Streit über „USS Theodore Roosevelt“: Die Ehre des Kapitäns Brett Crozier
Der Kapitän eines US-Flugzeugträgers wird entlassen, weil er nach einem Corona-Ausbruch seine Mannschaft schützen will. Das hat nun personelle Konsequenzen.
Es war dann doch zu viel. Nachdem diffamierende Äußerungen des amtierenden Marine-Staatssekretärs Thomas Modly in dem Konflikt um den Flugzeugträger "USS Theodore Roosevelt" öffentlich geworden waren und selbst US-Präsident Donald Trump angekündigt hatte, sich einzuschalten, reichte Modly am Dienstag (Ortszeit) seinen Rücktritt ein. Die öffentliche Empörung über den Umgang mit dem Kapitän des Schiffes, Brett Crozier, war zu groß geworden.
Verteidigungsminister Mark Esper erklärte auf Twitter, er habe das Rücktrittsgesuch im Einverständnis mit dem Präsidenten angenommen. Nachfolgen soll ihm der Untersekretär des Heeres, Jim McPherson. Damit endet eine Auseinandersetzung, die inmitten der Coronavirus-Krise viele als unnötig demoralisierend und vor allem gefährlich bezeichnet hatten.
Auf der "USS Theodore Roosevelt" waren 4800 Menschen
Ausgelöst hatte den Konflikt eine E-Mail von Kapitän Crozier am vergangenen Montag. Darin hatte der 50-Jährige wegen eines Corona-Ausbruchs an Bord des Flugzeugträgers Hilfe der Militärführung gefordert. Das vor der Pazifikinsel Guam liegende Schiff müsse evakuiert werden, um den Tod von Soldaten zu verhindern. "Wir befinden uns nicht im Krieg. Es müssen keine Seeleute sterben", schrieb Crozier an gleich mehrere Verantwortliche bei der Marine - sicherlich im Bewusstsein, was dieser Schritt für ihn persönlich bedeuten würde.
An Bord der "USS Theodore Roosevelt" befanden sich zu dem Zeitpunkt rund 4800 Menschen. An "Social Distancing" ist auf so einem Schiff nicht zu denken, der Kapitän musste davon ausgehen, dass bald ein Großteil seiner Mannschaft erkranken könnte.
Der Verteidigungsminister wollte keine Evakuierung
Doch Verteidigungsminister Mark Esper verweigerte zunächst die Evakuierung der "USS Theodore Roosevelt". Manche glaubten offenbar, sagte er später im Weißen Haus, dass die Vereinigten Staaten angesichts der Bedrohung durch das Virus "das gesamte Militär dichtmachen" sollten. "Das ist unmöglich." Stattdessen bekam Crozier den Ärger des US-Militärs zu spüren, das es gar nicht gerne sieht, wenn jemand sich nicht an die Hierarchien hält.
Nachdem Croziers Brandbrief an die Zeitung "The San Francisco Chronicle" durchgestochen worden war, entließ Modly den Kapitän am Donnerstag. Crozier sei offenbar wegen des neuartigen Coronavirus überfordert gewesen und habe mit dem weit gestreuten Brief gegen die Befehlskette verstoßen, begründete der Marine-Staatssekretär seine Entscheidung.
Der Brief ging an viele Empfänger
Der Brief habe Zweifel an dem Urteilsvermögen des Kapitäns geweckt und Amerikas Feinden Einblick in vertrauliche Informationen zur Kampfbereitschaft des Flugzeugträgers gegeben. Crozier habe sein Schreiben an einen breiten Verteiler mit 20 bis 30 Empfängern gesendet und daher davon ausgehen müssen, dass dieses nicht geheim bleiben werde.
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Doch Modly hatte offenbar nicht mit dem öffentlichen Aufschrei gerechnet, der nach dem Rausschmiss des Kapitäns laut wurde. Und schon gar nicht damit, welche Emotionen ein Video auslösen würde, das am Freitag auftauchte.
Darin ist zu sehen, wie der entlassene Kommandant von seiner Mannschaft verabschiedet wird. Crozier schreitet zunächst durch die schweigende Menschenmenge, die Soldaten salutieren ihm. Als der Kapitän dann über eine Gangway das Schiff verlässt und zu einem wartenden Wagen läuft, klatschen die Seeleute und rufen mehrfach seinen Namen. An Land dreht sich der Kapitän ein letztes Mal um und salutiert der Besatzung.
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Das Video wurde zunächst in der Online-Ausgabe der Militär-Zeitung "Stars and Stripes" gezeigt und dann unter anderem von dem demokratischen Präsidentschaftsbewerber Joe Biden auf Twitter geteilt. Der ehemalige Vizepräsident verurteilte die Trump-Regierung für ihren Umgang mit einem "mutigen Befehlshaber, der seine Seeleute zu schützen versuchte".
Theodore Roosevelts Urenkel nennt den Kapitän einen "Helden"
Auch US-Zeitungen kritisierten die Entlassung Croziers scharf. So kommentierte die "Washington Post", der einzige Offizielle, der bisher wegen des Virus gefeuert wurde, sei ein Kapitän, der versucht habe, seine Crew zu beschützen.
