zum Hauptinhalt
Scheitert sein wichtiges Vorhaben am Papiermangel in Deutschland? Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach.
© Imago/Christian Spicker

Probleme der Corona-Pläne: Die Impfpflicht droht am Papiermangel zu scheitern

Die Stellungnahme der gesetzlichen Krankenkassen liest sich wie die Ausrede von jemand, der keine Lust hat. Doch tatsächlich dreht sich ein fataler Zirkel.

Der Stellungnahme ist der Unwillen anzulesen. Am Montag hat der Gesundheitsausschuss des Bundestages Fachleute und Verbände zur geplanten Impfpflicht angehört. Besonders eins der vorab eingereichten Papiere hat dem Termin eine Aufmerksamkeit gesichert, die das Expertengespräch sonst nie bekommen hätte.

Die gesetzlichen Krankenkassen, vermerkt ihr Spitzenverband GKV, könnten die ihr zugedachte Rolle allein schon wegen eines akuten Papiermangels in Europa nicht erfüllen.

Das liest sich auf den ersten Blick wie die Ausrede von jemand, der einfach keine Lust hat, zumal ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums bekundet, sein Haus habe keinerlei Erkenntnisse über Engpässe.

GKV-Vorstandschefin Doris Pfeiffer beeilt sich denn auch eins klarzustellen: Die Kassen seien keineswegs gegen eine Impfpflicht. Sie hätten lediglich auf praktische Probleme hingewiesen. Die gibt es tatsächlich. Denn erstens ist die Papierknappheit keine bloße Erfindung und und zweitens das Argument der Kassen weitaus umfänglicher.

Um mit der Papierkrise anzufangen: Druckpapiere für Zeitungen, Bücher oder Prospekte sind seit vorigem Jahr knapp und teuer. Als Ursachen gelten zum einen coronabedingte Probleme in den Lieferketten, weil viele Vorprodukte aus China kommen.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Zum anderen dreht sich im Altpapiermarkt ein fataler Zirkel: Weil immer weniger Zeitungen gedruckt werden, fehlt es zunehmend an geeignetem Altpapier, um neue Druck- und Schreibpapiere zu produzieren. So weit, dass es nicht mehr für den Schriftverkehr langt, geht die Krise allerdings nach Auskunft des einschlägigen Branchenverbands nicht: "Wir sind lieferfähig", sagt ein Sprecher der Papierindustrie.

Aber die Frage, woher in kurzer Zeit das Material für zwei Mal 60, also 120 Millionen Briefe an ihre Versicherten kommen soll, ist sowieso nur ein Ausschnitt aus den Einwänden, die die GKV vorbringt.

Die Kassen wollen nicht Hilfspolizei werden

Sie betreffen vor allen den weitestgehenden der fünf Gesetzentwürfe. Der sieht, so wie es auch Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (beide SPD) anstreben, eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren vor.

Schon dass die Kassen verpflichtet werden sollen, für jedes Mitglied den Impfstatus abzuklären und Pflichtverstöße zu melden, geht dem Verband gegen den Strich: Die Überwachung sei Staatsaufgabe, die Kassen seien keine „Gesundheits- oder Ordnungsbehörden“. Vor allem aber könnten sie die Aufgabe praktisch nicht leisten.

Weder hätten sie alle Adressen – rund 16 Millionen Anschriften lägen nicht vor –, noch reichten die verfügbaren Druckerei-Kapazitäten, um bis zu 1,8 Millionen Schreiben pro Woche abzusenden. Kurz: So wie die Antragsteller sich das vorstellten, gehe es nicht.

Dabei befürworten die Kassen genauso wie die Mehrzahl der übrigen geladenen Verbände und Sachverständigen im Prinzip den Versuch, die niedrige deutsche Corona-Impfquote durch eine Pflicht zum Piks anzuheben.

Die Virologin Melanie Brinkmann vom Braunschweiger Helmholtz-Zentrum bekräftigte in der Anhörung die Mehrheitsmeinung ihrer Zunft, dass Omikron mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht die letzte Virus-Variante sein wird. Um eine neue hohe Welle im Herbst zu vermeiden, müssten Impflücken bis dahin geschlossen werden.

Andere wie die Deutsche Krankenhausgesellschaft fordern die Impfpflicht schon aus Gründen der Gerechtigkeit: Dem Personal sei nicht mehr zu vermitteln, dass es geimpft sein müsse, die Patienten aber nicht.

[Lesen Sie auch: Lauterbach zur medizinischen Versorgung: „Ich habe mich festgelegt, ich werde nichts streichen“ (T+)]

Skeptisch zeigt sich hingegen der Jurist Robert Seegmüller. Der Vorsitzende des Verwaltungsrichter-Bunds warnte, der Antrag zur allgemeinen Impfpflicht ab 18 sei nicht gerichtsfest. Die Gefahr neuer Varianten und Überlastungen sei darin nicht ausreichend belegt. Nun liegt diese juristisch sicher missliche Unberechenbarkeit freilich in der Natur des Virus.

Ob der Bundestag im April eine Impfpflicht beschließt und welche, bleibt aber ohnehin weiter offen. Eine Mehrheit hat bisher keiner der fünf Anträge. Womöglich, darauf wies am Montag CDU-Generalsekretär Mario Czaja hin, fällt die Entscheidung sogar erst im Prozess der Abstimmung. Denn zuerst wird nach den Regeln des Parlaments der weitestgehende Antrag abgestimmt. Das wäre also Scholz’ allgemeine Impfpflicht für jedermann ab 18 Jahren.

Fällt dieser Gesetzentwurf durch, können seine Anhänger danach aber in den nächsten Abstimmungen immer noch einer anderen Variante zur Mehrheit verhelfen – etwa dem Unionsmodell einer Pflicht auf Vorrat, die erst bei Bedarf aktiviert wird. Den gesetzlich Krankenkassen käme das recht. Das Unionsmodell sieht ein Impfregister auf Basis der Steuerdaten vor. Die Kassen wären außen vor. Mit der Papierflut müssten sich die Finanzämter herumschlagen.

Zur Startseite