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Nordrhein-Westfalen: Die kleine Bundestagswahl

Im bevölkerungsreichsten Land wird ein neuer Landtag bestimmt. Wie stark wirkt das bis nach Berlin?

Es geht „nur“ um eine Landtagswahl. Aber es ist nicht irgendeine. Es ist die im bevölkerungsreichsten und damit auch politisch einflussreichsten Bundesland. Und deshalb reichen die Schwingungen auch bis nach Berlin.

Ist die schwarz-gelbe Bundesregierung durch die Neuwahl in NRW gefährdet?

Für die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel soll dieses Jahr 2012, das letzte vor dem Wahljahr, im Zeichen von Stabilität und Sicherheit stehen. Merkel will, wenn sie 2013 vor die Wähler tritt, die EU und den Euro auf sichere Füße gestellt, die Energiewende auf den Weg gebracht und den Bundeshaushalt konsolidiert haben. Weder Merkel noch Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) werden daher Interesse an einer Neuwahl haben.

Was übrigens auch für den Vorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion, Rainer Brüderle, gilt. Seit sich gezeigt hat, dass Parteichef Philipp Rösler die in ihn gesetzten Hoffnungen der Liberalen nicht erfüllen kann, spielt Brüderle die Rolle des Garanten einer stabilen schwarz-gelben Koalition bis 2013. Vorgezogene Neuwahlen im Bund sind daher nicht zwingend zu erwarten, wenn die Wähler in Nordrhein-Westfalen gewählt haben. In der Spitze der Unionsfraktion hieß es am Mittwoch, man werde den Fehler von 2010 nicht wiederholen, in Berlin Regierungsentscheidungen mit Blick auf die Wahlkämpfe in den Ländern zu verschieben. Diese Strategie hatte unter anderem die CDU in Nordrhein-Westfalen und in Baden-Württemberg die Macht gekostet.

Bis Anfang Mai allerdings wird es in insgesamt drei Bundesländern Landtagswahlen geben – im Saarland am 25. März, in Schleswig-Holstein am 6. Mai und in Nordrhein-Westfalen am 6. oder 13. Mai. Und in allen drei Ländern werden Millionen Wähler bei ihrer Stimmabgabe nicht nur landespolitische Themen im Auge haben, sondern auch ein Votum über die Arbeit von Union und FDP abgeben.

Vor allem die FDP wird zum Risikofaktor für die Regierung. Glaubt man den Umfragen, wird die FDP aus allen drei Landtagen fliegen – ein unvorstellbares Debakel für die Partei und vor allem für dessen Vorsitzenden Philipp Rösler. Das Wiederaufflammen der Führungsdebatten wäre unvermeidlich. Sehr wahrscheinlich wird es heftige inhaltliche Auseinandersetzungen innerhalb der Parteiführung und der Fraktion geben, die die Koalition insgesamt stark in Mitleidenschaft ziehen. Nicht ausgeschlossen, dass es Brüderle misslingt, für wichtige Abstimmungen vor allem in der Eurofrage seine Fraktion hinter sich zu bringen und damit die Mehrheiten im Bundestag zu sichern. Vorgezogene Neuwahlen wären dann unvermeidlich.

Wird die Landtagswahl nun zur

kleinen Bundestagswahl?

Dafür spricht viel. Zumindest SPD und Grüne werden alles daransetzen, die NRW-Entscheidung im Mai zum erfolgreichen Testlauf für 2013 zu machen. Laut Umfragen könnte es Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und ihrer Stellvertreterin Sylvia Löhrmann (Grüne) durchaus gelingen, im neuen Landtag eine eigene Mehrheit zu erreichen. „Das wäre ein ganz starkes Signal für den Bund“, heißt es in der SPD. Die Grünen sehen das genauso. Auf Bundesebene hatten in jüngster Zeit das Stagnieren der SPD in den Umfragen und die Zuwächse für die Piratenpartei die rot-grüne Siegeszuversicht deutlich gebremst.

Zweites Ziel der SPD ist es, die Linkspartei aus dem Landtag herauszuhalten – laut Umfragen könnte das durchaus passieren. Eine rot-grüne Mehrheit und die Linkspartei unter fünf Prozent – für die SPD wäre das der Beweis, dass sie ihre Rolle als Partei der Arbeit wieder ausfüllt, die ihr Kraft-Vorgänger Jürgen Rüttgers (CDU) lange streitig gemacht hatte.

Auch die CDU weiß, dass der Wahltag in Düsseldorf als Test für 2013 gewertet wird. Sollte die FDP unter fünf Prozent bleiben, müsste die Partei Angela Merkels schon im Mai die Frage beantworten, mit wem sie denn 2013 regieren will. Unklar ist freilich, was passiert, wenn die CDU im Saarland und in Schleswig-Holstein stärkste politische Kraft wird und in NRW CDU-Spitzenkandidat Norbert Röttgen das stärkste Ergebnis holt.

