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Verworren. Die EU-Institutionen sind sich beim Datenschutz nicht einig.
© dpa

Europäische Union: Die letzte Lobbyschlacht um den Datenschutz

Datenschutz im Facebook-Zeitalter: Es geht um eines der zentralen Gesetzgebungsvorhaben der EU, den europäischen Datenschutz. Eine Einigung wird nicht leicht. Verbraucherfreundlich oder wirtschaftsorientiert? Die Positionen der drei EU-Institutionen liegen weit auseinander.

Wenn am Montag die europäischen Innenminister in Brüssel zusammen kommen, ist das ein Ende und ein Anfang zugleich im langen Ringen um eines der zentralen Gesetzgebungsvorhaben der Europäischen Union in dieser Wahlperiode, die Anpassung des europäischen Datenschutzes an das Facebook-Zeitalter. Es ist aller Vorrausicht nach das Ende der langwierigen Verhandlungen der 28 Minister über eine gemeinsame Position (hier geht es zur geleakten Version auf Statewatch.org). Und es ist der Anfang neuer schwieriger Verhandlungen: Von Ende Juni an werden sich die europäischen Regierungen, vertreten von der luxemburgischen Ratspräsidentschaft, mit Kommission und Parlament im sogenannten Trilog auf ein gemeinsames Papier einigen müssen. Und es ist auch ein Neuanfang für Wirtschaftsverbände und Nichtregierungsorganisationen: Die letzte Lobbyschlacht um den Datenschutz ist eröffnet.

Die EU-Regierungen verabschieden heute ihre Position zum Datenschutz

Dass die Regierungschefs sich am Montag einigen, gilt als abgemacht. Aus Kreisen der Bundesregierung war am Freitag zu hören, man sei „fast sicher“, dass das Papier verabschiedet werde. Bereits am 24. Juni soll dann die erste Verhandlungsrunde mit Kommission und Parlament stattfinden, bei der man sich zunächst auf den von der luxemburgischen Ratspräsidentschaft vorgeschlagenen Fahrplan für die Verhandlungen einigen will. Noch am 14. Juli soll dann die erste inhaltliche Sitzung stattfinden. Bis zum Ende des Jahres will man fertig sein.

Das wird nicht leicht, zu weit liegen die Positionen der drei EU-Institutionen noch auseinander. Generell kann man sagen: Die Vorschläge von Parlament und Kommission sind verbraucherfreundlicher, während die Interessen der Wirtschaft besonders in der gemeinsamen Position der Regierungen berücksichtigt wurden, das am heutigen Montag beschlossen werden soll.

Dürfen die Daten auch für andere Zwecke genutzt werden?

Einer der zentralen Streitpunkte wird die Frage sein, ob Daten, die für einen bestimmten Zweck erhoben wurden, auch für andere Zwecke verwendet werden dürfen. Die sogenannte Zweckbindung soll verhindern, dass Daten, die zum Beispiel für die Abrechnung gebraucht wurden, später auch für das Marketing verwendet werden. Auf Wunsch der Deutschen war in den Verhandlungen der 28 Innen- und Justizminister die starke Zweckbindung aufgeweicht worden, die die Kommission ursprünglich vorgeschlagen hatte. Demnach wäre die Verarbeitung für andere Zwecke rechtmäßig, wenn „legitime Interessen“ des Unternehmens oder Dritter „schwerer wiegen“ als die des Bürgers. Als im März bekannt geworden war, dass diese Formulierung ihren Weg in den Ratsentwurf gefunden hatte, protestierten Datenschützer auch in Deutschland heftig. Nach dem Verhandlungsstand vom Ende der vergangenen Woche ist diese „flexible“ Zweckbindung wohl noch im Papier erhalten, wird allerdings unter Vorbehalt gestellt. Nicht nur die Kommission und der grüne Parlamentsberichterstatter Jan Philipp Albrecht sträuben sich dagegen, sondern auch mehrere der 28 Regierungen. Aus Regierungskreisen in Berlin ist zu hören, man wolle dennoch unbedingt daran festhalten. Die Bundesregierung argumentiert, ganze Wirtschaftszweige könnten in Gefahr sein, außerdem sei eine flexible Zweckbindung Voraussetzung für die Geschäftsmodelle der Zukunft. „Sonst können wir Big Data vergessen.“ Die Kommission hält dagegen, auch bisher gäbe es ja in vielen Ländern starke Datenschutzregelungen und dennoch seien jene Branchen, die nun mit ihrem eigenen Exodus drohen, noch im Geschäft.

In Brüssel gehen die Lobbyisten in den Endspurt

Es ist ein typischer Schlagabtausch. Seit die Kommission im Jahr 2011 ihren Vorschlag für eine Neuordnung des europäischen Datenschutzes vorgelegt hat, ringen Industrievertreter und Nichtregierungsorganisationen um Gehör in der Politik. "Das ist die größte Lobbyschlacht, die ich je erlebt habe auf Brüsseler Ebene. Da wurde mit harten Bandagen gekämpft“, sagt Oliver Süme. Süme ist stellvertretender Vorsitzender des deutschen Internetverbandes „eco“ und Präsident von EuroISPA, einem Zusammenschluss von europäischen Internetunternehmen und Providern, in dem US-Konzerne wie Amazon und Google assoziierte Partner sind. Jetzt, kurz bevor das Verhandlungsfinale beginnt, hat sich die Schlacht noch einmal intensiviert. Industrieverbände schalten derzeit große Anzeigen in den Brüsseler Leitmedien und laden Abgeordnete und Kommissionsbeamte wieder verstärkt zu Dinner-Events und Diskussionsrunden ein. Eigens für das Lobbying in Sachen Datenschutzverordnung gegründete Verbände versuchen, weitere Mitgliedsunternehmen zu rekrutieren, um sich auf eine möglichst breite Basis berufen zu können. Anfang des Jahres wurde sogar noch ein neuer Verband gegründet, die „Coalition of European Organisations on Data Protection“, zu der so unterschiedliche Partner wie die SAP und die Schwedische Kinderkrebs-Stiftung gehören – so manche Wohltätigkeitsorganisation sorgt sich nämlich um ihr Direktmarketing. Vieles davon passiert in Brüssel, aber nicht allein dort. "Wir animieren unsere nationalen Verbände, auf ihre Ansprechpartner zuzugehen“, sagt Oliver Süme.

