Bejubelt und benebelt: Die Droge Guttenberg
Sie sind abhängig von ihm geworden, benebelt von seinen guten Umfragewerten. Deshalb haben sie jetzt Angst bei CDU und CSU. Angst, ihren Populärsten zu verlieren. Also muss er gerettet werden – um jeden Preis. Und der ist: Gift und Bitterkeit im Parlament.
Barbara Hendricks weint fast vor Wut. Eine halbe Stunde ist Karl-Theodor zu Guttenberg gerade im Bundestag über seine Doktorarbeit befragt worden. Jetzt steht die SPD-Schatzmeisterin im Foyer des Reichstags und hört mit an, wie der CSU-Abgeordnete Hans Michelbach sich über die Opposition mokiert. Schwache Vorstellung sei das gewesen, spottet Michelbach, „es ist halt so, dass Abgeordnete nicht fragen können“. Hendricks kocht noch mehr. Eine Ehrenwort-Erklärung hat der Doktorand zu Guttenberg bei seiner alte Uni damals unterzeichnet, dass er korrekt gearbeitet habe. Und jetzt, Entschuldigung, und das war’s? „Ihr nehmt das wahrscheinlich billigend in Kauf, dass die bürgerliche Kultur in Bruch geht“, ruft Hendricks. Plötzlich steht Volker Kauder vor ihr. „Bei mir zu Hause sagt man: Bleiben Sie cremig“, sagt der Unionsfraktionschef. Es soll wohl besänftigend wirken. Hendricks explodiert: „... und schmieren Sie weiter Ihren Lügner und Heuchler!“
Wenn es so weit gekommen ist im Reichstag, dann ist es weit gekommen. Man geht schon mal hart miteinander um im Plenum. Das gehört dazu. Aber hinterher das ernsthafte Gespräch, das gemeinsame Bier gehört auch dazu. Guttenberg trägt Bitterkeit ins Parlament. Und es sind keineswegs nur Rote und Grüne, die die Faust in der Tasche ballen.
Dabei ist die Fragestunde so ungefähr der ungeeignetste Moment für Emotion im Bundestag. Sie ist eine sehr formelle Veranstaltung – jeder Abgeordnete darf eine Frage stellen, einer auf der Regierungsbank muss antworten. Normalerweise findet das vor leerem Hause statt. Diesmal ist der Reichstag gut gefüllt. Guttenberg will selber kommen. Es ist der erste öffentliche Auftritt in der Plagiatsaffäre, bei dem der Freiherr sich sein Publikum nicht selbst aussuchen kann. Vorne in der ersten Reihe der Union tuschelt die gesamte Fraktionsspitze miteinander. In den hinteren Bänken redet CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe mit rudernden Armbewegungen auf Norbert Lammert ein. Der Bundestagspräsident wird dort hinten sitzen bleiben und später nicht mitklatschen, wenn die Union applaudiert. Lammert muss von Amts wegen prüfen, ob der Minister in seiner Doktorarbeit Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Parlaments missbraucht hat.
Die Fragestunde beginnt harmlos, mit dem neuen Insolvenzrecht und der Bundesjustizministerin, die dem Gesetzeswerk das Motto „Sanierung vor Liquidierung“ voranstellt. Aber Guttenberg ist noch gar nicht im Saal, da will Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck schon etwas vom Kanzleramt wissen: Ob es sich mit den Richtlinien der Regierung vertrage, dass der Minister – ausweislich des Faksimiles in der „Bild“-Zeitung – seinen Verzicht auf den Doktortitel der Universität Bayreuth auf Minister-Briefpapier geschrieben habe? Das Kanzleramt sagt, dass es das nicht weiß. Ob diese Vermischung von Amt und Privatsache bedeute, fragt Beck weiter, dass Guttenberg jene feine Trennung nicht sehe, die die Kanzlerin vorgenommen habe mit der Bemerkung, sie habe den CSU-Mann nicht als wissenschaftlichen Mitarbeiter eingestellt, sondern als Minister? Das Kanzleramt in Gestalt des Staatsministers Eckard von Klaeden sagt, dass es die Frage nicht versteht.
