Gewinner und Verlierer der Globalisierung: Die Kurve, die alles erklärt
Trump, Brexit, AfD - viel Unmut in den Industrieländern geht auf die Globalisierung zurück. Die hat zwar weltweit die Ungleichheit verringert, aber eben nicht überall. Ganz im Gegenteil.
Zugegeben, die Überschrift ist ein bisschen zugespitzt. Und das Phänomen ist auch keineswegs neu. Aber wenn Historiker einmal auf unsere Zeit zurückblicken, dann dürfte die abgebildete Grafik eine Rolle spielen, um die turbulente, wenn auch nicht katastrophale Ära rund um das Jahr 2000 herum zu erklären. Wir leben im Zeitalter einer Globalisierung, von der manche sagen, sie gehe jetzt wieder zu Ende. Wenn es dazu kommt, dann könnte auch dafür eine Erklärung in dieser Kurve stecken (zur Vollansicht bitte anklicken). Sie geht auf Berechnungen des bekannten Ökonomen Branko Milanovic von der City University of New York zurück, erschien erstmals 2012 und macht gerade international Karriere. Man nennt sie „elephant‘s graph“, weil mit einigen Strichen mehr das Rüsseltier entsteht (und der Rüssel, um das gleich zu sagen, ist das größte Problem).
Die Grafik zeigt nichts anderes als die kumulierte Entwicklung der Realeinkommen der Weltbevölkerung von 1988 bis 2008, und zwar der Haushaltseinkommen, unterteilt in so genannte Perzentile, also Einkommensgruppen in Prozentschritten. Ganz links das unterste Perzentil, die Ärmsten der Armen, ganz rechts die Wohlhabenden dieser Welt, und mit großen Schwüngen nach oben und unten, die breite Mitte, die in den ärmeren Ländern weiter links, die in den reicheren weiter rechts. Das Gesamtbild hat Milanovic in einen weiten historischen Rahmen gesetzt: „Solch dramatische Veränderungen der relativen Einkommenspositionen, über eine eher kurze Zeit, haben sich seit der Industriellen Revolution vor zweihundert Jahren nicht mehr ergeben.“
Es gibt Gewinner
Die Globalisierung wird gern kritisiert, aber aus der Kurve geht unzweideutig hervor, dass sie Gewinner geschaffen hat. Es sind vor allem die in den Perzentilen von 20 bis 70, mit einem klaren Vorsprung ziemlich in der Mitte. Das sind die neuen Mittelschichten in Ländern wie China, Indien, Brasilien – aufstrebende Schwellenländer mit ihren massiven Wachstumsraten. Hier stiegen die Realeinkommen, also abzüglich der Inflation, um 60, 70, ja 80 Prozent. Selbst viele Arme, allerdings kaum die Ärmsten, haben steigende Realeinkommen gehabt, die Globalisierung hat insgesamt die Ungleichheit in der Welt verringert, auch wenn die alte westliche Welt noch immer den reichen Teil alleine ausmacht.
Aber alles ist eben relativ. Denn ein hohes Einkommen im Weltmaßstab heißt keineswegs, dass man zu den Wohlhabenden gehört. Die Einkommen in den Industriestaaten beginnen etwa ab dem Perzentil 70 und liegen meist zwischen den Punkten 80 und 95. Dort finden sich die Verlierer der Globalisierung, oder jedenfalls die, die wenig gewonnen haben. Es sind vor allem die normalen Angestellten und Arbeiter in den klassischen Industriestaaten. Deren Realeinkommen sind seit 1988 wenig, kaum oder gar nicht gewachsen. Vor allem in den USA ist das so, aber auch in Europa – und hier vor allem in Großbritannien. Während die Ungleichheit global zurückging, stieg sie in diesen Ländern stark. Die gestiegene Privatverschuldung ist eine Folge dessen, denn Einkommensausfälle wurden über Kredite ausgeglichen. In Deutschland ist das weniger der Fall, Ungleichheit im angelsächsischen Ausmaß kennen wir nicht - aber im Trend liegt die Bundesrepublik doch.
Massive Zuwächse bei den Reichen
Den bisweilen sinkenden, manchmal stagnierenden und hin und wieder auch leicht gestiegenen Realeinkommen der Gering- und Mittelverdiener in den Industriestaaten, die immer mehr zu Dienstleistungsökonomien werden, stehen massive Zuwächse der Realeinkommen der Reichen gegenüber, vor allem im obersten Prozent. Die Hälfte der Angehörigen dieser Gruppe lebt in den USA, aber es sind keineswegs nur Superreiche – zwölf Prozent der Amerikaner gehört laut Milanovic zum obersten Prozent der Weltbevölkerung. Die großen Profiteure gehören auch der obersten Mittelschicht an, es sind Manager, Ärzte, Architekten, Juristen, Leute, die häufig auch noch zusätzliche hohe Kapitaleinkommen haben. Auch in Deutschland ist das so.
Die wachsende Ungleichheit bei den Einkommen und folgend auch bei den Vermögen in Nordamerika und Europa ist die zweite bedeutende Entwicklung neben der insgesamt geringer werdenden Gleichheit in der Welt insgesamt. Klingt da eine Glocke? Die Grafik erklärt, warum Leute Donald Trump nachlaufen, warum sie auf die lügenhafte Brexit-Propaganda ansprangen, und auch warum sie bei uns der AfD die Stimme geben. Zwar gibt es laut Milanovic keine definitive Antwort auf die Frage, ob die Gewinne der Mittelschichten in Asien auf Kosten der relativen Absteiger in Nordamerika und Europa gehen – aber das zeitliche Zusammenfallen beider Entwicklungen „lässt diese Verknüpfung in den Köpfen vieler Menschen als real erscheinen“.
Ein Gefühl von Verlust
Trotz des Erfolgs der Globalisierung bei der Angleichung von Einkommen ist es vor allem der Vergleich auf der nationalen Ebene, der letztlich zählt. Und hier zeigen sich sowohl in den Schwellenländern, vor allem aber in der entwickelten Welt wachsende Ungleichheiten, die von den wirtschaftlich weniger Glücklichen als Verlust gefühlt werden. Das erklärt die wachsenden Spannungen im einstmals führenden Teil der Welt, in sich und gegenüber anderen. Diese Entwicklung (und Milanovic sagt, neue Daten bis zum Jahr 2013 zeigten keine Veränderung der Trends) birgt Sprengstoff. Es ist diese Ungleichheit, die verringert werden muss. Nicht über staatliche Umverteilung – es muss Kaufkraft umgewälzt werden, über die Steuerpolitik und die Einkünfte. Denn einige in den obersten Perzentilen haben so viel Einkommen zu viel, dass man dem ein Ende setzen sollte, will man die soziale Balance erhalten.
Beginnt die Wende nun? "Nach Jahren der Lohnzurückhaltung steigen die realen Bruttolöhne in Deutschland zuletzt wieder stark an", konstatierte das Institut der deutschen Wirtschaft am Montag. Mit einem Zuwachs von 6,6 Prozent hätten die Bruttoerwerbseinkommen der unteren zehn Prozent der Vollzeitbeschäftigten von 2009 bis 2013 am stärksten zugelegt. "Die reichsten zehn Prozent konnten ihre Einkommen im selben Zeitraum nur um 2,8 Prozent steigern", sagen die arbeitgebernahen Ökonomen. Aber siehe Rüssel - sie sind weit voraus. Und nach einer jahrzehntelangen Entwicklung auseinander (auch wenn die in Deutschland weniger krass verlief als etwa in den USA) braucht es auch eine lange Zeit, um wieder ins Lot zu kommen.
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