Der Fall Khashoggi: Die dunkle Seite des Thronfolgers
Die Tötung des Regimekritikers Jamal Khashoggi bringt nicht nur den saudischen Kronprinzen in Bedrängnis, sondern die gesamte Regionalmacht. Eine Analyse.
Der Mord an Jamal Khashoggi wird zum Fiasko für den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman. Das Verbrechen sollte einen lästigen Kritiker aus dem Weg räumen – erschüttert nun aber die gesamte Politik Saudi-Arabiens. Das Eingeständnis aus Riad im Fall Khashoggi bestätigt nicht nur, dass der Thronfolger fast drei Wochen lang gelogen hat und mit rücksichtsloser Brutalität gegen Dissidenten vorgeht. Nach Einschätzung von Experten steht wegen des Mordes auch die westliche Unterstützung für den wirtschaftlichen Umbau Saudi-Arabiens infrage. In den politischen Beziehungen zum Westen könnte die Krise am Ende dem Rivalen Iran nützen.
Der barbarische Mord an dem Regimekritiker Khashoggi schockt die Welt – allein dieses Entsetzen ist eine politische Last für Saudi-Arabien. Selbst wenn die erste Abscheu der internationalen Gemeinschaft abgeklungen sein wird, dürfte der Mord im Konsulat dauerhafte Folgen für Riad haben.
Neben dem Imageschaden für das Land ist da zunächst die Selbstzerstörung der politischen Glaubwürdigkeit einer bisher sehr selbstbewussten Regionalmacht. Die saudische Regierung behauptete wochenlang, sie wisse nicht, was aus Khashoggi geworden sei, und steht jetzt entlarvt da. Saudi-Arabien habe „öffentlich gelogen“, was nun die Position des Landes „völlig unterminiert“, schrieb der Nahostexperte Michael Stephens von der britischen Denkfabrik RUSI auf Twitter.
Mit der offiziellen Erklärung aus Riad über den angeblichen Tod Khashoggis bei einem „Handgemenge" ist dieses Problem für die saudische Führung keineswegs aus der Welt. So ist nach wie vor unbekannt, was mit Khashoggis Leiche geschehen ist – niemand erwartet, dass die saudische Regierung jetzt die Wahrheit sagen wird.
Auch der Versuch der Regierung, Thronfolger Mohammed aus der Schusslinie zu bringen, wird scheitern: Die Bestrafung enger Berater des Kronprinzen ist ein Bauernopfer, das im Westen niemanden überzeugen dürfte. Politisch ist der 33-jährige Kronprinz, der oft nur MBS genannt wird, nun einmal der Verantwortliche.
Die Saudis brauchen die Hilfe westlicher Industriestaaten
Die Konsequenzen reichen weit über Ansehensfragen hinaus. Ein Blick auf die Kernpunkte im Reformprogramm des Kronprinzen zeigt, wie groß der wirtschaftliche Schaden sein dürfte. Der angestrebte Umbau Saudi-Arabiens zu einem modernen Staat, der sich von der Ölindustrie löst und führend im Hightechbereich wird, erfordert Milliardeninvestitionen und die Hilfe von westlichen Technologiekonzernen.
Schon vor dem saudischen Eingeständnis vom Samstag hatten führende Banker, Politiker und Unternehmer aus dem Westen ihre Teilnahme an einer Investorenkonferenz in Riad abgesagt – eine Schmach für den Prinzen, der sich bei dem Treffen als Reformer profilieren wollte. Plötzlich meide jeder den Kontakt mit MBS, meldete die Nachrichtenagentur Bloomberg.
Aus dem erhofften Investitionsschub aus dem Ausland dürfte erst einmal nichts werden. Bereits im vergangenen Jahr gingen die ausländischen Direktinvestitionen in Saudi-Arabien laut Bloomberg stark zurück. Das hatte unter anderem mit der Unberechenbarkeit des Kronprinzen zu tun, der Rivalen aus der Königsfamilie unter dem Vorwand der Korruptionsbekämpfung internieren ließ. Durch den Mord an Khashoggi dürfte der Ruf des Investitionsstandortes Saudi-Arabien noch mehr leiden.
Rufe nach einem Stopp von Rüstungslieferungen werden laut
Auf politischer Ebene droht MBS ebenfalls Ärger. Zwar hält US-Präsident Donald Trump in der Debatte über mögliche Strafmaßnahmen gegen Riad konsequent an Saudi-Arabien als Partner fest. Doch im Kongress in Washington wächst die Entschlossenheit, Saudi-Arabien die Grenzen zu zeigen. Nach Ansicht von Jonathan Schanzer von der konservativen Denkfabrik FDD in Washington ist damit zu rechnen, dass das amerikanische Parlament die militärische Unterstützung der USA für den saudischen Krieg im Jemen beendet. In Deutschland werden Rufe nach einem Stopp aller Rüstungslieferungen an Riad laut.
Über ihre Anhänger in den Medien ließ die Führung des Königreichs den Westen bereits wissen, dass etwaige Sanktionen mit einer drastischen Anhebung der Ölpreise beantwortet würden. Ein solches Zerwürfnis würde am Ende dem Gegner Iran dienen, sagt Sanam Vakil von der Denkfabrik Chatham House voraus. Teheran werde vom saudischen Verhalten im Fall Khashoggi „geopolitisch profitieren“, schrieb sie in einer Analyse. So könnte ein amerikanisch-saudischer Streit die internationalen Bemühungen um eine Eindämmung des iranischen Einflusses in Nahost hemmen.
In der Konkurrenz mit der Türkei um die ideologische Führungsrolle bei den sunnitischen Muslimen hat Riad ebenfalls eine schwere Niederlage erlitten. Die türkische Polizei lässt immer wieder Details des brutalen Mordes an die Presse durchsickern – kein Zufall, meint der Istanbuler Politologe Serhat Güvenc. Ankara wolle damit das Reformimage von Saudi-Arabien im Westen zerstören, sagte Güvenc dem Sender Al Dschasira. Die Saudis selbst helfen dabei kräftig mit.
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