Wahlen in Afghanistan: "Die Chance selbst über die Zukunft zu bestimmen"
Trotz immer neuer Anschläge stehen die Afghanen Schlange, um sich für die Präsidentschafts- und Provinzwahlen am Samstag registrieren zu lassen. Der Chef der EU-Wahlbeobachter in Kabul, Thijs Berman, sagt: Die Menschen wissen, dass 2014 ein Schicksalsjahr für sie ist.
Herr Berman, viele Wahlbeobachter haben Afghanistan nach dem Anschlag auf das Kabuler Hotel Serena verlassen. Dort war ein Beobachter aus Paraguay getötet worden. Ist eine Wahlbeobachtung nun überhaupt noch möglich?
Die EU-Mission wird ihre Arbeit in Afghanistan wie geplant erfüllen. Wir sind in Kabul auf dem Gelände der EU-Vertretung untergebracht, und dort ist es sehr sicher. Aber die Sicherheitslage ist natürlich ein Problem. Unsere Bewegungsmöglichkeiten im Land sind eingeschränkt. Ich war in Masar-i-Scharif und plane einen Besuch in Herat. Auch zu Kandahar und Dschalabad haben wir Kontakt, doch wir konnten bisher nicht dorthin reisen. Dennoch glaube ich, dass wir wertvolle Arbeit leisten können, denn wir untersuchen ja auch die Rahmenbedingungen der Wahl: die Organisation, den rechtlichen Prozess und später den Umgang mit Beschwerden.
Sie haben schon die Wahl 2009 beobachtet. Gibt es Unterschiede bei der Vorbereitung?
Mein Eindruck ist, dass die Vorbereitungen diesmal deutlich besser sind. Die Mitglieder der Wahlkommission beispielsweise wurden in diesem Jahr anders als 2009 nicht allein vom Präsidenten benannt.
Sie rechnen also nicht mir Unregelmäßigkeiten wie 2009 bei der Wiederwahl von Präsident Hamid Karsai, der diesmal nicht mehr antreten darf?
Ob die Wahl fair verlaufen wird, kann man natürlich derzeit nicht sagen. Ein entscheidender Unterschied ist jedoch, dass die Afghanen mehr Vertrauen in die Wahl haben. Sie glauben auch nicht, dass ausländische Mächte Einfluss auf das Ergebnis nehmen, sondern haben vielmehr den Eindruck, diesmal wirklich eine Wahl zu haben. Deshalb sieht man überall Schlangen vor den Stellen, wo sich Wähler registrieren lassen können. Und das trotz der Bedrohung durch die Taliban.
Woher kommt dieser Optimismus?
Die Afghanen wissen, dass 2014 ein entscheidendes Jahr für ihr Land ist. Die meisten ausländischen Truppen werden Afghanistan verlassen, und es steht ein friedlicher Machtwechsel an. Sie sehen dies als Chance, selbst über ihre Zukunft bestimmen können. Vor allem die besser gebildeten Afghanen ersehen den Rückzug der ausländischen Truppen geradezu, weil sie möchten, dass Afghanistan souverän und unabhängig wird.
Sind nicht aber auch viele Afghanen von der politischen Entwicklung in ihrem Land enttäuscht?
Es gab tatsächlich eine Phase der Desillusionierung. Das hat mit Korruption zu tun, mit der Schwäche des Parlaments und anderem. Afghanen, mit denen ich spreche, sagen mir aber, dass es aus ihrer Sicht keine akzeptable Alternative zu einem demokratischen Machtwechsel gibt. Und deshalb gehen sie wählen.
Viele vermuten, dass der amtierende Präsident Hamid Karsai auch nach der Wahl Einfluss auf die Politik nehmen wird. Schließlich lässt er sich gerade ein Haus auf dem Gelände des Präsidentenpalastes bauen, er bleibt als schon räumlich im Dunstkreis der Macht.
Es gibt viele Gerüchte über Karsais Absichten. Das möchte ich nicht kommentieren. Es gibt auch Gerüchte, dass die USA beispielsweise diesen oder jenen Kandidaten unterstützen. Ich persönlich glaube, dass die Wahl offen ist.
Welche Rolle spielen die Provinzwahlen, die ebenfalls am Samstag anstehen?
Auch sie sind sehr wichtig, denn sie können einer neuen Generation von Politikern zum Aufstieg verhelfen. Derzeit haben dort ja vor allem ehemalige Kriegsherren das Sagen. Für uns mag das schwer nachvollziehbar sein, doch in Afghanistan ist es eine logische Konsequenz der Verhältnisse. Diese Männer werden als legitime Führer angesehen, weil sie gegen die sowjetischen Besatzer gekämpft haben. Außerdem sind sie in der Lage, ihre Anhänger zu unterstützen, ihnen Arbeit zu verschaffen oder bestimmte soziale Dienste anzubieten.
Thijs Berman ist niederländischer EU-Parlamentarier und Chef der EU-Wahlbeobachtermission in Kabul.