Grenzen an der Balkanroute: Die Hoffnung der Flüchtlinge
Tausende Menschen sitzen an den Grenzen auf der Balkanroute fest. Ihre Lage verschlechtert sich immer weiter. Zu Besuch an den wichtigsten Stationen.
Er spricht feinstes Oxford-Englisch. „Ich muss mich beschweren“, sagt Yasin R. aus der syrischen Stadt Latakia. „Wir sind vor dem Hunger geflohen und jetzt sind wir hier und müssen uns stundenlang um Essen anstellen.“ Der 23-Jährige ist allein mit seinem 15-jährigen Bruder im griechischen Lager in Idomeni. Er hängt wie tausende andere Syrer und Iraker seit vielen Tagen an der mazedonischen Grenze fest.
Seine Eltern haben ihr Haus verkauft, um den Söhnen den Weg zu ebnen. Auf der Flucht an der syrisch-irakischen Grenze hat Yasin R. ein totes Kind gesehen. Das Bild hat sich eingebrannt. Er muss sich dauernd daran erinnern. Nur wenn der Literaturstudent beginnt, über seinen Lieblingsautor Tennessee Williams zu sprechen, entspannen sich seine Gesichtszüge. Yasin R. hat die Nummer 83. Eine Nummer zu haben, bedeutet in Idomeni, Hoffnung zu haben, dass man bald über die Grenze kann. 200 Leute werden etwa pro Tag durchgelassen. Jeweils etwa hundert Leute haben dieselbe Nummer. Yasin R. und sein Bruder haben sich darauf eingestellt, zu warten – wie die meisten anderen Flüchtlinge sind sie geduldig. „Es gibt nur ein paar Troublemaker hier“, sagt Yasin R. „Die meisten wollen damit nichts zu tun haben und sind ganz ruhig.“
Die griechisch-mazedonische Grenze in Idomeni ist die wichtigste auf der gesamten Balkanroute. Denn hier werden alle ganz genau kontrolliert. Die Filtermechanismen wurden in den vergangenen Monaten immer genauer. Und auch der Zaun – mittlerweile wurde er verdoppelt – hält die Migranten ab. Allein bis Mitte Februar, als die Afghanen noch durchdurften, wurden 7579 Migranten hier zurückgeschickt, 3202 hatten laut dem mazedonischen Innenministerium gefälschte Ausweise. Nun ist das Flüchtlingslager in Idomeni heillos überfüllt. Man muss sich ewig anstellen, um einen Tee zu bekommen. In der Nacht sitzen die Flüchtlinge gern rund um Lagerfeuer, viele kochen ihr Essen selbst. Doch in den vergangenen Tagen hat der Regen die Erde aufgeweicht. Trotz aller Not ist die Situation dennoch besser als vor einiger Zeit. Damals gab es noch gar keine Hilfe.
Tabanovtse kannte kaum ein Flüchtlinge vorher
Die andere wichtige Station auf der Balkanroute heißt Tabanovtse und liegt an der mazedonisch-serbischen Grenze. Hier sind 658 Afghanen hängen geblieben. Sie können nicht weiter in den Norden. Sie wollen aber auch ihre Hoffnung nicht aufgeben. Manche haben kleine Kinder dabei, manche wollen zu ihren Kindern, die bereits in Deutschland oder Österreich sind. Keiner von ihnen hat sich vorgestellt, dass seine Reise in Tabanovtse enden wird. „Niemand sagt uns hier irgendetwas“, sagt Yama Sorosh, ein afghanischer Flüchtling.
Tabanovtse liegt versteckt hinter hohen Autobahntrassen, ein kleines Dorf mit einer alten zerfallenen Moschee, ein paar Kleinbauernhöfen, durch die die Katzen huschen und die Hühner staksen. 400 Meter hinter den weißen Zelten, in denen die Flüchtlinge hausen, befindet sich Serbien. Es ist einer jener Unorte, von denen nie jemand gehört hat, bevor sie nicht entlang der Balkanroute zu Flüchtlingszentren wurden.
Durchschnittlich kostet die Reise jeden Flüchtling 4000 Dollar, die allermeisten haben ihr Erspartes aufgebraucht, wenn sie in Europa angekommen sind. Nun wundern sie sich, warum sie nicht weiterkommen. Die Gestrandeten von Tabanovtse wissen nicht, dass dahinter eine Entscheidung der Polizeidirektoren steht, wonach nur Menschen einreisen können, die aus Kriegsgebieten kommen. Aus Syrien und Irak zum Beispiel, aber nicht aus Afghanistan. Diese Tatsache wurde von Mazedonien und Serbien als Argument genommen, dass ausschließlich Syrer und Iraker durchgelassen werden.
So sitzen die Afghanen in dem eingezäunten Flüchtlingscamp fest. Sie hoffen jeden Abend auf den nächsten Tag. Morfeza Hamid zum Beispiel, der gegen die Taliban gekämpft hat und aus der Provinz Daikondi kommt. Er hat seinen Freunden in Afghanistan mitgeteilt, dass sie nicht kommen sollen, weil es keinen Sinn hat. Diese Botschaft nach Afghanistan zu bringen, ist genau das politische Ziel der drei Staaten Österreich, Slowenien und Kroatien. Es wird aber wohl noch einige Wochen dauern, bis die Botschaft ankommt.