Bei den EU-Abgeordneten sprechen zurzeit wieder vermehrt Wirtschaftsvertreter vor

Doch das Kerngeschäft sind persönliche Treffen, in denen teils auch konkrete Vorschläge für die Änderung dieses oder jenes Paragraphen unterbreitet werden. „Es ist wieder mehr Aktivität zu verspüren. Auch im Parlament gibt es wieder verstärkt Gesprächsanfragen, die wir gern beantworten", sagt der Grüne Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht, der die Delegation des Parlaments im Trilog leiten wird. Zwar sind die Argumente weitgehend ausgetauscht – auch Abgeordnete bestätigen, sie hörten selten etwas Neues. Doch für Lobbyisten sind die Treffen weiter interessant – denn in Kommission und Europaparlament sitzen nicht mehr die gleichen Personen, die die jeweiligen Vorlagen 2011 und 2013 verabschiedet haben. „Wir müssen verstehen, wie viel Flexibilität es gibt“, sagt ein Anwalt, dessen Kanzlei in Brüssel für einen internationalen Zusammenschluss von IT-Unternehmen tätig ist.

Die verantwortliche Kommissarin ist seit Herbst 2014 die für Justiz und Verbraucherschutz zuständige Tschechin Vera Jourovà. Sie hat bislang stets betont, die Linie ihrer Vorgängerin Viviane Reding voll zu unterstützen. Hier ist wahrscheinlich für Lobbyisten nicht mehr sehr viel zu holen. Ein Kommissionsbeamter sagt, nach der „Kennenlernwelle“ im Herbst 2014, als die neue Kommission installiert wurde, habe das Interesse wieder abgenommen. Seit kurzem gibt es in der EU neue Transparenzregeln, auf Jourovàs Webseite kann man deshalb nachlesen, dass sie seit Anfang des Jahres vier Lobbyisten-Gespräche zum Thema Datenschutz geführt hat, Mitglieder ihres Kabinetts etwas mehr als ein Dutzend. Das Gros entfällt auf Unternehmensvertreter (darunter Google, Microsoft und Yahoo) und ihre Verbände.

Lässt sich das Parlament spalten?

Interessanter dürfte aus der Perspektive der Lobbyisten das Parlament sein. Dessen Verhandlungsführer, Jan Philipp Albrecht, hat sich bereits stark positioniert: „Unsere rote Linie ist der Datenschutzstandard von 1995, der darf nicht unterschritten werden“, sagt er und meint damit auch die Zweckbindung. Ob diese Linie gegenüber den Regierungen zu halten ist, ist allerdings fraglich. Das deutsche Bundesinnenministerium spielt zwar formal keine Rolle mehr. Doch seine Kontakte zur luxemburgischen Ratspräsidentschaft gelten als sehr gut. Und auch der Vertreter der EVP-Fraktion des Europaparlaments, der deutsche CDU-Abgeordnete Axel Voss, ebenfalls Mitglied in der Verhandlungsteam des Parlaments, dürfte in etwa die wirtschaftsfreundliche Linie des Innenministeriums vertreten. Voss will sich in den Trilog-Verhandlungen für eine flexiblere Regelung bei der Zweckbindung einsetzen, um die Verwendung von Daten für Big-Data-Anwendungen nicht zu verhindern. "Das müssen wir erlauben. Wir dürfen uns technologisch nicht abkoppeln", sagt er. Deutsche Datenschützer sorgen sich deshalb um die Standfestigkeit des grünen Berichterstatters. „Eine wichtige Frage ist, wie robust das Mandat von Jan Philipp Albrecht sein wird, wenn die großen Fraktionen nicht hinter ihm stehen“, sagt einer. Schon früher habe sich das Europäische Parlament in Datenschutzfragen erst politisch stark geäußert, sei dann aber umgekippt. Das prinzipielle Ja zur Fluggastdatenspeicherung ist in schlechter Erinnerung.

Wird es also die rasche Einigung geben, auf die sich alle Parteien festgelegt haben. Kurz vor Beginn des Trilogs zeigen sich alle Parteien zuversichtlich, was wenig überraschend ist. Die Ratsposition sei „eine gute Basis für den Trilog“, sagt ein Kommissionsbeamter. „Da deckt sich schon sehr viel mit dem Kern unseres Vorschlags.“ Jan Philipp Albrecht sagt: „Natürlich gibt es Hürden. Aber keine unüberwindbaren Hindernisse.“ Und auch aus deutschen Regierungskreisen ist viel Zuversichtliches zu hören.

Die Wirtschaft jedenfalls scheint bereit, die eine oder andere Kröte zu schlucken, wenn es nur schnell geht. Eine Fundamentalopposition wegen dieser oder jene Formulierung wünscht sich Oliver Süme jedenfalls von keiner Seite. "Jetzt lieber schnell, damit sich alle darauf einstellen können", sagt er.

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