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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seiner Rede im Schloss Bellevue.
© Wolfgang Kumm/dpa

Steinmeiers Kritik an der AfD: Die Einmischung ist erlaubt – aber wirkungslos

Der Präsident will die Bürgerrechtsparolen der Wendezeit in den Trophäenschrank der Geschichte stellen. Dabei darf sich die AfD damit blamieren. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Vom Bundespräsidenten hört man selten. Nur wenn er sich mit den Rechten anlegt, wird es plötzlich laut. Frank-Walter Steinmeier hat in Erinnerung an den Mauerbau vor 58 Jahren die Slogans der AfD im sächsischen Landtagswahlkampf kritisiert. Dort kapern Rechte frech die Sprüche früherer Bürgerrechtler, um Deutschland als Diktatur und sich selbst als Widerständler zu schildern: „Vollende die Wende“ und, klar, „Wir sind das Volk“. Für Steinmeier, der in seiner Rede Geschichte als unsicheres Ergebnis einer Vielheit von Erlebnissen und Perspektiven deutet, eine „perfide Verdrehung“. Während die friedlichen Revolutionäre von einst die Grenzen überwunden hätten, ginge es „politischen Gruppen“ von heute darum, sich abzuschotten und neue zu errichten.

Eine verbotene Einmischung? In Zeiten maximierter Empfindlichkeit war zu erwarten, dass die Sätze als unfairer Schlag in die Weichteile des deutschen Rechtspopulismus diskutiert würden. Das waren sie nicht. Der Präsident erfüllt als Staatsoberhaupt eine Integrativfunktion. Er soll, wie es das Verfassungsgericht formuliert, die Einheit des Gemeinwesens sichtbar machen und fördern.

Ihm ist damit, anders als Kanzlern und Ministerinnen, in der Wahl von Worten und Thema praktisch alles erlaubt, außer willkürlich einer Partei zu schaden. Das tut er gerade nicht, indem er die objektiv falsche Ingebrauchnahme von historischen Parolen geißelt, die in einer geglückten Wiedervereinigung mündeten und heute Teil gemeinsamer Erinnerung sind. Steinmeier sprach auch nicht allein von der AfD. Mit dem Wendevokabular operieren auch Pegida, Rechtsextreme und Identitäre sowie viele weitere rechte Randerscheinungen.

Politik kann sich nicht darin erschöpfen, Feinde niederzuringen

Doch muss nicht alles, was erlaubt ist, richtig und zielführend sein. Zweifel weckt schon der Umstand, dass nun nicht über Steinmeiers Bemühen geredet wird, der Protestkultur von damals ein ehrendes Andenken zu bewahren. Sondern über den Präsidenten und sein Recht zur tagespolitischen Intervention.

Darüber hinaus darf es auch um den Ton gehen, den Steinmeier anschlägt. „Perfide Verdrehung“? Es ist dieser Routine gewordene Alarmismus, mit dem über die AfD und ihre Anhänger geredet wird, der sie zusammenschließt und ihr Wähler zutreibt. Politik kann sich jedoch nicht darin erschöpfen, Feinde niederzuringen. Wenn sich alle in Fronten gegenüberstehen, geht diese Einsicht verloren.

Auch die AfD sollte eine Chance bekommen, zur demokratischen Vernunft zu finden oder sich im Richtungsstreit mit ihren Rechtsextremen zu zerlegen. Die sachlich zutreffenden Feststellungen mit weniger Abscheu in Worte zu fassen, hätte dem präsidialen Anliegen womöglich besser gedient. So entwertet die aktuelle Aneignung der Wendeparolen zu Wahlwerbungszwecken, was den Deutschen mit dem friedlichen Mauerfall gelang. Darauf hinzuweisen, hätte genügt.

Am Ende seiner Ansprache wünscht Steinmeier, das Einheitsglück solle nicht in den Trophäenschrank der Nation gestellt werden; es bleibe unfertig und fordere heraus. Richtig, aber so verhält es sich auch mit den Wendeslogans und Montagsdemos. Sie gehören nicht in den Trophäenschrank, in den Steinmeier sie mit seiner Rede stellt. Eine Partei, die diese Geschichte benutzt und klein macht, um größer zu wirken, legt nur ihre eigene Leere frei. Dass vielen diese Leere genügt – das fordert heraus.

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