Landtagswahl Mecklenburg-Vorpommern: Die große Angst vor der AfD
Umfragen sehen die AfD in Mecklenburg-Vorpommern bei 19 Prozent, im Osten des Bundeslandes könnte die Partei sogar bis zu 30 Prozent erreichen. Vor allem die regierende SPD bekommt Panik, weil sie abstürzt.
Jörg Kröger steht in der prallen Sonne und schwitzt. Auf einem Parkplatz mitten im Zentrum von Ludwigslust in Mecklenburg-Vorpommern hat sich die Alternative für Deutschland (AfD) breit gemacht mit einem Großaufgebot an Technik und Menschen. Rund 20 Parteihelfer stehen um Kröger herum, aber ansonsten ist niemand zu sehen. Kein Bürger will etwas von dem IT-Ingenieur, 61 Jahre, Direktkandidat für die Landtagswahl am 4. September. Kröger, in Jeans und Countryhemd, lächelt verlegen und sagt: „War kurzfristig angesetzt der Termin.“
Auch wenn es in Ludwigslust nicht nachzuvollziehen ist – laut Umfragen steht die AfD bei 19 Prozent. In der Parteiführung träumen sie jetzt schon davon, stärkste Partei werden zu können. Man profitiert davon, dass in der öffentlichen Wahrnehmung der Eindruck entsteht, dass das tatsächlich möglich wäre. Genau deshalb reden auch Vertreter der AfD überall dort darüber, wo sie auftreten. Nur Jörg Kröger verkneift sich das angesichts der Menschenleere vor ihm.
In vielen Wahlkreisen hat die AfD tatsächlich Chancen, Direktmandate zu gewinnen. So sieht das auch das Wahlprognoseinstitut election.de. Zurzeit geht es in manchen Wahlkreisen in Vorpommern, wo bisher traditionell auch die NPD stark verankert ist, teilweise Richtung 30-Prozent-Marke. 25 Prozent sind dort jedenfalls realistisch. Allerdings schafft es die AfD auch in Mecklenburg, wo traditionell die SPD stärker ist, an die 20-Prozent-Marke heranzukommen. In Sachsen-Anhalt konnte die AfD diese Marke bei der Wahl sogar weit überspringen, das ist auch in Westmecklenburg nicht unmöglich.
Stärkste Partei, sagt election.de, werde die AfD aber nicht
Die SPD ist landesweit von mehr als 35 Prozent bei der Wahl 2011 auf 22 Prozent abgerutscht. Die CDU steht bei 25 Prozent. Vor allem bei vielen Sozialdemokraten herrschen Panik und Hilflosigkeit. Viele haben sich bei election.de eingekauft, um die neuesten Wahlkreisprognosen zu verfolgen. Matthias Moehl von election.de warnt vor einer Fixierung auf diese Zahlen: „Zurzeit geben unsere Daten es nicht her, dass die AfD stärkste Partei werden kann. Das ist zumindest im Moment noch sehr unrealistisch.“
Stark wird die AfD aber auf jeden Fall. Das Flüchtlingsthema muss dabei nicht einmal eine entscheidende Rolle spielen. Einer wie Jörg Kröger ist gerade deshalb gefährlich für die etablierten Parteien, weil er gar nicht über Flüchtlinge redet. Er gibt vor, sich mit Themen zu beschäftigen, die die Menschen in den Landkreisen und Gemeinden, wo ehrenamtlich Politik gemacht wird, sowieso umtreibt. Kröger hat zuvor als Parteiloser ehrenamtlich Kommunalpolitik gemacht, da, behauptet er, habe er gesehen, dass die Sicht der Bürger gar nicht erwünscht sei von denen im Landtag. Stärkung der Kommunen, mehr Eigenverantwortung, Finanzierung von Infrastruktur und Grundversorgung – darum gehe es.
