Athen und Berlin: Die Geduld geht zur Neige
Ein Abschied der Griechen vom Euro galt in Deutschland bisher als undenkbar. Nun scheint selbst der Bundesfinanzminister dieses Szenario nicht mehr auszuschließen – und erhöht damit den Druck auf das Land. Ist eine Hellas-Pleite inzwischen zu verkraften?
Der neue Ton lässt aufhorchen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) macht deutlich, dass die Geduld mit den Hellenen allmählich zu Ende geht. Zwar betont er den Wunsch der Bundesregierung, „dass Griechenland in der Euro-Zone bleibt“. Doch dann der entscheidende Nachsatz: „Aber es muss dies auch wollen und sich seinen Verpflichtungen stellen. Wir können niemanden zwingen.“ Man habe in den vergangenen zwei Jahren viel gelernt und die Eurozone könne auf „Unvorhergesehenes“ reagieren. Damit brach der Finanzminister mit dem Credo der Bundesregierung, das nach dem Beginn der Griechenland-Krise rund zwei Jahre lang als alternativlos galt: Griechenland muss unbedingt in der Euro-Zone bleiben.
Was ist heute anders als vor zwei Jahren?
Es glich einem Offenbarungseid, als der damalige griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou im April 2010 bei einer Fernsehansprache vor malerischer Insel-Kulisse zugeben musste, dass sein Land ohne Hilfe von der EU und des Internationalen Währungsfonds (IWF) nicht mehr über die Runden komme. Schon zuvor waren deutsche Politiker schnell mit dem Vorschlag bei der Hand gewesen, die Hellenen mögen zur Begleichung ihrer Schulden doch einfach ein paar Inseln verkaufen. Das Gedankenspiel eines griechischen Euro-Austritts verbot sich zumindest für deutsche Regierungsmitglieder aber schnell von selbst – zu groß erschien damals das Risiko, dass die ganze Euro-Zone auseinanderbrechen könnte.
Die Koalitionsverhandlungen in Griechenland ziehen sich hin. Die Ereignisse in Bildern:
Heute wären andere europäische Krisenstaaten gegen den befürchteten Domino-Effekt besser gewappnet. Das liegt auch daran, dass die „Brandmauer“ zwischen Griechenland und dem Rest der Euro-Zone in den zwei Jahren befestigt wurde. Zum einen können die Europäer auf den bestehenden Rettungsschirm EFSF zurückgreifen, in dem bislang Nothilfen für Griechenland, Irland und Portugal in Höhe von knapp 200 Milliarden Euro vorgesehen sind. Hinzu kommen noch nicht verplante EFSF-Mittel über 240 Milliarden Euro, die schnell eingesetzt werden könnten, wenn sich die Lage in einigen Euro-Krisenländern wieder zuspitzen sollte. Diese Mittel sollen als Puffer vorgehalten werden, so lange der dauerhafte Rettungsschirm ESM mit einem maximalen Ausleihvolumen von 500 Milliarden Euro allmählich über der Euro-Zone ausgeklappt wird. Der ESM, über den der Bundestag noch abstimmen muss, soll ab 1. Juli einsatzbereit sein. Im schlimmsten Fall soll er in der Lage sein, auch große Länder wie Spanien oder Italien vor der Krise zu bewahren. Anders als der bisherige Rettungsfonds EFSF wird er über eine Bareinlage von 80 Milliarden Euro verfügen – die Summe muss aber über die nächsten Jahre erst noch eingezahlt werden.
Volkswirte halten ein Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone für eine Option, die wahrscheinlicher geworden ist. Die Euro-Zone könne einen solchen Schritt sicherlich besser verkraften als noch vor zwei Jahren, sagt Uwe Angenendt, Chef- Volkswirt der BHF Bank. Nicht EFSF und ESM , sondern vor allem die Europäische Zentralbank sei dabei der wichtige Faktor. Über ihre beiden großen, günstigen, im Dezember und Februar gewährten Drei- Jahres-Kredite an die europäischen Banken im Volumen von einer Billion Euro stützt sie indirekt auch die Krisenländer und beugt damit Zahlungsausfällen vor. Mit dem EZB-Geld kaufen die Institute ganz offensichtlich Euro-Staatsanleihen und stützen damit die Krisenstaaten.
Wie groß sind die Risiken heute?
Wie groß sind die Risiken heute?
Vor allem die Ansteckungseffekte für die anderen Krisenländer sind nach einem Ausscheiden Griechenlands schwer abzuschätzen. „Das ist die eigentliche Gefahr“, sagt Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Banken. „Wir wissen nicht, was für die anderen Länder herauskommen würde, wenn Griechenland kippt.“ Von einer Katastrophe für alle Beteiligten spricht Klaus Regling, Chef des Euro-Rettungsschirm EFSF. „Das hätte gewaltige Auswirkungen.“ Volkswirt Angenendt verweist auch auf die finanziellen Folgen, wenn Athen den Euro verlässt. „Alle bisher gezahlten Hilfskredite könnten die Europäer wohl abschreiben.“ Dies gilt auch für die Forderungen der EZB aus dem europäischen Zahlungsverkehrssystem Target an Athen. Da stehen gegenüber Griechenland 110 Milliarden Euro auf dem Spiel, von denen die Bundesbank – und damit der deutsche Steuerzahler – gemäß ihres Anteils an der EZB 27 Prozent tragen müsste. Insgesamt beziffert Angenendt die möglichen Ausfälle für die Euro–Zone beim Ausscheiden Griechenlands auf 300 Milliarden Euro. Deutsche Banken allerdings könnten diese Entwicklung verkraften: Sie haben nach dem Schuldenschnitt und nach einem weiteren Abbau griechischer Staatspapiere nur noch Forderungen von höchstens einer Milliarde Euro an Athen.
Was passiert eigentlich, wenn Griechenland Pleite geht?
Was würde es für Griechenland bedeuten?
Für Griechenland ist ein Ausscheiden aus der Euro-Zone „ökonomisch allenfalls kurzfristig von Vorteil, langfristig aber schlecht“, sagt Ulrich Kater von der Deka-Bank. Die Abwärtsspirale der griechischen Wirtschaft würde sich beschleunigen, die Arbeitslosigkeit würde in die Höhe schießen, Preise gingen nach oben, Löhne noch weiter nach unten, der Staat könnte Löhne und Gehälter vielleicht gar nicht mehr zahlen. Die neue, alte Drachme würde drastisch abwerten, Importe könnten nicht bezahlt werden, es käme zu Versorgungsengpässen. Es müsste noch stärker gespart werden, die Auslandschulden könnten nicht mehr bedient werden. Zwar würden Exporte durch die abgewertete Drachme günstiger, aber die Ausfuhr spielt in Griechenland eine wesentlich geringere Rolle als in anderen Staaten. „Griechenland würde in eine katastrophale Lage kommen“, sagt EFSF-Chef Regling. „Ein Austritt Athens hilft Griechenland nicht, und er hilft der Euro-Zone nicht“, sagt auch Angenendt.