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Ans Hakenkreuz gefesselt: Mit diesem Plakat warb die SPD anlässlich der Reichstagswahlen am 31. Juli 1932 um Stimmen. Knapp ein Jahr später, am 22. Juni 1933, verboten die Nazis die älteste politische Partei Deutschlands.
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Politik: Die Enthauptung der Demokratie

Heute vor 80 Jahren wurde die Sozialdemokratische Partei Deutschlands von den Nationalsozialisten verboten / Von Sigmar Gabriel.

Vor genau 80 Jahren, am 22. Juni 1933, hat Hitlers Reichsregierung die SPD verboten. In den 70 Jahren ihres Bestehens war sie zum Rückgrat der deutschen Demokratie geworden. Mit ihrem Verbot wollten sich die Nazis nicht nur für den mutigen Widerstand der Sozialdemokraten und ihres Vorsitzenden Otto Wels gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz rächen, sondern die Demokratie insgesamt enthaupten und den Weg in die Diktatur unumkehrbar machen.

Denn keine andere Partei identifizierte sich mit der ersten deutschen Demokratie, der Weimarer Republik, so sehr wie die der Sozialdemokraten Friedrich Ebert, Philipp Scheidemann und Otto Wels. Es gelang ihr, wegweisende historische Reformen durchzusetzen: Das allgemeine Wahlrecht für Frauen und Männer, der Acht-Stunden-Tag, der Arbeitsschutz sowie die Koalitions- und Tarifrechte der Arbeiter und die Erwerbslosenfürsorge sollten die Teilhabe der Arbeiterschaft und breiter Teile der Gesellschaft an dieser Demokratie unter Beweis stellen.

Der Publizist Theodor Wolff sah bereits vor den Reichstagswahlen im Sommer 1932 eine „Legalisierung der Rache“ für den Fall der Machtübernahme Hitlers voraus. Dies erwies sich als prophetisch: Im Frühjahr 1933 rächten sich die Schlägertrupps der SA an denen, die sie im Namen der Republik bekämpft hatten. Besonders hart traf es die Sozialdemokraten und die freien Gewerkschaften.

Das SPD-Verbot beendete formell den Prozess der systematischen Zerschlagung der Arbeiterbewegung. Schon vor Hitlers Machtergreifung hatten Nationalsozialisten zahllose Gewalttaten verübt. Zu einem ihrer ersten Opfer wurde der SPDReichstagsabgeordnete Julius Leber, der – durch SA-Leute Ende Januar 1933 schwer verletzt – nicht an der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz teilnehmen konnte, bei der Otto Wels das „Nein“ der SPD-Fraktion mutig begründete.

Zum systematischen Terror steigerten sich die Angriffe, nachdem am 22. Februar 1933 SA-, SS- und „Stahlhelm“-Mitglieder kurzerhand zu Hilfspolizisten ernannt wurden. Allein im März 1933 wurden 18 SPD-Reichstagsabgeordnete verhaftet, andere mussten untertauchen oder ins Ausland flüchten. Ende März errichteten die Nazis die ersten „wilden“ Konzentrationslager, in denen unzählige Andersdenkende ohne Gerichtsurteil festgehalten und misshandelt wurden. Bis zum eigentlichen Verbot der Partei behinderten die Nazis erst die sozialdemokratischen Publikationen, lösten Vorfeldorganisationen auf und enteigneten sie, schlossen SPD-Häuser und Versammlungsorte, verfolgten viele Mitglieder oder verhafteten sie. Dabei wussten sie genau, wen sie ergreifen mussten, um die SPD binnen kurzer Zeit handlungsunfähig zu machen. Sie taten dies mit brutaler Konsequenz – überall in Deutschland.

In Berlin-Köpenick wurden nach dem 21. Juni mehr als 500 Mitglieder von KPD und SPD misshandelt und verschleppt. Bei dieser Aktion, die unter dem Namen „Köpenicker Blutwoche“ bekannt wurde, starben etwa 90 Menschen, darunter auch der SPD-Reichstagsabgeordnete Johannes Stelling. Etwa 3000 Sozialdemokraten kamen bis Ende Juni 1933 in Haft.

Die KPD zahlte einen hohen Preis für ihre katastrophale Politik in der Weimarer Republik: Sie hatte nicht nur die erste deutsche Demokratie von Anfang an bekämpft, sondern auch noch gemeinsame Sache mit der NSDAP im Kampf gegen die Sozialdemokraten gemacht. Der stalinistische KPD-Führer Ernst Thälmann lud die Nazis persönlich zum gemeinsamen Kampf gegen die letzte demokratische Bastion Weimars ein: die sozialdemokratische Regierung in Preußen. Noch in der DDR und bis in die heutige Zeit ist dieser Hass auf den sogenannten Sozialdemokratismus unter deutschen Kommunisten spürbar. Die SPD war immer der Hauptfeind all derer, die eine freiheitliche Demokratie ablehnen.

