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Amris Tatwaffe: der LKW auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin.
© picture alliance / Michael Kappe

Attentat am Breitscheidplatz: Die Erzählung vom Einzeltäter Anis Amri bröckelt

Der Berlin-Terrorist Amri wollte eigentlich mit zwei Bekannten einen Sprengstoffanschlag begehen. Doch dazu kam es nicht - ein Komplize bekam offenbar Angst.

Nur drei Seiten lang ist der Vermerk des Generalbundesanwalts, aber er hat es in sich. „Nach den derzeitigen Ermittlungen gab es im Spätsommer 2016 Pläne von B. und Amri zur Durchführung eines Sprengstoffanschlags in Deutschland“, heißt es da. Im Amri-Untersuchungsausschuss des Bundestags, wo der Vermerk Mitte der Woche per Schreiben einging, sorgen die Zeilen für Aufruhr. Dass der Berlin-Attentäter Anis Amri mit Bekannten einen Anschlag mit TATP plante, einem hochexplosiven und von Islamisten bevorzugten Sprengstoff, war bislang nicht bekannt. Für die Abgeordneten ist das ein weiterer Beleg dafür, dass Amri nicht der Einzeltäter war, für den man ihn lange hielt. Das Schreiben des Generalbundesanwalts liegt dem Tagesspiegel vor.

Amris Komplize, Clément B., ist französischer Staatsbürger und sitzt derzeit in Haft. Eingebunden in die Planung für den Sprengstoffanschlag war auch der Tschetschene Magomed Ali C., in dessen Wohnung der Sprengstoff nach Erkenntnissen der Ermittler hergestellt wurde. Einsatzkräfte der Anti-Terror-Einheit GSG9 hatten ihn im Sommer 2018 festgenommen. Damals kam zwar heraus, dass C. und B. Amri kannten, aber es hieß, Amri sei nicht in die Anschlagspläne der beiden eingeweiht gewesen. Gegen B. und C. ermittelt die Bundesanwaltschaft wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und eines Explosionsverbrechens.

Amri lernte den Komplizen in der Fussilet-Moschee kennen

Das genaue Ziel des von Amri mit geplanten Sprengstoffanschlags konnten die Ermittler nicht feststellen. Auch Erkenntnisse über eine Verwicklung von Clément B. und Magomed Ali C. in das Attentat auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz hätten sich bislang nicht ergeben.

Amri lernte Clément B. nach Erkenntnissen der Ermittler in der Berliner Fussilet-Moschee wahrscheinlich schon im Dezember 2015 kennen. Danach standen sie in persönlichem und telefonischem Kontakt. Anis Amri hatte sich nach Erkenntnissen des LKA Nordrhein-Westfalen auch im Internet mit Anleitungen zum Bombenbau und zur Herstellung von Sprengstoff befasst. „Er wollte sich auch Waffen besorgen zu terroristischen Zwecken“, sagte ein leitender LKA-Beamter aus Düsseldorf im September vor dem Amri-Untersuchungsausschuss im Berliner Abgeordnetenhaus. „Wir wollten ihn aus dem Verkehr ziehen.“ Aber der Antrag auf Sicherungshaft sei damals „kategorisch von einem Richter“ abgelehnt worden.

Im Sommer 2016 wurde Amris Observation eingestellt

Sicherheitsbehörden in Berlin und Nordrhein-Westfalen schätzten Amri völlig unterschiedlich ein: Während der LKA-Beamte aus Düsseldorf sagte, Amri sei aufgrund seiner Reisen quer durch Deutschland „ein besonderer Fall“ gewesen und habe Kontakt mit bekannten Islamisten gehabt, sagten die meisten Zeugen des LKA Berlin, Amri sei nicht sehr auffällig gewesen. Mitte Juni 2016 stellte das Berliner LKA die Observation von Amri ein – die Polizisten glaubten, Amri hätte sich von der Salafistenszene entfernt.

Dass der im Spätsommer 2016 geplante Sprengstoffanschlag dennoch nicht zu Stande kam, ist vielleicht nur einem Zufall zu verdanken. Am 28. Oktober 2016 führte das Berliner LKA eine Gefährderansprache bei C. durch. Sie wussten weder, dass in seiner Wohnung Sprengstoff hergestellt wurde, noch dass sich auch B. in der Wohnung befand. Aber B. wurde dadurch aufgeschreckt und verließ „aus Angst vor Entdeckung“ Berlin. Damit erledigten sich offenbar auch die Anschlagspläne. Und Amri bereitete den verheerenden Anschlag auf den Breitscheidplatz vor.

Opposition klagt wegen Amri gegen die Bundesregierung

Die Obfrau der Grünen im Amri-Untersuchungsausschuss im Bundestag, Irene Mihalic, sagte dem Tagesspiegel, die Erzählung von Amri als Einzeltäter falle in sich zusammen. „Amri hatte offenbar Mitwisser und wahrscheinlich auch Helfer.“ Er sei eingebettet gewesen in ein islamistisches Netz rund um die Fussilet-Moschee. Angesichts der Tatsache, dass sogar der Sprengstoff für ein Attentat bereitstand, stelle sich die Frage, „seit wann die Sicherheitsbehörden davon wussten und wie sie davon erfahren haben“. Die Bundesanwaltschaft will die neuen Erkenntnisse zu den Anschlagsplänen nicht kommentieren.

Auch der FDP-Obmann im Untersuchungsausschuss, Benjamin Strasser, sagte dem Tagesspiegel: „Amri war europaweit mit Islamisten vernetzt, die Terror planten.“ Diese Netzwerke und welche Rolle sie für die Nachrichtendienste spielten, müssten aufgeklärt werden. Der SPD-Obmann Fritz Felgentreu erklärte, die neue Erkenntnis werfe „ein anderes Licht auf den gesamten Komplex Amri“.

Im Ringen um Aufklärung im Amri-Untersuchungsausschuss klagen Grüne, Linke und FDP gemeinsam gegen die Bundesregierung: Sie enthalte, so der Vorwurf, dem Ausschuss Zeugen vor. Konkret geht es darum, dass die Opposition den Führer eines V-Manns des Bundesamtes für Verfassungsschutz befragen will, der wie Amri die Berliner Fussilet- Moschee besuchte. „Der V-Mann-Führer ist der Schlüsselzeuge für uns“, sagt Strasser.

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