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Absturz in Frankreich: Journalisten handeln mit Ängsten und Gefühlen.
© AFP

Germanwings-Absturz: Die Gier nach der Katastrophe

Selten wurde über ein Thema so intensiv berichtet wie über den Absturz des Germanwings-Flugzeugs. Da kann sich allmählich Überdruss einstellen, meint Harald Martenstein. Doch es ist Quatsch, für die eigene Lust an der Katastrophe die Medien zu kritisieren.

Am Donnerstagabend sah ich fern, zuerst die Talkshow von Maybrit Illner, danach die Talkshow von Markus Lanz. In beiden Sendungen ging es um den Flugzeugabsturz. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass ich von dem Thema jetzt eigentlich genug habe. Der Overkill-Effekt hatte eingesetzt. Etwas Wichtiges, Berührendes oder Furchtbares passiert, alle Medien steigen darauf ein, es gibt fast keine anderen Themen mehr, und irgendwann kippt es. Auch wenn du selber Journalist bist, stellt sich bei dir dieses Gefühl des Überdrusses ein. Das Gesetz von Angebot und Nachfrage wirkt auch bei den Emotionen, wenn das Angebot zu groß ist, dann fallen die Preise.

Ich glaube nicht daran, dass man das Leid anderer wirklich teilen kann. Diese Idee hat auch den Autor Lessing stark beschäftigt. Wenn wir das Leid anderer sehen, schrieb Lessing, haben wir vor allem Angst davor, dass wir selbst an ihrer Stelle stehen könnten. Wenn jemand ein Kind verloren hat, dann stellt man sich vor, man selber habe ein Kind verloren. Und wir empfinden Erleichterung, weil es nicht so ist. Deshalb sehen Menschen gern Tragödien. Wir fühlen uns dabei sicher. Wenn man das Leid der Hinterbliebenen wirklich mitfühlen könnte, wäre es nicht auszuhalten.

Wir Medienleute handeln mit Gefühlen und Ängsten

Wir, die Medienleute, handeln mit Gefühlen und mit Ängsten, das ist unsere Ware, nicht die einzige Ware in unserem Angebot, aber doch eine der wichtigsten. Selten sind auf der Welt so viele Zeitungen verkauft und so viele Sendungen angeschaut worden wie in den Tagen nach den Anschlägen auf das World Trade Center. Ich musste damals den ersten Text für diese Zeitung schreiben, eine Stunde nach dem Anschlag. Wir wussten fast nichts. Eigentlich konnte man nicht viel sagen, außer der Banalität: Furchtbar.

Aber es muss geschrieben werden. Das ist der Job. Ein leere Zeitung oder ein schwarzer Bildschirm sind keine Option. Der Ablauf ist immer gleich. Am Anfang schreibt man ins Leere, die Gefahr ist groß, dass man Phrasen drischt oder sich in Spekulationen verirrt. Dann weiß man mehr. Es gibt, meistens, eine Erklärung. Jetzt schlägt die Stunde der Experten, der Politiker, der Verschwörungstheorien. Es wird geredet und geredet, geschrieben und geschrieben. Und irgendwann setzt die Katharsis ein. Der Hunger, der am Anfang da war, ist weg.

Das Mitleid und die weniger gut beleumundete, gleichwohl menschliche Lust an der Tragödie liegen so eng beieinander, dass ich sie nicht auseinanderklamüsern kann. Ich schäme mich immer dafür, dass ich an solchen Tagen richtig gierig bin auf die „Tagesschau“. Aber es ist Quatsch, für die eigene Lust an der Katastrophe die Medien zu kritisieren. Wir alle wollen nur unsere Angst besiegen.

Lesen Sie hierzu auch den Leitartikel von Peter von Becker über Empathie und Entsetzen in Zeiten der Katastrophe.

Harald Martenstein
Harald Martenstein
© Britta Pedersen/dpa

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