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Bilder aus der Ukraine.
© Roman Pilipey/EPA

Vom "Islamischen Staat" bis zur Ukraine: „Die internationale Ordnung zerfällt gerade“

Wolfgang Ischinger, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, über internationales Krisenmanagement zwischen dem "Islamischen Staat" und dem Krieg in der Ostukraine. Was kann Deutschlands Rolle bei der Krisenbewältigung sein?

Die Sicherheitslage scheint sich im vergangenen Jahr rasant verschlechtert zu haben: Ukrainekrise, Islamischer Staat, Syrien, Irak – und nun auch noch Terror in Europa. Wie lautet Ihre Einschätzung?

Die internationale Ordnung zerfällt gerade. 2014 sind zwei neue Großkrisen ausgebrochen. Der Bedarf an „global governance“ ist massiv. Eigentlich müsste der UN-Sicherheitsrat jede Woche eine Krise lösen: Irak, Ukraine … Aber der Sicherheitsrat ist blockiert und die Reformbereitschaft auch. Stattdessen haben wir Ersatzorganisationen geschaffen – G 7, G 8, G 20. Wir haben immer mehr Zirkel, aber die Kraft zur Entscheidung nimmt dramatisch ab. Wir driften in Richtung G Null, wie ein US-Experte drastisch formulierte.

Das heißt also, der Sicherheitsrat muss wieder gestärkt werden?

Ja, das geht nur über eine Reform: Indien und Japan müssen künftig im Sicherheitsrat sitzen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Die EU kann eine Katalysatorenrolle ergreifen, indem sie einen Sitz aller 28 Mitglieder anstrebt. Deutschland sollte sich für dieses Langfristziel klar einsetzen.

Deutschland möchte dort ständiges Mitglied werden.

Deutschland sollte den Wunsch nach einem eigenen Sitz im Sicherheitsrat aufgeben. Europa muss mit einer Stimme sprechen.

Macht Deutschland zu viel? Majorisieren die Deutschen Europas Außenpolitik?

Es ist richtig, dass die Bundeskanzlerin und der Außenminister mit größter Geduld Gespräche mit Russland führen. Die Bundesregierung sollte aber klarmachen, dass die Lösung der Ukrainekrise nicht eine deutsche Aufgabe ist, sondern dass sie sich in den Dienst der gemeinsamen europäischen Politik stellt. Die besten Bemühungen von Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier nutzen nichts, wenn einige Staaten die gemeinsame Politik einschließlich der Sanktionen nicht mehr mittragen. Wir sind „an der Hüfte verbunden“, wie man so schön sagt – ohne die EU-Partner geht es nicht.

Ein Soldat in der Ukraine.
Ein Soldat in der Ukraine.
© AFP

War dann die vom Trio Gauck, Leyen, Steinmeier vor einem Jahr in München anvisierte aktivere deutsche Außenpolitik eine gute Idee?

Ja, die Initiative war ein wahrer Glücksfall. Die Kriseneskalation war im Februar für niemanden absehbar. 2014 war ein Epochenjahr, da bin ich mir mit dem Historiker Heinrich August Winkler einig. Es war das erste Jahr nach der Post-Cold- War-Ära. Wir leben im Zeitalter des Ordnungszerfalls. In diesem Vakuum testet gerade jeder aus, wie weit er gehen kann: Putin in der Ukraine, China Richtung Japan, der Iran im Atomstreit, die Dschihadisten mit den grauenhaften Dingen, die sie tun.

Wolfgang Ischinger ist seit 2008 Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, zuvor war der studierte Jurist und Völkerrechtler unter anderem Botschafter in den USA und Großbritannien.
Wolfgang Ischinger ist seit 2008 Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, zuvor war der studierte Jurist und Völkerrechtler unter anderem Botschafter in den USA und Großbritannien.
© Manu Brabo/AFP

In einer Studie für den ersten Munich Security Report haben sich 82 Prozent dafür ausgesprochen, dass sich die Bundeswehr weniger an internationalen Einsätzen beteiligt.

Die Deutschen haben es sich in ihrem Status quo bequem gemacht. Das kann sich aber sehr schnell als dramatischer Fehlschluss herausstellen. Hätten wir hier eine solch schreckliche Tragödie wie in Paris, sähe die deutsche Politik sicher ganz schnell anders aus – von links bis rechts. Die Deutschen leben unter einer Käseglocke der Unversehrtheit. Aber es wäre ein Wunder, wenn bei uns nie etwas passiert. Wir sind das Land, das am stärksten von der internationalen Verknüpfung abhängig ist. Wenn der kalte Konflikt zwischen China und Japan ein heißer würde, gehen als Allererstes die Lichter in den deutschen Autofabriken aus. Der Wohlstand der Deutschen hängt wesentlich von Stabilität und Sicherheit in Ostasien ab. Den Wohlstand produzieren die Dax-Unternehmen doch nicht bei uns zu Hause. Der Rückzug ins deutsche Idyll ist nicht mehr möglich. Der Versuch, sich rauszuhalten, kurzsichtig.

Bei der Sicherheitskonferenz hat Asien bisher aber auch keine große Rolle gespielt.

Das ändert sich. Dieses Jahr kommt der bisher höchstrangige chinesische Vertreter. Yang Jiechi ist Mitglied des Staatsrates und steht über dem Außenminister. Japan, Südkorea, Singapur sind vertreten. Auch der Nahe Osten ist mit dem Ministerpräsidenten des Irak, dem Außenminister des Iran und vielen seiner Amtskollegen aus den Golfstaaten und anderen arabischen Staaten gut vertreten. Aber die Sicherheitskonferenz ist eine transatlantische Konferenz, ich kann daraus in den drei Tagen keine Weltkonferenz machen. Das wäre völlig absurd.

Die Ukrainekrise wird ein zentrales Thema sein. Was erwartet die Teilnehmer nach Klitschko im vergangenen Jahr?

Ich gehe davon aus, dass es am Rande intensive Gespräche geben wird. Präsident Poroschenko kommt, aus Russland Außenminister Sergej Lawrow, aus den USA Vizepräsident Joe Biden und Außenminister John Kerry. Die Nato darf aber den Russen auf keinen Fall ihre militärischen Muskelspiele mit gleicher Münze heimzahlen. Wir brauchen konkrete Verabredungen, wie weit sich etwa bei Manövern jede Seite nähern darf, um bei diesen militärischen Muskelspielen Unfälle und Missverständnisse zu vermeiden. Wir brauchen einen ratifizierten KSE-Vertrag mit Obergrenzen für alle militärischen Bewegungen. Selbst ein Rotes Telefon nützt wenig, wenn jemand auf den falschen Knopf gedrückt hat. Wir brauchen militärische Vertrauensbildung und Transparenz.

Das Gespräch führte Ingrid Müller.

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