Was wird aus der FDP?

Der Bundes-FDP hat die Landtagsfraktion in Düsseldorf einen Bärendienst erwiesen. Philipp Rösler muss nun in drei Bundesländern um den Einzug in den Landtag fürchten. Und zwar ohne die Chance, mit überzeugenden liberalen Inhalten und Ergebnissen der Berliner Politik trumpfen zu können. Schlimmer noch: Die Liberalen in Schleswig-Holstein unter Wolfgang Kubicki sind Anhänger des Atomausstiegs und der Einführung von Mindestlöhnen, sie haben keine Berührungsängste mit einer Ampelkoalition, während die Parteifreunde in Düsseldorf rot-grüne Schuldenpolitik als Grund für ihre Entscheidung, den Etat nicht mitzutragen, im Wahlkampf geißeln müssen, um ihre proklamierte Prinzipienfestigkeit unter Beweis zu stellen.

Völlig offen blieb am Mittwoch die wichtigste Frage: Wer führt die FDP in diesen Wahlkampf? Für den Landesvorsitzenden (und Gesundheitsminister) Daniel Bahr wäre es ein Kamikazeflug, das Risiko zu scheitern ist gewaltig. Aber eines ist klar: Wenn die FDP eine Chance in NRW haben will, muss ein starker Spitzenmann dort hingehen. Doch wer aus Berlin auch immer kommt, Bahr oder eventuell sogar Christian Lindner, dem wird im Fall einer Niederlage der Weg nach Berlin erst einmal für lange Zeit versperrt sein.

Welche Chancen hat Norbert Röttgen?

Der Vorsitzende der Landes-CDU ist wahrscheinlich der Politiker mit den größten Chancen in NRW. Er hat seinen Parteijob mit hohem Risiko, aber auch mit hohem Engagement in einer Mitgliederbefragung errungen und sich schnell zur Spitzenkandidatur entschlossen. Seine Botschaft an die Wähler ist klar: rot-grüne Schuldenpolitik oder Chancen für künftige Generationen durch Konsolidierung. Er hat großen Rückhalt in der Landespartei, die CDU liegt in den Umfragen mit der SPD fast gleichauf. Gewinnt Röttgen in NRW, empfiehlt er sich als natürlicher Nachfolger von CDU-Chefin Angela Merkel. Schließlich hätte Röttgen dann – im Gegensatz zu Ursula von der Leyen – nachgewiesen, dass er Wahlen gewinnen kann.

Ist die Linkspartei als Mehrheitsbeschaffer für die SPD im Westen aus dem Rennen?

Nordrhein-Westfalen hätte zum Modell werden können, so wie seit 1994 für acht Jahre die damalige SPD-geführte Minderheitsregierung von Reinhard Höppner in Sachsen-Anhalt. Auch die startete mit dem Vorhaben wechselnder Mehrheiten, bald aber schlüpfte die PDS in die Rolle des verlässlichen Tolerierungspartners. Vergleichbares in NRW zu realisieren, galt als deutlich schwieriger. Ein linker Linken-Landesverband, vielleicht der radikalste überhaupt – und eine eher konservative SPD. Pragmatische Genossen der Linken wie Bundesgeschäftsführerin Caren Lay attestieren ihren radikalen Parteifreunden in Düsseldorf dennoch, „sehr pragmatisch und sehr kompromissbereit“ vorgegangen zu sein. Doch sei ein Linksbündnis von Rot-Grün „nicht gewollt“ gewesen. Für die Zukunft heißt das, mindestens im Westen: Auf längere Sicht geht nichts zusammen. Entweder wird die Linke an der Fünfprozenthürde scheitern, wie in Schleswig-Holstein oder auch NRW zu erwarten. Oder ihr Werben wird, siehe Saarland und Oskar Lafontaine, von der SPD brüsk zurückgewiesen.

Welche Rolle könnten die Piraten spielen?

Sie könnten von Neuwahlen profitieren. In Umfragen liegen sie zwischen fünf und sechs Prozent. Man sei bereit, erklärte Michele Marsching, Landesvorsitzender der NRW-Piraten. Zunächst aber müssen sie Kandidaten für die Landesliste aufstellen und Unterstützerunterschriften für die Landesliste und für mögliche Direktkandidaten sammeln. Sollte ihnen der Einzug in den Landtag gelingen, würden sie ihren bundespolitischen Einfluss ausbauen. Denn auch im Saarland und Schleswig-Holstein sagen die Umfragen den Piraten Ergebnisse oberhalb der Fünfprozenthürde voraus.

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