Proteste gegen die Krisenpolitik: Die Krise der Aktivisten
Von Massenprotesten wie in Südeuropa kann Attac Deutschland nur träumen. Die Globalisierungskritiker haben ihre beste Zeit gehabt - und ihre Vordenkerrolle längst verloren.
Attac hat sich viel vorgenommen für das neue Jahr. „Den Widerstand gegen die neoliberale Schockstrategie in Europa verstärken.“ „Breite gesellschaftliche Mobilisierung.“ „Weitere Proteste gegen die europaweite Verarmungspolitik.“ In Schlagworten waren die Globalisierungskritiker, die sich im Jahr 2000 in Deutschland gegründet haben, schon immer gut. 2013, das Jahr also, zu dessen Beginn Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, die Krise sei „noch längst nicht überwunden“, soll auch eingehen in die Geschichte als das Jahr, in dem die Proteste gegen die Krisenpolitik auf einen neuen Höhepunkt zusteuern.
Womöglich kommt aber alles auch ganz anders. Und die Organisation Attac, die früher als andere vor der Finanzkrise gewarnt hat, muss zugeben, dass sie sich, wenigstens in Deutschland, nicht behaupten kann. Bei ihrer Jahrespressekonferenz am Donnerstag in Berlin gibt Jutta Sundermann vom Attac-Koordinierungskreis zu, dass die Aufrufe zum Protest im vergangenen Jahr, etwa im Rahmen des Bündnisses Umfairteilen oder bei den Blockupy-Aktionen in der Bankenstadt Frankfurt am Main, nicht die Massen mobilisiert hätten. Ob das im neuen Jahr anders sein wird, da ist sie verhalten optimistisch. Sie sei „zuversichtlich, dass es zunimmt“, durchaus könne man „jede Menge Menschen“ auf die Straße bekommen. 2012 aber kam man bei Dutzenden Märschen, Aktionen und Kundgebungen deutschlandweit zusammengerechnet nicht einmal auf eine sechsstellige Demonstranten-Zahl. Ihr Mitstreiter Werner Rätz, wie Sundermann einer der Attac-Gründer in Deutschland, ergänzte, es sei bisher nicht gelungen, das Bewusstsein für die Krisenphänomene massenhaft in den Köpfen zu verankern. Bei der Organisation der Proteste sei man auf „gewisse Schwierigkeiten“ gestoßen. In Deutschland werde die Krise leider „im Wesentlichen als Problem der anderen gesehen“.
Als Antwort auf die Krise der eigenen Organisation fällt Attac das ein, was die Globalisierungskritiker auch zuletzt probiert haben. Einen Aktionstag zum Thema „Reichtum besteuern“ soll es 2013 geben, weitere Blockupy-Proteste, zivilen Ungehorsam, einen Kongress in Berlin und einen Alternativengipfel in Athen. Die Umverteilung großer Vermögen soll zum „zentralen gesellschaftlichen Thema“ werden, das „keine politische Kraft links liegen lassen kann“. Die Attac-Agenda wirkt wie eine von Berufs-Protestierern. Die Vordenkerrolle, die den Verband im vergangenen Jahrzehnt groß gemacht hat, hat er abgegeben. In Flyern erinnert die Organisation daran, dass früher konservative Publizisten Attac bescheinigten, mit ihrer Kampagne gegen die Zocker an den Finanzmärkten präziser gearbeitet zu haben als die im Bundestag vertretenen Parteien. Als Attac vor einem Monat in einem Brief an alle Bundestagsabgeordneten vor einer Fiskal- und Wirtschaftsunion als „Bedrohung der Demokratie“ in ganz Europa warnte, fand das so gut wie keine Resonanz.
Was ihre Bündnispartner angeht, behauptet Attac, eine neue Qualität erreicht zu haben. Die Aktionen seien von Dutzenden bundesweiten sowie rund 300 regionalen Organisationen unterstützt worden. Die Gewerkschaften, organisationsstark, machten manchmal mit, manchmal auch nicht. Unter den Bundestagsparteien ist einzig die Linke ein Partner. Attac-Aktivist Rätz bescheinigt ihr einen „Lernprozess, den wir bei den anderen Parteien vermissen“. Die neuen Linken-Chefs hätten eine „lange Tradition in den Bewegungen“. Die neue Rolle des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, der neuerdings für die Regulierung der Finanzmärkte plädiert, aber nimmt Attac ihm nicht ab. Von der Bundestagswahl verspricht sich die Organisation nichts. Ein Politikwechsel im Land werde nicht vom Wahlkreuzchen abhängen, sagt Sundermann. Und Rätz betont, die Politik der Globalisierungskritiker sei „nicht darauf gerichtet, aktuelle Konstellationen in den Parlamenten zu verändern“.
Matthias Meisner