Deutschland, die USA und die NSA-Affäre: Die große Romanze ist jetzt aus
Offiziell beschwören Politiker die transatlantische Verbundenheit. Doch neue Details im NSA-Skandal zeigen, wie sehr sich Europa und die USA ausspioniert haben. Gut, dass die Aufsicht über den BND ausgebaut wird. Ein Kommentar
Und wieder hat einer ein grelles Licht eingeschaltet und stört den Rest schummrig-kuscheliger transatlantischer Romantik, der nach Edward Snowden noch geblieben ist.
Dieses Mal sitzt Kurt Graulich am Schalter, ein Verwaltungsrichter im Ruhestand, der seit dem Sommer als „Sonderermittler“ im Auftrag der Bundesregierung jene Listen mit Zielen des amerikanischen Geheimdienstes NSA prüft, die das Kanzleramt dem Bundestag lieber nicht direkt überlassen wollte – wie sich nun zeigt, mit gutem Grund. Im gleißenden Licht der Analyse, die nun vorzeitig an die Öffentlichkeit gelangt ist, werden hässliche Details sichtbar.
NSA wollte mit Hilfe des BND deutsche Bürger ausspähen
In erheblichem Umfang hat die NSA versucht, mit Hilfe ihres Partners BND deutsche Bürger auszuspähen, deutsche und europäische Wirtschaftsunternehmen und ganze Stäbe europäischer Politiker. Nicht immer sortierte der BND die entsprechenden Ziele aus, gerade die Europäer ließ man offenbar erst mal in der gemeinsamen Datenbank, bis die Kanzlerin, zum Schrecken der Geheimdienstler, im Herbst 2013 erklärte, Freunde auszuspähen, gehe gar nicht.
Das verstößt gegen die Regeln, die sich Deutsche und Amerikaner selbst gegeben haben, als sie jenes Geheimdienstabkommen geschlossen haben, das beiden Seiten einst so nützlich erschien (Zugang zu zentralen Internetknotenpunkten in Deutschland im Tausch gegen die überlegene Technik der Amerikaner) – und das beide Seiten mittlerweile verfluchen dürften. Es zeugt von einer großen Rücksichtslosigkeit des mächtigeren Partners USA, wussten die Amerikaner doch, dass der BND zwar zu mancher Schandtat bereit war, aber mit Wissen um die Sensibilitäten der eigenen Bevölkerung den Schutz der eigenen Bürger ernst nahm.
Beim BND dachte man vielleicht: wie praktisch
Der BND wird sich nun auf einen Mangel an begründetem Misstrauen berufen und Besserung schwören. In Wahrheit dachte man sich vielleicht: wie praktisch. Die Amerikaner liefern uns europäische Ziele, die uns ohnehin interessieren, und wir erfahren gleich noch etwas über ihr Interessenprofil dazu. Wir nehmen beides und halten die Füße still.
Über die Doppelmoral der Geheimdienste hinaus aber bestätigt der Graulich-Bericht ein weiteres Mal, dass es das große Wir, die europäisch-amerikanische Affenliebe, in Wahrheit gar nicht gibt. Während Präsidenten und Ministerpräsidenten und die deutsche Kanzlerin unter wehenden Fahnen Verbundenheit schwören, belauern sich in den Serverräumen der internationalen Beziehungen die Techniker und versuchen, jedes Bit Information über den anderen abzusaugen. So selbstverständlich der Anblick dieses Querschnitts durch die Welt mittlerweile geworden ist, so deprimierend bleibt er.
Im geheimen Keller heißt es: Jeder gegen jeden – und jeder kennt diese Regel. Offen ist jetzt eigentlich nur noch die Frage, ob die USA, anders als sie stets beteuern, die Informationen über Unternehmen in Europa auch zur „Erlangung von Wettbewerbsvorteilen“ nutzten, wie es in der engen Definition von Wirtschaftsspionage heißt, die die Dienste gern nutzen.
Die Politik bastelt jetzt an den Kulissen. Die Aufsicht über den BND wird ausgebaut. Gut so. Die große Romanze aber ist aus.