EU-Gipfeltreffen mit China: Die Europäer müssen entscheiden, ob sie den Konflikt mit Autokraten wagen
Chinas Führung fürchtet die wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Kriegs, verurteilt Russland aber nicht. Welche Konsequenzen sollte die EU daraus ziehen?
Mehrfach wurde er verschoben, doch nun findet am Freitag nach langer Zeit wieder ein EU-China-Gipfel statt – per Videokonferenz und mitten im Krieg. Russlands Präsident Wladimir Putin und Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping hatten sich im Februar Treue geschworen. Peking fürchtet die wirtschaftlichen Auswirkungen des Ukraine-Krieges, mahnt zum Frieden, verurteilt Russland aber nicht. Zu groß sind die gemeinsamen Interessen.
Damit stellt Peking die Weltordnung infrage, provoziert den Westen. Für die EU, deren Wirtschaft mit China eng verflochten ist, wirft das die Frage auf, welche Konsequenzen seine Führung ziehen sollte. Der Tagesspiegel hat eine Expertin und zwei Experten gefragt, die sich schon lange mit dem Verhältnis der EU zu China befassen.
[Alle aktuellen Nachrichten zum russischen Angriff auf die Ukraine bekommen Sie mit der Tagesspiegel-App live auf ihr Handy. Hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen.]
Was lehrt die Erfahrung mit Putin für den Umgang mit anderen Autokratien?
THORSTEN BENNER, Co-Direktor des Thinktanks Global Public Policy Institute: Wir sollten die Entschlossenheit zunehmend allein herrschender Großmacht-Führer nicht unterschätzen, ihre hegemonialen Ziele mit militärischer Gewalt durchzusetzen. Wir sollten alles daran setzen, nicht eines Tages aufzuwachen und festzustellen, dass wir Pekings Aggressionen nicht die Stirn bieten können, weil wir von China abhängig sind. Einzelne kleinere Abhängigkeiten von kleineren autoritären Staaten etwa im Energiebereich sind weniger problematisch, aber von einer aggressiven Großmacht wie China können wir uns in keinerlei Bereichen abhängig machen.
DANIELA SCHWARZER, Exekutivdirektorin für Europa und Eurasien der Open Society Foundation und Autorin des Buches "Final Call. Wie Europa sich zwischen China und den USA behaupten kann" (2021): Die EU und gerade Deutschland haben sich in ihrer Außenpolitik gegenüber autoritären Regimen viel zu lange von Wunschdenken leiten lassen. Im Falle Russlands lockte günstiges Gas, im Falle Chinas gewinnbringende Exporte.
Wirtschaftliche Beziehungen versprachen zudem politische Zugänge, gerade zu schwierigen Regimen, und lange wurde erwartet, dass wirtschaftliche Offenheit Demokratisierung und offene Gesellschaften unterstützen wurden. Warnungen, wir Europäer machten uns von autoritären Regimen zu abhängig, wurden missachtet, obwohl Wladimir Putin und Xi Jinping ihre Ziele seit Jahren offenlegen - und entsprechend handeln.
Eine Lehre ist, autokratische Herrscher ernst zu nehmen, wenn sie ihre Weltsicht und das, was darauf an Handlungen folgt, offen legen - auch wenn sie damit alle Grundannahmen, auf denen deutsche und europäische Politik fußt, in Frage stellen. Selbst wenn der schlimmste Fall nicht eintritt, sind Deutschland und Europa gut beraten, sich darauf vorzubereiten.
REINHARD BÜTIKOFER, Europaabgeordneter der Grünen und Leiter der Delegation für die Beziehungen mit China: Die alte Doktrin, dass gegenseitige Abhängigkeiten mit Ländern wie Russland oder China eine die internationale Ordnung stabilisierende Rolle spielen würden, muss man hinter sich lassen. Regime wie das in Moskau und das in Peking nützen wirtschaftliche Abhängigkeiten aus, um ihre imperialen Ziele zu verfolgen. Chinas Xi ist mit Russlands Putin einen revisionistischen Pakt eingegangen, der sich gegen die USA, die Nato und die Interessen Europas richtet und die multilaterale Weltordnung durch eine von autoritären Großmächten dominierte zu ersetzen. Demgegenüber brauchen wir die strategische Solidarität zwischen Demokratien und mit anderen gleichgesinnten Ländern sowie eine wesentlich wirksamere Partnerschaftspolitik gegenüber dem globalen Süden.
Was folgt daraus für den Umgang mit China?
BENNER: Wir sind da leider erst am Anfang eines Umdenkprozesses. China wird der entscheidende Testfall für die Ernsthaftigkeit der „Zeitenwende“- Agenda sein. Zu viele in Deutschland geben sich Illusionen hin nach dem Motto „China ist nicht Russland“, um eine weitere Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen zu rechtfertigen.
EU-Außenpolitikchef Borrell fantasiert von China als Mediator im Ukraine-Krieg. Viele sind heute zu blind, um zu sehen, dass Peking fest an der Seite Moskaus steht und damit neben einem demokratiepolitischen und wirtschaftlich-technologischen auch zu einer sicherheitspolitischen Rivalen Europas geworden ist. In der Rückschau ist es atemberaubend, wieviel Energie es brauchte, um zu verhindern, dass Huawei einen Freifahrschein für die kritische Infrastruktur 5G ausgestellt wurde.