Dabei verstehen sie die Frage bei der Union sehr genau. Angela Merkel hat am Montag Guttenberg aufgespalten in guten Politiker und fehlerhaften Wissenschaftler. Der Riss zieht sich seither durch die Argumentation, mit der CDU und CSU ihren Star verteidigen. Der Star selbst hat seine Aufspaltung dankbar als Vorab-Freispruch aufgegriffen. Am Montagabend hat er vor CDU-Publikum in Hessen „gravierende Fehler“ zugegeben. Er ist dafür gefeiert worden. Wahrscheinlich hätten sie ihn dort aber sogar gefeiert, wenn er den Doktor gekauft hätte. KT ist längst eine Droge. Sie löst auch bei sonst durchaus kritischen Menschen psychedelische Zustände aus. Sie wollen ihm unter allen Umständen glauben, dass er der einzige ehrliche Kerl sei im schmutzigen Geschäft der Politik.
Am Anfang versucht er es mit Demut - es bleibt nicht dabei
Der einzige ehrliche Kerl betritt den Plenarsaal um 13 Uhr 40, federt zu seinem Platz, macht aber vorher noch bei seinem Parlamentarischen Staatssekretär Christian Schmidt Halt. Schmidt redet eindringlich auf ihn ein. Es wirkt wie eine Ermahnung: KT, nicht vergessen – Demut! Eine ganze Zeit lang hält der Vorsatz. „Ich war sicher so hochmütig zu glauben, dass mir die Quadratur des Kreises gelingt“, sagt Guttenberg. „Für mich stellte das offenbar eine Überlastung dar.“ Schließlich, der Stress neben Abgeordnetenberuf und Familie, da verliere man schon mal den Überblick über die vielen Quellentexte für so eine Doktorarbeit: „Sieben Jahre hat’s gedauert, das erklärt auch viele Fehler.“ Aber jetzt habe er ja bereut und sich entschuldigt.
Und damit soll alles erledigt sein? Was ist denn, fragt der SPD–Mann Hans-Peter Bartels, mit dem Ehrenwort, das er als Doktorand zusammen mit der Arbeit abgegeben habe? Da legt der Dr. ex. auf einmal großen Wert auf Präzision: Kein Ehrenwort – nur eine „Erklärung“ habe er abgegeben. Und auch das Wort „Plagiat“ missbehagt ihm. „Da muss man aufpassen, dass man nicht in den Bereich übler Nachrede kommt“, muss sich Jürgen Trittin anhören. „Der bedroht mich mit dem Staatsanwalt“, sagt der Grüne in der Pause amüsiert. „Find’ ich jetzt auch interessant.“ Neben ihm steht sein Parteifreund Toni Hofreiter. Ein, zwei Zitierfehler, das komme vor, erregt sich der Doktor der Botanik. Aber 200 Zitate vergessen? „Es gibt keinen Doktoranden der Welt, dem so was aus Versehen passiert.“
Später in der Aktuellen Stunde kocht der Zorn lautstark hoch. Vorsätzlich und planmäßig habe Guttenberg fremde Gedanken geklaut, ein „akademischer Hochstapler und Betrüger“, schäumt SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. „Das ist eine Unverschämtheit“, schäumt CSU-Landesgruppenchef Hans- Peter Friedrich zurück. Aber Oppermann hat Munition mitgebracht. Vier Ausarbeitungen des Wissenschaftlichen Dienstes hat Guttenberg eingestanden, in seine Arbeit eingebaut zu haben. Sorgsam wie der gute Student, der er nicht war, hat er die Fundstellen in der Fragestunde belegt. „Das war der Stand vor einer halben Stunde“, sagt Oppermann jetzt kühl. „Inzwischen liegen sechs Gutachten vor.“ Als Guttenberg das Wort erhält, sagt er dazu, er sei „dankbar für jeden Hinweis, den ich zusätzlich bekomme, was die Arbeit angeht“. Viel mehr sagt er lieber nicht, nachher stimmt wieder was nicht. Neun Minuten Redezeit stehen ihm zu, keine vier nutzt er aus, beschwört noch mal den „Mensch mit seinen Schwächen und Fehlern“ und „dass man nicht bewusst, mit Vorsatz getäuscht hat“. Er sagt jetzt oft „man“ statt „ich“, was seltsam distanziert von sich selbst wirkt.
