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Was haben Annegret Kramp-Karrenbauer (l.) und Angela Merkel aus dem Fall Maaßen gelernt?
© REUTERS/Fabrizio Bensch

Personalie Hans-Georg Maaßen: Die Maaßen-Lektion für die große Koalition

Erstmals in ihrer Kanzlerschaft hat sich Angela Merkel entschuldigt. Was kann die große Koalition aus der Maaßen-Debatte lernen? Die wichtigsten Antworten.

Am Tag nach der Notbremsung erlebt die Republik eine Premiere: Die Kanzlerin zeigt offene Reue. Sie habe in der Causa des Verfassungsschutzchefs Hans-Georg Maaßen anfangs zu sehr auf verwaltungstechnische Details geachtet, bekennt Angela Merkel am Montag, und zu wenig bedacht, „was die Menschen denken, wenn sie von einer Beförderung hören“. Merkel blickt betrübt: „Das bedaure ich sehr.“

Eine Entschuldigung ohne Wenn und Aber – das gab es in 13 Jahren ihrer Kanzlerschaft noch nie. Das anschließende Versprechen, es jetzt alles besser und vor allem Sacharbeit zu machen, hat man dagegen schon öfter gehört. Das Erschrecken über sich selbst mag im Moment groß sein unter den Koalitionären. Der Beschluss, Maaßen bei gleichbleibenden Bezügen zum Sonderbeauftragten für Internationales in Horst Seehofers Innenministerium zu machen, mag die Gemüter etwas beruhigen. Regelmäßige Koalitionsausschüsse sind vermutlich besser als erst zusammenzukommen, wenn es brennt. Aber wie groß sind die Chancen, dass CDU, CSU und SPD nachhaltig dazu lernen?

Wieviel Umbruch steckt in der CDU?

Dass Merkels Reue-Bekenntnis auf den Jahrestag der Bundestagswahl fällt, ist Zufall – aber ein aufschlussreicher. Nach dem wenig erfreulichen 24.September 2017 hatte die CDU-Vorsitzende etwas gebraucht, bevor sie die Gründe ihrer Niederlage einräumte und ein „Ich habe verstanden“-Signal aussandte. Merkel korrigiert sich ungern und wenn, dann am liebsten in so kleinen Schritten, dass es möglichst keiner merken soll. Diesmal kam die Reue schneller. Das ist auch dem Umstand geschuldet, dass sich an diesem Dienstag ihr Fraktionschef Volker Kauder einer Wiederwahl inklusive Gegenkandidat stellen muss. Ohne rasche Bereinigung der Causa Maaßen noch am Wochenende hätte Kauder sich das Antreten gleich sparen können.

Aufschlussreich ist Merkels Bekenntnis auch inhaltlich. Im Klartext heißt es: Ich habe vor lauter Detailpusselei den Blick fürs Wesentliche verloren. Genau das aber war schon Gegenstand der Selbstkritik vor einem Jahr. Auch damals versprachen Merkel und CSU-Chef Seehofer, besser auf die Bürger und ihre Anliegen zu hören. Doch Merkel, ohnehin der politischen Vision abhold, kann das Versprechen auf Aufbruch und Politikwechsel immer weniger erfüllen, je näher das Ende ihrer Amtszeit rückt. Noch bleiben die Nachfolgekämpfe unter der Decke – wie lange, weiß niemand.

Merkels Hauptproblem allerdings heißt Seehofer – was umgekehrt genau so gilt. Seit ihrem Zerwürfnis in der Flüchtlingsfrage 2015 sind die CDU-Chefin und der CSU-Chef wie Katz und Hund. Die soundsovielte Versöhnungsaktion ändert nichts daran, dass das Verhältnis der beiden in Misstrauen erstarrt ist. Eigentlich verständlich, dass Merkel ihrem Innenminister im Fall Maaßen so kurz vor der Bayern-Wahl nicht in den Arm fallen und den nächsten Großkonflikt provozieren wollte. Nur endete die Sorge vor dem Streit genau so im Desaster.