SCHWARZER: Wir müssen die wirtschaftlichen Beziehungen zu China erhalten und zu globalen Themen, wie etwa der Bekämpfung des Klimawandels, verhandeln, gleichzeitig aber auf die Diversifizierung und die Stärkung unserer Handlungsoptionen setzen. Europa braucht Versorgungssicherheit, etwa im Bereich Energie, ohne von einzelnen Staaten so abhängig zu sein, wie es sich von Russland gemacht hat.
Wir müssen uns klar machen: China hat eine globale Expansionsagenda und denkt in Einflusssphären. Es will eine Weltordnung jenseits der westlich-liberalen Prinzipien und will zur ersten Weltmacht in Punkto Technologie und Wirtschaft werden. Und es beobachtet genau, was in der Ukraine passiert und zieht daraus seine Schlüsse für Taiwan.
[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
BÜTIKOFER: Die systemische Rivalität mit China ist bereits offenkundig zum wesentlichen Charakteristikum in den EU-China-Beziehungen geworden. China respektiert weder die Regeln des europäischen Binnenmarktes, siehe Sekundärsanktionen im Litauen-Konflikt, noch die europäische Sicherheitsordnung, siehe Chinas Unterstützung für Russlands aggressive Haltung gegenüber der Nato. Wir sollten uns nicht täuschen: China ist heute schon für uns in Europa ein Herd sicherheitspolitischer Risiken, etwa über den Cyberspace oder durch neue Weltraumtechnologie.
Wird ein konfrontativerer Umgang mit China wirtschaftliche Kosten haben?
BENNER: Peking hat sich für den Weg der Konfrontation gegenüber Europa entschieden. Neben der Unterstützung von Putins Krieg in der Ukraine greift Peking den EU-Binnenmarkt frontal an, indem es etwa Produkte deutscher Firmen, die in Litauen produziert werden, nicht ins Land lässt.
Europa soll Peking weiter Kooperationsangebote bei globalen Problemen machen. Aber vor allem müssen Deutschland und Europa in eigene Stärke investieren für ein Zeitalter zunehmender Konflikte mit Peking. Das heißt Entflechtung dort, wo Abhängigkeiten bestehen und aktive Unterstützung von Unternehmen bei der Diversifizierung weg vom chinesischen Markt. Wir müssen Lieferketten nicht mehr nach einer rein betriebswirtschaftlichen, sondern einer Sicherheitslogik strukturieren mit verlässlichen Partnern.
Das wird nicht zum Nulltarif zu haben sein. Aber die Alternative ist, dass nicht nur VW und Daimler, sondern dem ganzen Land das Klumpenrisiko China zu einem späteren Zeitpunkt zu viel höheren Kosten um die Ohren fliegt. Wenn Deutschland da entschieden voran geht und auch bereit ist, dafür Kosten zu tragen, dann wird sich das auch positiv auf die europäische Geschlossenheit auswirken. Wenn Berlin führt, fällt auch ein Orbán als Pro-Peking-Stimme weniger ins Gewicht.
SCHWARZER: Europa muss sehen, was ist - und was es selber machen kann, um seine Position in diesem Systemwettbewerb zu stärken. Die EU muss ihre eigenen Hausaufgaben machen: Sie muss wettbewerbsfähiger und unabhängiger werden, etwa indem sie mehr investiert in ihre Halbleiterindustrie und Batterieproduktion, in Solarenergie und Wasserstofftechnologie, in die Produktion von medizinischem Material.
Dies erfordert gewaltige Investitionen, und das in einer Zeit, in der die europäische Wirtschaft unweigerlich unter dem aktuellen Konflikt leidet. Aber mittel- und langfristig sind die Kosten des „Weiter so" viel größer.
Wir müssen endlich längere Zeithorizonte anlegen und unsere kurzfristigen Interessen mit unseren langfristigen Interessen abwägen und uns klar machen: Wenn wir heute falsche Entscheidungen treffen, bedeutet das morgen nicht nur wirtschaftliche Verluste, sondern auch ein Verlust unserer Freiheit und politischer Spielräume.
Mehr zum Ukraine-Krieg bei Tagesspiegel Plus:
- „Ich bin nicht sonderlich überzeugt davon“: Die Hoffnung auf ein Kriegsende am Verhandlungstisch ist trügerisch
- Zittern vor Putin: Was bei einem Gas-Lieferstopp droht – von Preisschock bis Jobverlusten
- Putins geplatzter Traum vom russischen Imperium: Freunde von gestern
- Neue Verhandlungen in Antalya: Der Ukraine droht die Zerstückelung
BÜTIKOFER: Der konfrontativere Umgang, den China eingeschlagen hat, hat heute schon wirtschaftliche Kosten für uns. Dagegen wehren wir uns zum Beispiel mit neuen europäischen Handelsschutzinstrumenten gegen Dumping, unfaire Subventionen oder Mangel an Reziprozität im internationalen Beschaffungswesen.
Die Reduzierung bestehender einseitiger wirtschaftlicher Abhängigkeiten von China, deren negative Wirkungen wir ja während der Pandemie erlebt haben, ist ein strategischer Imperativ, auch wenn es gerade für Unternehmen, die zu viele Eier in einen Korb gepackt haben, ein schwieriger Weg wird.
Wir brauchen resiliente Lieferketten. Allein die Vorstellung, dass China sein Erpressungspotenzial bei Seltenen Erden ausspielen würde, wie das vor zehn Jahren schonmal ansatzweise probiert wurde, macht deutlich, dass die Kosten einer Nicht-Umkehr auf jeden Fall größer wären.