Opposition: Große Koalition macht Politik der Ökonomisierung
Doch hinter diesen Themen steckt nicht weniger als der große Strukturwandel in einem der ärmsten und am wenigsten bevölkerten Flächenländer Deutschlands. Tausende sind nach der Wende aus Mecklenburg-Vorpommern weggegangen, nun wird es immer schwieriger, die normale Daseinsvorsorge aufrechtzuerhalten. Weniger Menschen, weniger Geld, weniger Einnahmen. Die große Koalition hat mehrere Enquete-Kommissionen ins Leben gerufen, die sich um die „Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung“ oder dem „Älterwerden in MV“ kümmerten. Schaut man hinein, so ist die Hilflosigkeit der Politik zwischen den Zeilen zu lesen, wenn es etwa heißt: „Die entschlossene und zeitnahe Anpassung der Ausgaben an die künftige Einnahmesituation ist ohne Alternative.“ Noch schwieriger liest sich der folgende Satz: „…durch Strukturveränderungen soll eine wirtschaftlichere Erledigung bestehender Aufgaben… erreicht werden.“
Grüne und Linke im Landtag, die Opposition, nennen das „Politik der Ökonomisierung“, die nur auf „Effizienz“ ausgerichtet sei und aufs Sparen, nicht aber auf einen Dialog mit den Menschen. Silke Gajek, Spitzenfrau der Grünen, sagt: „In den letzten zehn Jahren hat die große Koalition die Menschen und ihre Bedürfnisse vergessen. Es ging hier oft nur um Zentralisierung, statt um Daseinsvorsorge.“ Das nutze die AfD nun gnadenlos aus.
Der Politikwissenschaftler Dierk Borstel, der aus Mecklenburg-Vorpommern stammt und sich mit den rechtsextremen Strukturen beschäftigt hat, sagt: „Die SPD verliert die kleinen Leute.“ Viele würden sich nach Jahren des Existenzaufbaus nach einer Antwort auf die Frage wünschen: Was bleibt uns? Die Flüchtlingsthematik, die vielen geschürten Vorurteile durch die AfD, wirken offenbar wie ein Trigger auf diese Existenz- und Identitätsängste.
Borstel spricht von einem „Stabilitätspakt“, den er sich wünsche, stattdessen würde sich die Politik immer weiter entfernen von den „realen Problemen der Menschen“.
Helmut Holter, von 1998 bis 2006 Arbeitsminister und wieder Spitzenkandidat der Linken, macht sich seinen eigenen Reim aus dieser Entwicklung: „Wir bekommen instabile Verhältnisse, weil die Menschen nicht mehr zwischen den etablierten Parteien unterscheiden können.“ Instabile Verhältnisse, das heißt auch, dass nach den Prognosen zurzeit keine Koalition der etablierten Parteien möglich ist.
Mit Stolz trägt er die Deutschlandfahne und lächelt
Die AfD hat da leichtes Spiel. Sie muss nur sagen, was nicht funktioniert, und sie kann gegen alles sein, ohne eigene Lösungen anzubieten. Beim Wahlkampfauftakt diese Woche in Rostock, 500 Anhänger, 500 Gegendemonstranten, spricht ein selbstbewusster Spitzenkandidat. Leif-Erik Holm, ehemaliger Radiomoderator und bis kürzlich Büroleiter der EU-Abgeordneten Beatrix von Storch, sagt: „Wir wollen die Verantwortung, wir werden als stärkste Fraktion in den Landtag einziehen.“ Jörg Kröger ist mit seinen Leuten auch in Rostock dabei. Erst steht er ruhig in der zweiten Reihe, am Ende der Veranstaltung mit Bundeschefin Frauke Petry läuft der Direktkandidat aus Ludwigslust immer öfter durch die Reihen, ein stolzes Lächeln auf dem Gesicht und eine große Deutschlandfahne schwenkend. Offenbar tut es gut, zumindest zu glauben, endlich einmal zu den Siegern zu gehören.