Wird die CSU demnächst ruhiger?

Als er der SPD die Beförderung Maaßen zum Staatssekretär abgehandelt hatte, machte Horst Seehofer aus seinem Triumph kein Hehl. Den einzigen SPD-Spitzenbeamten im Haus dafür in die Wüste zu schicken, schien ihm besonderen Spaß zu bereiten. Dass der taktische Sieg eine strategische Niederlage war, kam ihm gar nicht in den Sinn.

Das ist größeren Feldherren auch schon passiert. Aber spätestens nach dem zerstörerischen Streit über die „Zurückweisung“ von Flüchtlingen hätte dem CSU-Chef aufgehen können, dass er in seiner neuen Position als Teil der Regierung Konflikte nicht mehr ohne Rücksicht auf das Ganze durchfechten kann. Die CSU-Tradition, sich gegen „die da in Berlin“ in Stellung zu bringen, funktioniert nur schlecht, wenn der Chef plötzlich einer von „denen“ ist.

Aber Seehofer steckt natürlich in einer schwierigen Situation. Wenn in Bayern in drei Wochen gewählt wird, droht der CSU ein historisches Desaster. Die CSU wie er selbst könnten sichtbare Erfolge im Bund dringend brauchen. Andernfalls droht dem 69-Jährigen das Schicksal des biblischen Sündenbocks. Die Frage scheint dann nur noch, ob er sofort in die Wüste geschickt wird oder etwas später. Doch schon beim letzten Parteitag musste Seehofer erleben, dass sein Auftritt nur mehr höflich geduldet war.

Dass die CSU danach ruhiger wird, ist allerdings auch nicht absehbar. Sollte sie wirklich bei Werten um 35 Prozent landen, wäre der Mythos von der letzten echten Volkspartei dahin. Das könnte den Drang sogar eher noch befördern, sich in Berlin als unentbehrlicher Sachwalter bayerischer Regionalinteressen zu präsentieren. Kommt es in München womöglich sogar mangels Alternativen zu Schwarz-Grün, droht zu allem Überfluss ein heftiger Binnenkonflikt in der Partei. Die CSU bleibt auf längere Sicht Unruheherd – schwere Zeiten für die Konzentration auf Sacharbeit.

Warum steckt die SPD weiterhin in der Klemme?

Sogar die linke Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis, gewöhnlich keine Freundin von Parteichefin Andrea Nahles, rang sich am Montag ein Lob für die neue Vereinbarung zur Zukunft von Hans-Georg Maaßen ab. Das Ergebnis, das Nahles mit Angela Merkel und Horst Seehofer ausgehandelt hatte, sei zumindest „akzeptabel“, sagte Mattheis am Montag. Im Parteivorstand sei hinter geschlossenen Türen dann zwar auch kritisiert worden, dass die vergangene Woche nicht gut gelaufen sei, so berichten Teilnehmer. Einhellig aber wurde Nahles dafür gelobt, dass sie den Willen zum Eingeständnis eines Irrtums aufgebracht habe.

Viel spricht dafür, dass Nahles von selbst den Fall Maaßen nicht so stark aufgeladen hätte, wie sie es am Ende tun musste. Doch eine Partei, die selbst Verfolgung durch das nationalsozialistische Regime überlebt hat, reagiert besonders empfindlich auf das, was sie als Verharmlosung von Rechtsextremismus empfindet. An der Personalie eines Behördenchefs dürfe die Koalition nicht scheitern, warnte die Parteispitzen. Doch große Teile der SPD waren bereit, den Fortbestand der großen Koalition aufzukündigen, falls Maaßen nicht bestraft würde.

