Auch die Wissenschaft braucht Nachhilfe: Die Kommunikation zu Corona muss professionalisiert werden
Sie ist der Schlüssel zur Bekämpfung der Pandemie. Warum ein Krisenstab die Auftritte der Experten verbessern kann. Ein Kommentar.
Als die Virologen ihre Labore verließen, wanderten sie ein in die Talkshows und Nachrichten. Die Seuche war da. Und mit ihr das panische Fragen nach dem Warum, Wohin und was nun? In der Öffentlichkeit lernte man viele Fachleute kennen, für Virologie, Infektiologie, Epidemiologie, für medizinische Statistik, mathematisches Modellieren und Intensivmedizin und vieles mehr.
Allenthalben ist jetzt zu hören, dass die meisten von ihnen die dramatische Lage der Covid 19-Pandemie längst vorausgesagt hatten. Sie hatten gemahnt und gewarnt, wurden aber nicht gehört - oder nicht verstanden.
Warum wurden sie nicht gehört?
Warum nicht? So lautet das Rätsel dieser Tage. Wie kann es sein, dass ein Land, in dem einer der besten Impfstoffe erfunden wurde, bei so viel Expertise so unvorbereitet war? Ulrike Protzer, Professorin für Virologie, mutmaßte am Mittwoch in einer Talksendung: „Vielleicht waren wir auch zu leise.“
Ihr Kollege Markus Lanz verzweifelte fast, als der Experte Thomas Mertens neulich in seiner ZDF-Runde saß, und von seinen verhallten Prognosen sprach. Ob Mertens seine Warnungen exakt so, „mit diesen Worten!?“ zu Jens Spahn gesagt habe, hakte Lanz fassungslos nach. Mertens, ehrenamtlicher Leiter der Ständigen Impfkommission („Stiko“), erinnerte sich, dass es ab und an Telefonate mit dem Gesundheitsminister gab. Ansonsten habe man sich via Whatsapp verständigt. Inzwischen „sogar mit Signal“ beteuerte der 71jährige mit dem grauen Vollbart stolz. Vielleicht zu leise?
Wissenschaftler sind eher scheu als schillernd - und ganz sicher keine Politiker
Lautstärke im Kampagnenmodus ist nicht das, worum es in Forschungslaboren geht. Die Fachleute dort sind eher scheu als schillernd. Ihre Gewohnheit, abzuwägen, komplexe Analysen wissenschaftlich darzulegen und sich in Details von anderen im Fach abzugrenzen, bringt alles andere hervor, als plakatives Argumentieren. Sie tauschen sich aus im Rahmen ihrer Community und mit deren Regeln. Auf einmal aber sollten, mussten sie Campaigner sein, öffentliche Aufklärer für Politik und Gesellschaft.
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Unvergessen ist mir das Gespräch mit Paul Crutzen Mitte der 1980er Jahre für das Greenpeace-Magazin. Der damalige Direktor die Abteilung Atmosphärenchemie am Max-Planck-Institut für Chemie hatte das Ozonloch mitentdeckt. Erschüttert erzählte er, wie ihm klarwurde, dass er nun die Politik alarmieren musste. „Ich war doch gar kein Politiker!“ Über Nacht hatte sich seine Aufgabe gewandelt, und widerstrebend ging er „Klinken putzen“, um vor der Verwendung von FCKW in Kühlschränken und Klimaanlagen zu warnen, schließlich mit Erfolg. 1995 erhielt Crutzen, der Anfang dieses Jahres starb, den Nobelpreis für Chemie.
Mehr Strategie, weniger Stolpern
Die besondere kommunikative Disposition von Fachleuten muss in der Pandemie allen klar sein, auch diesen selber. Unterschiede zwischen den Expertisen derer, die konsultiert werden, sind ja gering. Lernend waren und sind sie sich im Kern in ihren Warnungen und Empfehlungen international einig. Wie ein Corona-Krisenstab der Bundesregierung eingerichtet wurde, könnten auch die Fachleute ihren eigenen Krisenstab ins Leben rufen, und sich dort professionelle Beratung holen zu Fragen der Kommunikation mit Politik wie Publikum. Hier könnten sie auch zu den Details ihrer Differenzen erwägen, welche davon derzeit relevant wären, und welche zunächst weiterer Klärung bedürfen.
So ließen sich die Folgen der Pandemie gezielter eindämmen, aber ebenso die überflüssigen Diskussionen um „beliebteste“ Virologen oder Epidemiologen, wie nicht nur Boulevardblätter sie schon angezettelt haben. Strategie statt Stolpern: Das ist an der Zeit.
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