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Kunden stehen mit Einkaufswagen in einem Hornbach-Baumarkt in einer Schlange vor den Kassen an.
© Sven Hoppe/dpa

Susanne Eisenmann will Kretschmann vom Thron stoßen: „Die Formel ,Baumarkt zu, Schule zu‘ ist mir zu einfach“

Herausforderin in Baden-Württemberg: Susanne Eisenmann (CDU) über den grünen Landesvater, Kritik an der Kanzlerin und Politik auf Entwicklungslandniveau.

Susanne Eisenmann war elf Jahre Bürgermeisterin für Kultur, Bildung und Sport in ihrer Heimatstadt Stuttgart, bevor sie 2016 als Kultusministerin ins Landeskabinett einzog. Die CDU, seit Jahrzehnten stark in Fraktionen gespalten, machte sie auf Vorschlag des Landesvorsitzenden Thomas Strobl zur Spitzenkandidatin. Die 56-Jährige zählt zum liberalen, städtischen Flügel, kam aber in ihrer energischen Art auch bei den Konservativen im Ländle an.

Frau Eisenmann, Sie wollen in einer Woche den Grünen Winfried Kretschmann ablösen und Ministerpräsidentin von Baden-Württemberg werden. Warum sollten die Menschen so einen Wechsel wollen? Die letzten zehn Jahre waren bei Ihnen im Land doch vom Aufschwung geprägt.

Niemand wird für die Vergangenheit gewählt. Und die Tatsache, dass es gut gelaufen ist, lag weniger an Grün-Schwarz oder Grün-Rot. Im Aufschwung konnte man einfach nicht viel falsch machen. Deshalb war Winfried Kretschmann mit seinem sehr präsidialen, nicht von Entscheidungsfreude geprägten Regierungsstil gar nicht falsch.

Aber nach einem Jahr Pandemie stehen wir vor neuen Fragen: Wie gelingt Wertschöpfung zukünftig noch, wie schaffen wir neue Arbeitsplätze? Wir haben Firmen, die ihre Ausbildungskapazität um 80 Prozent verringert haben. Auf uns kommt ein massiver Strukturwandel zu. Winfried Kretschmann hat 2019 bei seiner erneuten Kandidatur gesagt: „Das Neue ist das Alte.“ Das sehe ich anders. Die nächsten zehn Jahre werden anders als die zurückliegenden.

Gerade in der Pandemie wünschen sich die Menschen aber Verlässlichkeit. Kretschmann wirbt neuerdings mit dem Slogan: „Sie kennen mich“ – Angela Merkels Schlusswort im Fernsehduell 2013.

Ja, die Grünen haben Winfried Kretschmann. Die Frage ist: Wie lange? Er hat ja selbst die Diskussion über mögliche Nachfolger angestoßen. Was bleibt, wenn er nicht die vollen fünf Jahre im Amt bleibt? Dann bleiben die Grünen. Deshalb muss man immer auch auf die Partei schauen und was die Grünen eigentlich wollen, losgelöst von Winfried Kretschmann.

"Die Grünen haben Winfried Kretschmann. Die Frage ist: Wie lange?", sagt Eisenmann.
"Die Grünen haben Winfried Kretschmann. Die Frage ist: Wie lange?", sagt Eisenmann.
© dpa/Christoph Schmidt

Trotzdem hat man den Eindruck, Sie tun sich schwer mit einem Gegner, der ja obendrein als Ihr Regierungspartner ist.

Im Wahlkampf streiten wir über die besseren Konzepte für die nächsten Jahre nach der Pandemie. Aber wir diskutieren natürlich auch um den richtigen Weg in der Pandemie. Das hat nichts mit Kampagne zu tun, sondern das ist gelebte Demokratie. Wir ringen auch in der Regierung.

Was hätten Sie denn da anders gemacht?

