Machtwechsel in Tiflis: Die Furcht in Georgien lässt nach
Georgiens neues Parlament trifft sich in Kutaissi zu seiner konstituierenden Sitzung. Zuvor hatte Präsident Saakaschwili recht zügig die Niederlage seiner Partei eingestanden.
Es war einige Abende nach der Parlamentswahl in Georgien. In den angesagten Kneipen und Cafés in der Altstadt von Tiflis waren die Lichter angegangen. Plötzlich fiel der Strom aus. Im "Literatur-Café" wurde es für einige Minuten stockduster. Als kurz darauf der Strom bereits ein drittes Mal wegblieb, rief ein junger Mann in das verärgerte Murmeln der Gäste hinein: "Anarchie!" Es wurde still. Dann setzte an den Tischen ringsherum ein befreites Lachen ein. Stromausfälle und ganze Abende bei Kerzenlicht beherrschen die Erinnerungen der Georgier an die chaotischen neunziger Jahre in ihrem Land. Diese Zustände änderten sich erst nach der Rosenrevolution 2003. Die Regierung unter Michail Saakaschwili konsolidierte und modernisierte den Staat.
Doch die Angst vor unruhigen Zeiten kehrte mit der Parlamentswahl am 1. Oktober zurück. Denn Saakaschwilis Nationale Bewegung verlor die Parlamentsmehrheit an das Bündnis Georgischer Traum des Milliardärs Bidsina Iwanischwili und noch nie hatte es in Georgien eine reguläre Machtübergabe gegeben.
In den vergangenen Tagen ließ die Furcht jedoch nach. Für viele unerwartet und von der internationalen Gemeinschaft aufmerksam beobachtet, gestand Saakaschwili recht zügig die Niederlage seiner Partei ein und gab sich kompromissbereit. Im bevorstehenden letzten Jahr seiner Amtszeit als Präsident steht Saakaschwili nun eine Kohabitation mit seinem Gegner Iwanischwili bevor, der bereits als Premier nominiert ist. Dessen Bündnis gewann 85 Sitze im Parlament, die Nationale Bewegung 65. Am Sonntag kamen die neuen Abgeordneten zu ihrer konstituierenden Sitzung im neuen Parlament in der zweitgrößten Stadt Georgiens, in Kutaissi, zusammen.
Ein geradezu historischer Moment war das Treffen beider politischer Gegner und ihrer Teams einige Tage zuvor. Den anschließend vor den Medien zelebrierten Handschlag absolvierten die Beteiligten mit verschlossenen Minen, was ein schwieriges Gespräch vermuten lässt. Der künftige Vizepremier und Verteidigungsminister Irakli Alasania war dabei: "Iwanischwili hat klargestellt, dass wir jetzt an der Macht sind und dass Saakaschwili die Regierungsarbeit nicht sabotieren soll. Er hat aber auch gesagt, dass wir uns auf die Zukunft des Landes konzentrieren und nicht zu tief in der Vergangenheit graben werden."
Alasania und sein Team nahmen in den vergangenen Tagen ihr künftiges Ministerium in Augenschein, ohne allerdings eine Übergabe durch den Amtsvorgänger bekommen zu haben. Der Verteidigungsminister hatte georgischen Medienberichten zufolge wie andere hochrangige Regierungsmitglieder das Land nach der Wahl verlassen. "Als erste gingen der Justizminister und der Generalstaatsanwalt. Das zeigt, wie sehr ihnen selbst klar ist, wie viel Unrecht sie begangen haben", sagt Alasania. Sein künftiges Ministerium habe sein Team in einem katastrophalen Zustand vorgefunden. Erste Nachforschungen hätten ergeben, dass Millionen Gelder ohne jeglichen Nachweis über ihre Verwendung ausgegeben wurden. Vorherige Minister hätten das Verteidigungsressort offenbar wie ein kriminelles Privatunternehmen geführt. Doch dies müsse durch eine unabhängige Untersuchung geklärt werden.
Alasania selbst will erstmals eine parlamentarische Kontrolle über das Militär einführen, ebenso wie einen Militär-Ombudsmann. Ja, es sei eine große Verantwortung für die bisherige Opposition, jetzt die Regierung zu übernehmen. "Aber wir sind vorbereitet. Jahrelang haben Strategien ausgearbeitet. Jetzt ist die Zeit gekommen, sie umzusetzen."
Doch nicht alle künftigen Verantwortlichen scheinen gut vorbereitet oder auch geeignet zu sein. Für Kopfschütteln vor allem bei den Skeptikern sorgten missverständliche Äußerungen des künftigen Premiers Iwanischwili. Er reagierte jedoch schnell, als mehrere NGOs Kritik am künftigen Flüchtlingsminister Davit Darachwelidse übten. Dieser war im Wahlkampf bei fremdenfeindlichen Äußerungen gefilmt worden. Iwanischwili lud die NGOs und Darachwelidse zu einem klärenden Gespräch ein.
Der Multimilliardär wird schnell zeigen müssen, wie ernst er es mit seinen Versprechen meint, demokratischer zu regieren als Saakaschwilis Partei. So ist die Frage, ob er als Premier all seine Einkünfte und Unternehmen sowie Firmenbeteiligungen in Georgien offenlegen wird. Auch ist fraglich, ob die Regierung einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen kann und zugleich die versprochenen Sozialmaßnahmen umsetzen wird.