Die Union hat ihn mit rhythmischem Beifall begrüßt, mit eher flauem verabschiedet sie ihn. Denn so souverän ihr Star in der Fragestunde agiert hat, so kleinlaut wirkt er jetzt in seinem Stuhl auf der Regierungsbank. Die ist inzwischen gut gefüllt mit Kabinettsmitgliedern. Um so mehr fällt auf, wer fehlt. Merkel ist in Freiburg bei einem Termin. Wolfgang Schäuble ist bloß im Haushaltsausschuss um die Ecke, was aber gewiss auch wichtig ist. So muss er jedenfalls nicht mit anhören, wie Krista Sager ruhig und ohne Schaum vorm Mund auseinandersetzt, warum geistiger Diebstahl „leider schlimm“ ist: „Es geht nicht um Fußnoten und nicht gemachte Gänsefüßchen“, sagt die Grüne. „Es geht um die existenziellen Grundlagen von Wissenschaft.“ Der Finanzminister muss auch keine Haltung dazu zeigen, wenn der SPD-Mann Oppermann ruft, dass demnächst die Ladendiebe sagen werden, Entschuldigung, sie hätten bloß „schlampig eingekauft“. Und er musste auch nicht dabei sein, als die SPD-Frau Hendricks fragt, was für ein Vorbild denn der Minister als Dienstherr der Bundeswehr-Hochschulen noch sein könne. „Ich gehe davon aus“, sagt Guttenberg, „dass das Beispiel des eigenen Umgangs vielleicht auch beispielgebend sein kann für andere.“
So viel zur Demut nach Guttenberg-Art: Der Ertappte ernennt sich zum Vorbild. Kein Wunder, dass Hendricks wütend ist. Das hilft ihr nicht weiter, sicher. Aber, sagt ein SPD-Mann, auch wenn sich die Schlacht nicht gewinnen lasse, da müsse man jetzt die Fahne hochhalten. „Das ist eine Frage der Ehre.“
Am Abend gibt die Universität Bayreuth eine Pressekonferenz. Sie erkennt dem Doktoranden Guttenberg den Titel ab. Auf die Prüfung, ob er bewusst getäuscht habe, verzichte man. „Das wäre sicherlich ein längerer Prozess gewesen“, sagt Unipräsident Rüdiger Bormann und bittet um Verständnis: „Ich glaube, das liegt in allseitigem Interesse.“
In einseitigem Interesse liegt der Großmut ganz bestimmt. Merkel erhält die Nachricht offiziell in Freiburg bei einer Veranstaltung der Stiftung Ordnungspolitik. „Die Entscheidung der Uni Bayreuth liegt auf der Linie dessen, was der Verteidigungsminister vorgegeben hat“, sagt Merkel. „Sie macht daher Sinn.“ Der Minister sei in seinem Amt durch diesen Beschluss nicht geschwächt.
Der Zweigeteilte ist also gerettet, und mit ihm die Droge KT. Aber um welchen Preis! Die Union, auch Merkel hat sich in die Abhängigkeit begeben, süchtig nach den guten Umfragen. Öffentlich leugnen das alle. Aber es gibt bei CDU und CSU etliche, die es übel nehmen, wie Guttenberg sie in die Solidarität gezwungen hat für etwas, was bürgerlichen Werten so offenkundig widerspricht. „Als CDU-Abgeordneter sagte ich: KT hat unser volles Vertrauen“, sagt einer. „Als Bürger hingegen ...“ Der Rausch, wenn er nachlässt, führt zu Katzenjammer.
Robert Birnbaum
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