Es läuft oft so ab, dass wir als CDU ein Thema ansprechen, sei es die Teststrategie, die Impfstrategie oder die schrittweise Öffnung der Schulen. Die Grünen lehnen erst mal ab, nur um wenige Tage oder Wochen später zu sagen: Jetzt machen wir's doch so. Wir haben uns zum Beispiel schon im April letzten Jahres für einen landeseigenen Rettungsschirm für unsere Unternehmen eingesetzt. Die Grünen wollten das nicht, auch Winfried Kretschmann nicht. Wir haben es aber durchgesetzt, und es war – ergänzend zu den Hilfen des Bundes – entscheidend für das Überleben des Gastgewerbes und anderer Branchen.

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Das Gleiche bei einem Investitionspaket, das Gleiche zuletzt bei der Ausweitung der Teststrategie: Erst dagegen, dann plötzlich doch. Verstehen Sie mich nicht falsch: Wir haben als Landesregierung vieles richtig gemacht. Nur beim Tempo, bei der Weitsicht, bei der Entscheidungsfreude unterscheiden wir uns in der Regierung gründlich. Das ist der Unterschied zwischen Schwarz und Grün, zwischen Eisenmann und Kretschmann.

Beim Thema Schulöffnungen waren Sie sogar schneller als viele in Ihrer eigenen Partei. Da haben Sie sogar die Kanzlerin kritisiert. Ist das klug, wo doch auch die CDU in Baden-Württemberg von der Popularität von Angela Merkel profitiert?

Ich hab’ sie nicht kritisiert. Ich finde, dass die Kanzlerin im Krisenmanagement einen sehr guten Job macht. Mir wurde nur die Frage, welche Perspektive wir Kindern, Jugendlichen und Eltern bieten, in Berlin nicht differenziert genug gesehen. Ich bin als Kultusministerin in Baden-Württemberg dafür aber zuständig.

Ich habe in Expertenrunden nach dem ersten Lockdown neben Virologen auch mit Kinderärzten, Schulpsychologen und Sozialarbeitern gesprochen. Was die sagen, ist erschütternd: Wenn die Kitas und Schulen geschlossen sind, ist das fatal für die sozial, psychische und motorische Entwicklung von Kindern. Da hätte ich mir mehr Differenzierung nach Alter gewünscht. Die Formel „Baumarkt zu, Schule zu“ ist mir zu einfach.

Aber da ist ja inzwischen auch einiges passiert. Und da bin ich im Übrigen mit vielen Kolleginnen und Kollegen Kultusministern einig.

Susanne Eisenmann, Kultusministerin und CDU-Spitzenkandidatin in Baden-Württemberg.
Susanne Eisenmann, Kultusministerin und CDU-Spitzenkandidatin in Baden-Württemberg.
© Thomas Köhler/imago images/photothek

Der Corona-Gipfel hat am Mittwoch keine weiteren Schulöffnungen beschlossen – dafür aber „Baumarkt auf“. Ist das nicht genau das Gegenteil von dem, was Sie wollen?

Schon beim vorletzten digitalen Treffen haben Bund und Länder beschlossen, dass die Länder das weitere Vorgehen bei den Schulen regeln sollen. Aber auch in Baden-Württemberg entscheide ich nicht allein. Wir gehen nun am 15. März den nächsten Öffnungsschritt an den Schulen: die Grundschulen sowie die Klassenstufen Fünf und Sechs an allen weiterführenden Schulen kehren in den Regelbetrieb unter Pandemiebedingungen zurück.

Die Kultusminister sehen sich inzwischen aber auch bundesweit mit der Kritik konfrontiert, dass sie Digitalisierung, Hybridunterricht, Luftfilter in Klassenräumen nicht geregelt kriegten! Wo ist der Sprung nach vorn in der Pandemie, damit Schulen trotz Pandemie funktionieren?

Ich würde mir wünschen, dass man auf alle so genau schaut wie auf die Kultusminister. Wo ist denn im Gesundheitswesen der große digitale Sprung? Wo ist er in der Verwaltung insgesamt?

