie die Zusammenkünfte anderer Glaubensgemeinschaften sind weiter nur mit Abstand, dem Tragen einer medizinischen Maske auch am Platz und ohne Gemeindegesang erlaubt. Neu: "Zusammenkünfte mit mehr als 10 Teilnehmenden sind beim zuständigen Ordnungsamt spätestens zwei Werktage zuvor anzuzeigen, sofern keine generellen Absprachen mit den entsprechenden Behörden getroffen wurden".
Merkel: Wichtig, dass wir schnell auf die 50 kommen
Merkel betonte nach den Beratungen: "Wichtig ist doch, dass wir schnell auf die 50 kommen, damit wir über Öffnungen reden können." Wenn man die Mutation sehr früh eindämme, hält Merkel es durchaus für möglich, dass die für Lockerungen gesetzte Zielmarke von 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner in sieben Tagen bis Mitte Februar erreichbar sein könnte.
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Ab dem Wert, so argumentiert Merkel, können Gesundheitsämter wieder Kontakte und Infektionsketten nachverfolgen und die Ausbreitung entsprechend kontrolliert eindämmen. Ob auch erst dann wieder Schulen und Kitas öffnen dürfen, ist noch offen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) betonte: "Niemand macht es sich leicht." Aber jetzt zu früh zu öffnen, führe zu "Jojo"-Effekten. "Wir dürfen jetzt nicht abbrechen."
Ein Blick hinter die Kulissen
Die Stimmung war in der Schalte zeitweise sehr angespannt, berichteten Teilnehmer dem Tagesspiegel. Immer wieder hakte es, vor allem bei der für Millionen Eltern und Kinder so wichtigen Frage, wann Schulen und Kitas wieder öffnen. Nach mehreren Stunden Diskussion wurde die Schalte kurzzeitig wegen des Streitthemas Schulen und Kitas unterbrochen.
Ein Beispiel für die gereizte Stimmung ist vor allem ein Disput zwischen Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) und Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Merkel habe Druck gemacht, dass noch weniger Kinder in Kita und Schule gehen, sonst dauere es noch länger mit den anderen Einschränkungen durch zu hohe Infektionszahlen, dann könnten als ein Beispiel im April die Friseure immer noch nicht aufmachen, hieß es von SPD-Seite.
Als dann später die Union zunächst bremste bei zu strengen Homeoffice-Regelungen, habe Schwesig gesagt, dass es nicht gehe, Kinder immer weiter einzuschränken und für Inzidenzen verantwortlich zu machen, aber in der Arbeitswelt solle alles praktisch bleiben wie es ist. Daraufhin konterte Merkel angefasst: "Ich lasse mir nicht anhängen, dass ich Kinder quäle".
Schwesigs Versöhnungsangebot
Immerhin: Schwesig sagte später Richtung Merkel - zur Auflockerung der Stimmung - es werde Zeit, dass die Gaststätten irgendwann wieder aufmachen können "und wir mal zur Entspannung wieder einen Wein trinken".
In einem von der SPD-Seite nicht akzeptierten Passus der Beschlussvorlage des Kanzleramts hieß es zunächst mit Blick auf das weitere Verfahren, dass erst "ab dem Unterschreiten einer 7-Tage-Inzidenz von 50" Kindertagesstätten wieder öffnen sollen, erst ab dann sei zudem "Wechselunterricht unter Einhaltung von Abstandsregeln in den Grundschulen vorzusehen und in weiterführenden Jahrgängen weiterhin Distanzunterricht zu planen".
Das war den meisten Ländern viel zu hart, viele Schulkinder stehen schon jetzt vor einem verlorenen Jahr. Daher wurde der Passus gestrichen.
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Bundeswehr soll bei Schnelltests helfen
Auch die Situation in den Alten- und Pflegeheimen war beim Gipfel ein Thema. Zuletzt sank zwar die Inzidenz unter sehr alten Menschen, aber nicht so stark wie in anderen Altersgruppen. Das Personal in Alten- und Pflegeeinrichtungen soll im Kontakt mit Bewohnern verpflichtend FFP2-Masken tragen. Und mindestens bis die Impfungen mit beiden Dosen abgeschlossen sind „kommt den Schnelltests beim Betreten der Einrichtungen eine besondere Bedeutung zu“, wird von Bund und Ländern betont. Da viele Pflegeheime über fehlendes Personal für die Schnelltests klagen, sollen Bundeswehrsoldaten aushelfen.
Merkel wirkt genervt
Es war letztlich wie zuletzt so häufig: Das Kanzleramt wollte schärfere Lockdown-Maßnahmen, vor allem in Hinblick auf eine mögliche Ausbreitung der ansteckenderen Corona-Mutante aus Großbritannien.
Länder wie Niedersachsen und Schleswig-Holstein dagegen verzeichnen stark sinkende Zahlen, auf unter 100 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner in sieben Tagen, das macht es schwer, quasi vorsorgend härtere Maßnahmen mitzutragen, vor allem wenn nicht bekannt ist, wie gefährlich und verbreitet die Mutation B117 wirklich ist.
Zudem war nicht nur von Seiten der FDP der Druck groß, erst einmal die geltenden Maßnahmen richtig durchzusetzen und eine Datenbasis zu liefern, was überhaupt wie gewirkt hat.
Der sogenannte 4er-Kreis - Kanzlerin Merkel, Vizekanzler Olaf Scholz, Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller, Bayerns Regierungschef Markus Söder - hatte entsprechend Mühe, die unterschiedlichen Vorstellungen in eine stimmige Beschlussvorlage zu gießen. Nach über sechseinhalb Stunden musste die Sitzung wegen des Schul/Kita-Streits unterbrochen werden, der 4er-Kreis versuchte in separaten Telefonaten eine Lösung zu finden.
Gerungen wurde um kleinste Details: Bei dem Passus, dass sich die Mutation B117 des SARS-CoV2-Virus "auch stärker unter Kinder und Jugendlich verbreitet", wollen sie den Zusatz "stärker" gestrichen sehen - denn das könnte Schul- und Kitöffnungen noch weiter nach hinten schieben.
Bis Mitte Februar soll es zumindest ein klareres Lagebild über die Ausbreitung der Virus-Mutation geben. Seit Dienstag gilt eine Verordnung von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), mit der ab sofort tausende Nach-Untersuchungen positiver Corona-Tests auf die Mutation hin durchgeführt werden sollen, jedes Labor bekommt 220 Euro je Sequenzierung.
Bis 14. Februar soll auch eine Arbeitsgruppe auf Ebene des Chefs des Bundeskanzleramtes und der Chefinnen und Chefs der Staats- und Senatskanzleien ein "Konzept für eine sichere und gerechte Öffnungsstrategie" erarbeiten.