Putins angebliche Wunderwaffe: Die Hyperschallrakete „Kinschal“ ist schnell, aber nicht treffsicher
Der Kreml möchte mit dem Einsatz der Hyperschallrakete Überlegenheit beweisen. Es könnte aber auch ein Hinweis sein, dass der Vorrat an Raketen zur Neige geht.
In der vierten Kriegswoche in der Ukraine verändern sich die Frontverläufe am Boden nicht wesentlich. Der Konflikt verwandelt sich in einen Stellungs- und Abnutzungskrieg. Entscheidend kann nun werden, wem das militärische Material früher ausgeht, den russischen Angreifern oder den ukrainischen Verteidigern. Und wer mit seiner psychologischen Kriegsführung erfolgreicher ist.
Russland setzte erstmals seine hyperschnelle Rakete „Kinschal“ (Dolch) ein – offenbar auch, um den Westen psychologisch zu beeinflussen. Laut Kreml-Propaganda ist sie eine Art Wunderwaffe, die technische Überlegenheit belegen soll. Die Nato habe keine Abwehrmittel. Sie kann nukleare Sprengköpfe tragen.
„Die Angriffe dieses Luft-Raketensystems auf die ukrainische Militärinfrastruktur während der militärischen Spezial-Operation werden fortgesetzt“, sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums in Moskau, Igor Konaschenkow, am Montagabend.
Die EU erhöht derweil die Mittel für Waffenhilfe an die Ukraine bei ihrem Außenministertreffen, auf eine Milliarde Euro. Dies war seit Tagen im Gespräch.
Militärexperte Gressel: Russland hat keinen technischen Vorsprung
Vor der „Kinschal“ solle man „nicht zu viel Angst haben“, sagt Gustav Gressel, Militärexperte des European Council on Foreign Relations (ECFR). Die höhere Geschwindigkeit der Rakete mache die Abwehr schwieriger, werde aber durch eine geringere Treffgenauigkeit erkauft.
Die Bilder, die Russland zum Beleg des erfolgreichen Einsatzes präsentiere, zeige nicht das Munitionsdepot, das man angeblich treffen wollte. Es stimme auch nicht, dass Russland bei der Entwicklung hyperschneller Waffen einen Vorsprung habe. Eher seien da umgekehrt die USA voraus.
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Deren Forschung lege aber mehr Wert auf Zielgenauigkeit. Bisher bestücken die USA ihre Raketen dieser Gattung nicht nuklear, sondern nur konventionell.
Moskau verbraucht Abstandswaffen schneller, als es produzieren kann
Der Begriff „Hyperschallwaffe“ führt zudem in die Irre. Schneller als Schallgeschwindigkeit fliegen auch die nicht so bezeichneten Raketen.
Russland hatte die „Kinschal“ 2018 erstmals vorgestellt. Sie basiert auf der „Iskander“-Rakete, erklärt Gressel, hat aber ein stärkeres Triebwerk und wird nicht von einer Rampe am Boden abgeschossen, sondern von einem Flugzeug, das schneller als der Schall fliegt.
Dadurch wächst die Anfangsgeschwindigkeit, sinkt aber die Treffgenauigkeit im Vergleich mit der „Iskander“. Bei der „Kinschal“ habe Russland noch nie nachprüfbare Angaben gemacht, worauf gezielt und was getroffen wurde.
Laut Gressel könnte der Einsatz der „Kinschal“ auch darauf hinweisen, dass der Vorrat an „Iskander“-Raketen bald aufgebraucht sei. Russland habe in den ersten vier Kriegswochen rund 900 Abstandswaffen wie die „Iskander“, den Vorläufer „Toschka“ aus der Sowjetzeit sowie „Kalibr“-Marschflugkörper eingesetzt.
Bedeutung hat die "Kinschal" für die nukleare Abschreckung
Das zeige, erstens, dass es die ukrainische Luftabwehr fürchte und Angriffe mit Kampfjets scheue. Und zweitens, dass der Bestand zur Neige geht. Man schätze, dass Russland über die vergangenen Jahre eine solche Rakete pro Woche herstellen konnte und zu Kriegsbeginn „ein paar Hundert im Depot“ hatte.
Strategische Bedeutung habe die „Kinschal“ bei der nuklearen Abschreckung, weil sie schwer abzufangen sei, sagt Gressel. Umgekehrt „hat die russische Abwehr gegen US-Hyperschall-Marschflugkörper auch keine guten Chancen“. Die eigene Verwundbarkeit erhöhe die Hemmschwelle.