Ich behaupte, dass in keinem Bereich so viel passiert ist im vergangenen Jahr wie bei den Schulen. Wir in Baden-Württemberg haben 300.000 Laptops an die Schulen gebracht, Serverkapazitäten deutlich ausgebaut. Unsere Schulen haben Corona-Budgets von insgesamt 40 Millionen Euro erhalten, mit dem sie das anschaffen können, was sie benötigen, um möglichst gut durch die Pandemie zu kommen. Seit den Weihnachtsferien läuft der Fernunterricht gut, auch wenn es mal Hacker-Angriffe und kurzzeitige Ausfälle gibt. Wir haben Regeln für den Fernunterricht aufgestellt, die Kapazitäten für die Lehrerfortbildung ausgebaut.

Wenn Sie jetzt sagen, dass das alles zu spät kommt, dann stimme ich Ihnen zu. Die Digitalisierung in Deutschland ist generell zu langsam. Nur: Von dem, was in den Schulen inzwischen passiert ist, können sich andere Scheiben abschneiden.

Ja?

Die Corona-App – bis jetzt kein wirkungsvolles Konstrukt. Und wenn ich mir anschaue, wie digital die Gesundheitsämter ausgestattet sind – da kann ich nur sagen: Nigeria lässt grüßen!

Nigeria ist, was digitale Meldesysteme bei Seuchen angeht, zum Teil deutlich weiter als Deutschland.

Die Diskussion, warum wir in Deutschland bei der Technik und Digitalisierung weniger fortschrittlich sind, als wir immer denken, muss man auch losgelöst von Corona führen. Wir haben allein in Baden-Württemberg 1,1 Milliarden Euro in dieser Legislaturperiode in den Ausbau von Glasfaserkabeln für schnelles Internet investiert. In den fünf Jahren zuvor unter Grün-Rot waren es 73 Millionen Euro. Dass man da nicht bestmöglich aufgestellt ist, ist klar. Generell holen Sie nicht in elf Monaten auf, was in acht oder zehn Jahren schlichtweg verschlafen worden ist.

Die Corona-App – nach Meinung von Susanne Eisenmann "bis jetzt kein wirkungsvolles Konstrukt".
Die Corona-App – nach Meinung von Susanne Eisenmann "bis jetzt kein wirkungsvolles Konstrukt".
© dpa/Christoph Dernbach

Dennoch sagen Sie, dass der Fernunterricht in Baden-Württemberg mittlerweile gut läuft. Warum wollen Sie dann, dass alle Kinder an die Schulen zurückkehren? Bleibt das nicht bei steigender Inzidenz und dem Vormarsch der Mutanten ein Himmelfahrtskommando?

Haben Sie sich mal mit Leuten unterhalten, die sich auskennen? Es geht doch bei Schule nicht nur um die Vermittlung von Wissen. Es geht darum, dass Kinder andere Kinder brauchen, dass Jugendliche andere Jugendliche brauchen.

Schule ist auch Persönlichkeitsentwicklung. Schule ist auch ein Umfeld, in dem soziale Kontrolle im Sinne von Entwicklungskontrolle stattfindet. Wir haben nicht nur stabile Elternhäuser, wo die Welt in Ordnung ist und die Eltern den 15-Jährigen wunderbar unterstützen können. Viele Jugendliche tun sich mit dem Fernlernen enorm schwer. Studien zeigen, dass der Lernerfolg im Fernunterricht deutlich geringer ist – selbst wenn die technische Ausstattung gut ist. Stundenlang vor dem Rechner sitzen und sich zu konzentrieren, ist für viele eine große Herausforderung. Deswegen ist der Präsenzunterricht einfach durch nichts zu ersetzen.

Sie orientieren sich da auch an Frankreich, wo im zweiten Lockdown die Schulen offen blieben.

Ja - und trotzdem war es dort möglich, die Infektionszahlen zu drücken. Kinder und Jugendliche brauchen einfach mehr als nur einen Bildschirm und drei kluge Sätze.

Aber nochmal: Gerade die britische Variante ist enorm ansteckend. Haben Sie da nicht auch die Verantwortung, Lehrerinnen und Lehrer zu schützen? Eltern, die zur Risikogruppe gehören?

