Gipfel in Bratislava: Die EU will die Kontrolle zurückgewinnen
Vor dem informellen Gipfel in Bratislava sind sich die Staats- und Regierungschefs einig: Illegale Zuwanderung soll zurückgedrängt, die Terrorgefahr wirksam bekämpft werden.
Das historische Zentrum von Bratislava wird brutal durchschnitten von einer Autobahn. Nur wenige Meter von der Martinskathedrale, in der die Habsburgerin Maria Theresia gekrönt wurde, donnern die Autos auf der Stadtautobahn vorbei. Die Asphaltpiste trennt die Altstadt mit ansehnlichen Ensemblen der „k.und.k“- Architektur vom Burghügel, auf dem sich die Staats- und Regierungschefs der 27er EU am Freitag zum eintägigen Gipfel zusammenkommen. Es wird ein informelles Treffen. Informell deswegen, weil ohne das Noch-Mitglied Großbritannien keine formalen Beschlüsse getroffen werden können. Daher wird auch kein Gipfel-Dokument vorgelegt, an dem die Sherpas der nationalen Regierungen sonst immer im Vorfeld feilen. Es soll lediglich eine „Presse-Linie“ geben, die anschließend veröffentlicht wird.
Informell also, und dennoch ist der Gipfel so intensiv vorbereitet worden wie lange kein Treffen vorher. EU-Ratspräsident Donald Tusk, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und die Bundeskanzlerin sind im August rastlos in Europa unterwegs gewesen, damit der Gipfel ein Erfolg wird. Wenn das Treffen mit den beiden Arbeitssitzungen in der Burg und dem Mittagessen auf einem Donauschiff vorbei ist, mag die Autobahn, das Überbleibsel aus sozialistischen Zeiten, weiter eine Schneise durch die Stadt schlagen. In der Gemeinschaft soll aber Harmonie herrschen.
Lediglich Polen war nicht einverstanden
Als am Montag die Unterhändler der Regierungen auseinandergingen, deutete viel darauf hin, dass dieses Ziel erreicht wird. Nach Auskunft von EU-Diplomaten waren sich so gut wie alle im Club der 27 einig, zogen an einem Strang, wie die Presse-Linie aussehen sollte. Lediglich Polen war nicht einverstanden. Die nationalkonservative Regierung in Warschau pocht auf eine Verlagerung von Kompetenzen zurück aus Brüssel in die Nationalstaaten und kann sich damit aber nicht durchsetzen.
Zwischen den Hauptstädten ist man sich einig, dass nach dem Brexit nun keine quälend lange Debatte über eine Generalreform der EU stattfinden soll. Vielmehr soll Brüssel liefern. Hier hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem negativen Ausgang der Volksbefragung im Vereinigten Königreich durchgesetzt, etwa gegenüber anderen Stimmen aus Frankreich.
Vielmehr wollen die Regierungschefs in Bratislava eine Bestandsaufnahme der EU vornehmen und definieren, wohin die Reise gehen soll. EU-Ratspräsident Donald Tusk definiert in einem vorab verbreiteten Brief, was dabei auf dem Spiel steht: In diesen turbulenten Zeiten mit etlichen Krisen und Konflikten bedürfe es mehr denn je einer Bestätigung für die Gemeinschaft. Der Pole verbreitet Zuversicht und mahnt die Mitglieder zu Vertragstreue, kühlem Kopf und innerer Geschlossenheit: „Wenn wir das beherzigen, wird es keinen Raum für Zweifel geben, dass die Mitgliedschaft in der EU eine gute Sache ist.“ Und Gastgeber Robert Fico, slowakischer Premier, verlangt von Bratislava den „Beweis, dass die EU lebendig und es wert ist, für sie zu kämpfen.“
Ziel sei es, die EU der 27 zu einem Erfolg zu machen
Der Brexit wird bei dem Treffen allenfalls bei den informellen Gesprächen und in kleinen Runden eine Rolle spielen. Die EU der 27 bleibt dabei: Keine Verhandlungen, ohne dass London förmlich den Antrag zum Austritt stellt („No negotiation without notification“). Im Entwurf für das inoffizielle Gipfel-Dokument taucht der Brexit-Begriff nur ein einziges Mal auf. Der Blick ist in die Zukunft gerichtet: Ziel sei es, die EU der 27 zu einem Erfolg zu machen. Brüssel will dem Bürger liefern, ihn mit guter Arbeit überzeugen.
Die Prioritäten sind klar. An erster Stelle nennt der Entwurf den Schutz der Außengrenzen und die Eindämmung der illegalen Zuwanderung. Die EU sei „entschlossen, nicht noch einmal das Chaos aus dem Vorjahr zuzulassen“. Konkret sollen andere EU-Mitglieder sich verpflichten, die Grenze Bulgariens zur Türkei besser zu schützen. An zweiter Stelle steht die innere Sicherheit und der Schutz vor Terror. Die Kontrollen an den Grenzen sollen besser werden, Radikale an der Grenze abgewiesen werden. An dritter Stelle kommt erst die Wirtschaft. Gefordert seien Leitlinien für eine „robuste Handelspolitik“, die die Vorteile des Binnenmarktes ausspiele. Außerdem sollen bis zum übernächsten Gipfel im Dezember Schritte feststehen, wie Mitgliedsstaaten unterstützt werden können, die besonders heftig von Jugendarbeitslosigkeit betroffen sind.
Tusk definiert die Herausforderung, vor der die EU steht, so: „Die Menschen möchten wissen, ob die politischen Eliten dazu in der Lage sind, die Kontrolle zu gewinnen über Prozesse, die viele überwältigen, verunsichern, teils auch erschrecken.“