Zur Rettung der Partei und des eigenen Lebens emigrierten viele Parteiführer der SPD ins Ausland, ins Saarland, nach Paris oder Prag, wo der Aufbau einer ExilSPD begann. Die beiden Parteivorsitzenden Otto Wels und Hans Vogel gingen diesen Weg, Erich Ollenhauer und Paul Hertz folgten ihnen. Damals noch weniger bekannte junge Sozialdemokraten wie Willy Brandt, Waldemar von Knoeringen, Willi Eichler oder die junge Susanne Miller arbeiteten im Exil zugleich an einer programmatischen Erneuerung der Sozialdemokratie.

Wer nicht fliehen konnte, musste um sein Leben fürchten. Viele Sozialdemokraten kamen im Frühjahr 1933 in Haft, etwa Theodor Haubach, Kurt Schumacher oder der Fraktionsvorsitzende der SPD im Preußischen Landtag, Ernst Heilmann, der als Jude mit besonderem Hass verfolgt wurde.

Trotz der unerbittlichen Verfolgung nahmen viele von denen, die die Haft überlebten, den Kampf gegen die Nazis auf. Julius Leber und Wilhelm Leuschner gehörten dazu, sie arbeiteten mit dem „Kreisauer Kreis“ zusammen. Beide bezahlten – wie viele vor ihnen – diesen Widerstand mit dem Leben. Gewiss: Auch wenn Deutschland von den Alliierten befreit wurde, so hielt doch der Widerstand gegen Hitler den demokratischen Geist in unserem Land lebendig. Es ist aus heutiger Sicht erstaunlich, wie schnell Menschen, die die Gefängnisse und Konzentrationslager gerade erst verlassen hatten, wieder die SPD aufbauten. Für sie war klar: Nur Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie können verhindern, dass sich die Nazi-Barbarei wiederholt.

Die jüdische Sozialdemokratin Jeanette Wolff, die fast ihre ganze Familie in den KZs verlor, widmete sich dem Aufbau eines demokratischen Deutschland als Stadtverordnete in Berlin, Bundestagsabgeordnete und Vizevorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland. Kurt Schumacher nahm mit ungeheurer Kraft – trotz seiner schweren körperlichen Leiden – die Wiedergründung der SPD in Angriff. Er wurde ihr erster Vorsitzender und zum großen demokratischen Gegenspieler Konrad Adenauers.

In Herbert Wehner hatten der Krieg und die Moskauer Erfahrungen die Einsicht reifen lassen, dass der Zweck in der Politik nicht die Mittel heiligt. Er wurde zum Antreiber des Wandels der SPD zur Volkspartei. Willy Brandt schließlich hatte nach 1945 gelernt, dass aus den Umwälzungen des 20. Jahrhunderts nicht automatisch mehr Freiheit für die Menschen erwächst. Seine Schlussfolgerung: Um Freiheit und Gerechtigkeit muss gleichermaßen gerungen werden. Widerstandskämpfer und Exilanten gaben der SPD trotz Nationalsozialismus und Stalinismus eine neue Zuversicht, die nicht blind war für die Gefahren und Abgründe im menschlichen Zusammenleben. Aus ihren Fehlern und Fehleinschätzungen in der Weimarer Republik zog die SPD nach zahlreichen Organisationsreformen in Godesberg ihre Konsequenzen. Die wichtigste: linke Volkspartei und nicht mehr Klassenpartei zu sein. Eine weitere: von der Vorstellung Abschied zu nehmen, nach der der Sozialismus der zwangsläufige Endpunkt der Geschichte sei. Seit langem bestimmt der Ausbau des demokratischen und sozialen Rechts- und Bundesstaates das politische Handeln der SPD.

Die SPD steht für die gute Kontinuität in der deutschen Geschichte: Sie strebte nach Freiheit, als andere die Freiheit ersticken wollten. Sie lebte die Demokratie, als andere sie als „undeutsch“ und „verbürgerlicht“ diffamierten. Sie trat für gleiche Menschen- und Bürgerrechte ein, als andere die unterschiedliche Wertigkeit von Menschen propagierten. Sie verteidigte die Demokratie, als andere Diktaturen errichteten oder ihre Errichtung zuließen. Nichts steht für diese Ideale der Sozialdemokratie so eindrucksvoll, wie der Satz Julius Lebers, geschrieben kurz vor seiner Hinrichtung in Plötzensee an seine Familie: „Für eine so gute und gerechte Sache ist der Einsatz des Lebens der angemessene Preis.“

Für mich ist daher klar: Die Demokratie auch unter völlig veränderten Bedingungen immer wieder mit Leben zu füllen, mehr Demokratie gerade dann zu wagen, wenn die Macht anonymer Märkte die Selbstbestimmung der Menschen und das Fundament unserer Demokratie infrage stellen – das ist die Lehre aus der Erfahrung des Verbots meiner Partei heute vor 80 Jahren.

Der Autor ist seit Oktober 2009 Vorsitzender der SPD.

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