Deswegen müssen wir ja auch unsere Teststrategie ändern. Und zwar nicht nur ein bisschen, sondern komplett. Es ist wichtig, Nicht-Infizierte frühzeitig von - oft auch symptomlosen – Infizierten zu trennen. Dafür müssen wir anlasslos, niedrigschwellig und wohnortnah testen. In Apotheken, beim Arzt, in kommunalen Testzentren. Es muss möglich sein, einfach ohne Termin vorbeizugehen und kostenlos den Test zu bekommen.

Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher, die in Präsenz arbeiten, erhalten in Baden-Württemberg bereits das Angebot für zwei anlasslose Schnelltests pro Woche. Das muss auch für Schülerinnen und Schüler und ihre Eltern möglich sein. Wenn man das ergänzt mit Masken und Impfungen - dann ist die Öffnung der Schulen durchaus zu verantworten.

Lässt sich die Politik auch ein Stück weit treiben von einer Stimmung in der Bevölkerung? Es wirkt doch etwas paradox, dass wir ausgerechnet jetzt, wo die Zahlen wieder steigen, über Lockerungen reden.

Natürlich dürfen wir uns als Politik nicht unter Druck setzen lassen. Wir können jetzt nicht alles auf einmal öffnen, und eine dritte Welle muss unbedingt verhindert werden. Aber trotzdem haben sich ja auch unsere Möglichkeiten verändert: Wir sehen schon jetzt, dass durch die Impfungen bei der ganz alten Zielgruppe die Intensivbehandlungen nachlassen. Wir haben die Schnelltests. Da würde es die Bevölkerung nicht akzeptieren, wenn wir noch monatelang alles zulassen.

Verspüren Sie denn im Wahlkampf bei den Menschen wirklich Ungeduld?
Ja. Man spürt, dass die Ungeduld wächst und die Akzeptanz für die Einschränkungen sinkt. Klar ist ja: Wenn die Menschen die Auflagen nicht mehr akzeptieren würden, hätten wir gar nichts gewonnen. Weil, wenn sich keiner mehr an Vorgaben halten würde, hätten wir ein großes Problem. Deswegen können wir als Politik nicht sagen: Jetzt machen wir das, was wir derzeit machen, einfach noch ein paar Monate so weiter.

Apropos Stimmung im Wahlkampf: Sie hatten sich ja eigentlich einen anderen CDU-Chef als populäres Zugpferd für den Südwesten gewünscht, Friedrich Merz. Ein bisschen enttäuscht?

Vom Profil und seinen Schwerpunkten her hätte Merz sehr gut zu uns gepasst. Der Mittelstand als Rückgrat unserer Wirtschaft, die Automobil- und Zuliefererindustrie sind zentrale Themen für unser Land. Deswegen hat sich die CDU in Baden-Württemberg auch mehrheitlich für ihn ausgesprochen. Aber Armin Laschet hat sich durchgesetzt, und es gibt auch in Baden-Württemberg keinerlei Diskussion mehr darüber. Da gibt's überhaupt keine Verwerfungen.

Könnte Merz die Wahlkämpfer nicht noch etwas mehr unterstützen?

Er macht ja Termine bei Kandidatinnen und Kandidaten, so wie Armin Laschet und viele andere auch. Aber man darf jetzt auch nicht den Glauben haben, wenn einer zweimal auftritt, hat man gleich höhere Zustimmungsraten. Die CDU ist insgesamt gut aufgestellt, und das ist mir wichtig.

Wenn die Demoskopen fragen, wie die Leute so drauf sind, dann schneidet die Landes-CDU derzeit bemerkenswert schwach ab – deutlich schwächer als im Bundestrend…

Ich bin bei diesen Umfragen sehr vorsichtig. Es gibt sehr unterschiedliche Umfragen und Bewertungen. Und wenn Sie mal nach Stuttgart schauen: Nach allen Umfragen vor der Oberbürgermeisterwahl im November hätten wir dort eine grüne Oberbürgermeisterin. Geworden ist es der CDU-Kandidat Frank Nopper, und die Grünen-Kandidatin ist im zweiten Wahlgang nicht mal mehr angetreten. Wir warten jetzt mal ab. Die Entscheidung fällt am 14. März. Wir setzen auf Sieg und nicht auf Platz.

Robert Birnbaum, Maria Fiedler

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