Mitleidsbonus im US-Wahlkampf?: „Die Corona-Infektion wirft Trumps Botschaft total über den Haufen“
Der frühere US-Botschafter in Deutschland, John Kornblum, spricht über Folgen von Trumps Covid-19-Erkrankung und gibt Herausforderer Joe Biden einen Rat.
John Kornblum, 77, war von 1997 bis 2001 US-Botschafter in Bonn und Berlin. Danach wechselte er in die Privatwirtschaft, beobachtet und kommentiert aber auch weiterhin intensiv das transatlantische Geschehen. Der Tagesspiegel erreichte ihn in seinem Haus in Nashville, Tennessee.
Herr Kornblum, US-Präsident Donald Trump wurde gut 30 Tage vor der Wahl positiv auf Corona getestet. Kann er mit einem Mitleidsbonus rechnen?
Wäre dies eine normale Wahl, ja. Aber dies ist keine normale Wahl. Die Menschen, die Mitleid mit ihm haben werden, sind die, die ihn ohnehin wählen werden. Und die, die nicht für ihn stimmen wollen, werden auch nicht viel Mitgefühl entwickeln.
Und was ist mit den anderen, den Unentschiedenen?
Umfragen zufolge sind nur knapp zehn Prozent der Wähler noch unsicher, wen sie am 3. November wählen. Viele haben auch schon gewählt. Diese zehn Prozent werden als moderate Republikaner beschrieben, die 2016 für ihn stimmten, weil sie sich einen Wandel erhofften. Nun haben sie große Zweifel zu ihm als Person und dazu, wie er handelt. Darum glaube ich, dass ihm dies schaden wird.
Was macht das genau mit Trumps Wahlkampf?
Es wirft seine Botschaft total über den Haufen. Er hat alles versucht, um das Thema Corona vom Tisch zu bekommen. Er wollte über radikale Linke, Gewalt in den Städten und „Law and Order“ sprechen. Er hat die Gefahr des Virus heruntergespielt und sich über Masken lustig gemacht. In dieser Frage ist er nun nicht mehr glaubwürdig. Seine eigene Infektion in Kombination mit seinem katastrophalen Auftritt beim TV-Duell am vergangenen Dienstag – das schmeißt ihn völlig aus der Bahn.
Was war Ihr Gedanke, als Sie von Trumps Ansteckung erfuhren?
Mein erster Gedanke war: Nun trifft es den Richtigen. Er hat die Gefahr des Virus heruntergespielt, er war arrogant. Mein zweiter Gedanke war: Dies zerstört seine Wiederwahlchancen fast komplett. Er hätte dringend positive Nachrichten gebraucht. Ich sage das wohl wissend, dass wir alle gelernt haben, ihn nicht zu unterschätzen. Bei ihm greifen normale Überlegungen nicht.
Können Sie sich vorstellen, dass er aus der Quarantäne heraus Wahlkampf macht, zum Beispiel über tägliche Pressekonferenzen, wo es dann nur um ihn geht?
Nein. Und er kann auch nicht mehr seine täglichen Rallyes abhalten.
Ist es in Ordnung, dass Joe Biden weiter Wahlkampf macht?
Unbedingt. Er sollte dies auf keinen Fall unterbrechen, er wurde ja negativ getestet. Es ist wichtig, dass er wie heute in Grand Rapids im Swing State Michigan auftritt. Er muss die Stimmen der Wähler holen, die außerhalb der liberalen Großstädte leben. Er hat gute Chancen, Michigan zurückzugewinnen. Und Sie dürfen nicht vergessen: Er war immer sehr vorsichtig und musste sich von Trump dafür aufziehen lassen, dass er weniger und kleinere Events macht und stets eine Maske trägt. Jetzt sieht Biden auf einmal sehr gut aus.