In der "New York Times" schrieb Tweed Roosevelt, der Urenkel des 26. US-Präsidenten Theodore Roosevelt, einen leidenschaftlichen Meinungsbeitrag unter dem Titel "Kapitän Crozier ist ein Held. Theodore Roosevelt, mein Urgroßvater würde dem zustimmen". In dem Beitrag beschreibt Tweed Roosevelt, wie der spätere Präsident als Kapitän eines Schiffes 1898 im Spanisch-Amerikanischen Krieg in einer ähnlichen Situation genau so gehandelt habe.
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Eine Online-Petition, die forderte, Croziers Entlassung rückgängig zu machen, unterschrieben bis Dienstagabend (Ortszeit) mehr als 300.000 Menschen. Crozier sei zu Unrecht von seinem Posten entfernt worden, heißt es in dem Aufruf. Sein Handeln habe wahrscheinlich Menschenleben gerettet, dafür sollte er belohnt werden. Zudem sei seine Forderung nach einer Evakuierung ja nach seinem Rausschmiss erfüllt worden.
Das Schiff ist inzwischen weitgehend evakuiert
Das US-Militär hat inzwischen tatsächlich die weitgehende Evakuierung eingeleitet. Rund 1000 Soldaten sollen an Bord bleiben, um die Funktionstüchtigkeit und Sicherheit des hochgerüsteten und nuklearbetriebenen Schiffs zu garantieren. US-Medienberichten zufolge ist das Virus inzwischen bei fast 200 Besatzungsmitgliedern nachgewiesen worden - dass auch Crozier selbst infiziert ist, verstärkte die Emotionen noch.
Als dann auch noch Audioaufzeichnungen einer Ansprache Modlys bekannt wurden, die der Staatssekretär nach Croziers Abgang per Lautsprecher an dessen Mannschaft gerichtet hatte, kippte die Stimmung endgültig. In seiner Rede unterstellte Modly dem Kapitän, seinen Brandbrief selbst an Medien durchgesteckt oder das zumindest in Kauf genommen zu haben. Sollte Crozier geglaubt haben, diese Informationen würden nicht an die Öffentlichkeit gelangen, dann wäre er "zu naiv oder zu dumm", um der Kommandant eines Flugzeugträgers zu sein, sagte Modly.
Eine Entschuldigung kann die Wogen nicht glätten
"Die Alternative ist, dass er es absichtlich getan hat. Und das wäre ein schwerwiegender Verstoß gegen das Militärstrafrecht." Modly wurde anschließend unter anderem von der Oppositionsführerin Nancy Pelosi zum Rücktritt aufgefordert.
Zwar entschuldigte sich der Staatssekretär für seine Aussagen. "Ich denke nicht, dass Kapitän Brett Crozier naiv oder blöd ist", zitierte ihn der Sender CNN.
Im Gegenteil: "Kapitän Crozier ist klug und leidenschaftlich." Modly erklärte, er sei überzeugt, dass Crozier genau aus diesem Grund die "alarmierende E-Mail“ verschickt habe - um in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit für die Lage auf seinem Schiff zu bekommen. "Ich entschuldige mich für jegliche Verwirrung, die diese Wortwahl verursacht haben könnte." Aber die Wogen glättete diese offenbar unter enormem Druck entstandene Aussage nicht.
Offen ist, ob die Absetzung des Kapitäns rückgängig gemacht wird
Konfrontiert mit dem weiter schwelenden Konflikt, erklärte Trump am Montagabend, er werde sich die Sache anschauen und darüber auch mit Verteidigungsminister Esper sprechen. Er sei gut darin, Streit zu schlichten. "Ich löse gerne Probleme", sagte der Präsident, der auch Oberbefehlshaber aller US-Streitkräfte ist. Die Äußerungen des Staatssekretärs seien "eine derbe Stellungnahme" gewesen. Er wolle aber niemanden vernichten, nur "weil er einen schlechten Tag hatte".
Trump sagte außerdem, der Kapitän habe mit dem Schreiben des nicht als geheim eingestuften Briefs ebenfalls einen "Fehler" gemacht. Er glaube, dass beide "gute Menschen" seien. Die bisherige Karriere des Kapitäns sei ja "herausragend" gewesen, sagte Trump. Festlegen wollte er sich nicht, ob er die Absetzung Croziers rückgängig machen wollte. Nach Medienangaben kann Crozier seinen Rang behalten und in der Marine verbleiben. Aber eine große Karriere wird er aller Voraussicht nach nicht mehr vor sich haben.
Trump spricht von einem "selbstlosen" Rücktritt
Das zeigten auch die Äußerungen des Präsidenten am Dienstagabend in seinem täglichen Corona-Briefing. Da behauptete Trump zunächst, bei dem "selbstlosen" Rücktritt seines Marine-Staatssekretärs keine Rolle gespielt zu haben. Der Schritt sei eigentlich gar nicht notwendig gewesen wäre. Crozier hätte eben einfach den Brief nicht schreiben sollen, sagte er erneut. "Er musste doch nicht Ernest Hemingway geben."
Und Trump wäre nicht Trump, wenn er nicht angefügt hätte: Schädlich sei in Wahrheit nur gewesen, dass dieser Brief in die Medien gelangt sei.