Die dramatische Entwicklung zeigt: Noch immer ist es Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz nicht gelungen, große Teile der Partei von der Notwendigkeit und den Möglichkeiten der großen Koalition zu überzeugen. Im Gegenteil: Die Skepsis gegen das Regierungsbündnis in der SPD wächst. Die Umfragen für die SPD zeigen nur eine Dynamik, und die geht nach unten. SPD-Erfolge in der großen Koalition wie das Rentenpaket oder die milliardenschwere Kita-Qualitätsoffensive von Familienministerin Franziska Giffey werden überdeckt vom Streit, den Seehofer anzettelt.

Sogar Generalsekretär Lars Klingbeil klagte am Montag vor der Presse, angesichts zugespitzter Debatten über Grenzen oder die Zukunft von Maaßen dringe seine Partei mit ihren Themen „nicht durch“. Doch solange die Demoskopen für die SPD schlechte Zahlen ermitteln, dürften sich die Chancen für Nahles kaum erhöhen, die Skeptiker in den eigenen Reihen umzustimmen. Viel dürfte auch vom Ausgang der Landtagswahlen in Bayern und Hessen abhängen.

Von Anfang an gab es im SPD-Regierungsapparat Zweifel, ob Nahles gut beraten war, direkt den Konflikt mit Seehofer zu suchen. Als „bauchgesteuert, wenig rational und nicht zu Ende gedacht“ bezeichnete ein erfahrenes sozialdemokratisches Regierungsmitglied ihre Kampfankündigung. Zudem schürte sie zu hohe Erwartungen. „Maaßen wird gehen“, kündigte sie vollmundig an, bevor Seehofer dessen Beförderung verkündete. Nachdem das schlechte Ergebnis der Einigung bekannt wurde, schwiegen Nahles und Scholz zu lange und überließen die Deutung vor allem Juso-Chef Kevin Kühnert, einem erklärten Gegner der großen Koalition. Wenn Nahles und Scholz etwas verbessern wollen, müssten sie also bei der eigenen Kommunikation anfangen.

Trotz des einhelligen Lobs für die Fähigkeit von Nahles zur Selbstkorrektur hat also die Autorität der Vorsitzenden in ihrer Partei Schaden genommen. Denn sie stimmte einer Lösung zu, die schlicht nicht zu vermitteln war. Ausgerechnet die Vorsitzende, die versprochen hat, mehr auf die eigene Partei zu hören und sie nicht zu überfahren, schätzte die Stimmung in der SPD falsch ein und versuchte, die untaugliche Lösung zu verteidigen.

Ihr Hinweis auf die alleinige Verantwortung Horst Seehofers für den Aufstieg des in Ungnade gefallenen Behördenchefs verfing nicht. Erst als aus der mächtige Landesverband Nordrhein-Westfalen mit einem Ultimatum zum Ausstieg aus der Koalition drohte, gab sie nach. Auch dürften sich die Kritiker der ersten Maaßen-Lösung aus der Partei, die sich offen gegen die Parteichefin stellten, ermutigt fühlen, auch in künftigen Sachkonflikten mit ihrem Widerspruch die Öffentlichkeit zu suchen. Das macht die Aufgabe der Parteivorsitzenden nicht leichter, die trotz der Doppelfunktion als Partei- und Fraktionschefin nun noch mehr Zeit für Vermittlung und Erklärung aufbringen soll.

Gegen einen ganz entscheidenden Störfaktor in der großen Koalition hat die SPD keinen Hebel in der Hand: Ob Horst Seehofer nun auch zur Sacharbeit zurückkehren will oder weiter öffentlichkeitswirksam Streit sucht, entscheidet er alleine. Da die Sozialdemokraten nicht lernen können, besser mit dem CSU-Chef umzugehen, müssen sie auf Hilfe von außen setzen. „Meine Hoffnung ist die Bayernwahl“, sagte Vorstandsmitglied Matthias Miersch, ein Vertreter des linken Flügels: „Ich hoffe, er wird danach nicht mehr Parteichef sein.“

Robert Birnbaum, Hans Monath

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