Vor der Landtagswahl: Die Bayern sind in Wahrheit ein unregierbares Volk
„Mamma Bavaria“ über das Grundproblem der CSU, Kinderarbeit in München und Söders Vorschlaghammer. Eine bierzelternste Analyse.
Die frohe Botschaft aus Bayern in diesen Tagen lautet: Das Oktoberfest war heuer wieder ein Mega-Erfolg: 95.000 Tonnen Müll! Da kann Horst Seehofer noch so viel über 69 Abschiebungen an seinem 69. Geburtstag witzeln, am bayerischen Bierumsatz ändert das rein gar nichts; auch von einer Endzeitstimmung kann in Bayern nach wie vor keine Rede sein, das Glockenspiel am Marienplatz dreht sich seelenruhig weiter, der Alte Peter steht immer noch am Petersbergerl, und die Isar plätschert unaufhaltsam durch die schöne Münchner Stadt. Am weiß-blauen Himmel verdunkelte sich auch nicht die Sonne vor Scham, als Markus Söder sein Weltraumprogramm vorstellte.
Nur auf dem Mars hat man per Schnellbeschluss entschieden, Bayern schon mal vorsorglich als sicheres Drittland einzustufen, um gewappnet zu sein gegenüber der zu erwartenden Flüchtlingswelle, denn die Zustände werden voraussichtlich nach dem Verlust der absoluten CSU-Mehrheit außer Kontrolle geraten: Bayern droht die Unregierbarkeit! Das hat zumindest der CSU-Generalsekretär Markus Blume erst neulich mit finster seherischer Miene verkündet, und die Bayern bekamen das Fürchten ob der bevorstehenden anarchistischen Verhältnisse und kauften sich gleich noch eine vierte Maß auf dem Oktoberfest und schmissen ihren gesamten Müll einfach auf die Straße, weil darauf kommt es schließlich jetzt auch nicht mehr an.
Das Grunddilemma der CSU ist, dass sie tatsächlich immer noch der Illusion aufsitzt, sie hätte in den letzten Jahrzehnten Bayern regiert. Viele glauben ja bis heute so beharrlich an Franz Josef Strauß wie Vorschulkinder an die Zahnfee. Franz Josef Strauß, der Erfinder des modernen Bayern! Es sei die Frage erlaubt, was wäre denn die Alternative gewesen? Ein Bayern ohne Autos, Kühlschränke und Telefon? Nach Strauß kam Edmund Stoiber: Er wollte gleich noch eins draufsetzen und mit dem Kauf der Hypo Alpe Adria den Bayern Weltruhm auf dem Finanzmarkt verschaffen, leider hat er es selbst nicht mal vom Hauptbahnhof bis zum Flughafen geschafft.
Zwischenzeitlich durfte dann mangels Nachfolger (Markus Söder war noch nicht reif genug) Horst Seehofer Regierung spielen, der nette Onkel aus Ingolstadt mit Märklineisenbahn und Merkeltrauma, der sich sogar einbildete, Bayern in die Zukunft hinein regieren zu können, aber in Wahrheit mehr fuchtelnd als elegant sein imaginäres Luftorchester aus Parteifreunden und Parteifeinden dirigierte. Bis dann endlich Markus Söder das Zepter übernahm. Mit handfesten Parolen und knallharten Intrigen wollte er die CSU-Regierungsillusion ganz fix wieder auf Zack bringen, doch führte er das Zepter so, als wolle man mit einem Vorschlaghammer eine Seifenblase am Zerplatzen hindern.
Nein – es ist der CSU nicht gelungen, die Lufthoheit über den Stammtischen zu behalten. Aber vielleicht hätte man in der CSU schon früher über Sinn und Bedeutung des Wortes „Lufthoheit“ nachdenken sollen.
Man hatte sich doch immer fest an die Maximen der Zahnfee gehalten: „Rechts neben der CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben.“ Besser wäre es gewesen, man hätte in der Mitte eine Rettungsgasse frei gelassen. Mit der AfD wird deutlich: Die Rechten in Bayern waren niemals weg, sie waren auch nicht bei der CSU, sie waren im Funkloch!
Viele Münchner wohnen in ihren Autos, im Stau am mittleren Ring
Die hohe Wirtschaftskraft Bayerns war immer der Motor des CSU-Erfolgs. Doch auch hier stellte sich heraus: Hinten kam genauso wenig Gutes raus wie bei den hochgelobten Dieselfahrzeugen. Eine Garage in München kostet heutzutage so viel Miete wie eine Vier-Zimmer-Wohnung in – Pardon – Paderborn. In den Münchner Kitas knüpfen die Kinder bald Teppiche, um ein bisschen was dazuzuverdienen. Viele Münchner wohnen schon gar nicht mehr in einer Wohnung, sondern im Auto, im Stau am mittleren Ring, und haben sich bereits darauf eingestellt, auch dort zu sterben und danach direkt zu Feinstaub zu zerfallen.
Wobei der Reichtum in München ein fast noch größeres Problem ist als die Armut. München ist unterwandert von einer hermetisch abgeriegelten Bevölkerungsgruppe mit der Tendenz zur Ghettobildung: der Schickeria. Frauen ohne Louis-Vuitton-Tascherl werden systematisch diskriminiert, die Kinder werden ohne Rücksicht auf ihren IQ aufs Gymnasium gezwungen und in München gibt es mittlerweile Gegenden, da traut sich die Polizei nicht mehr hin, denn würden sie anfangen, jeden auf dem Gehsteig parkenden SUV aufzuschreiben, kämen sie da nie wieder raus. Und auch die hintere Oberpfalz verzeichnet endlich einen wirtschaftlichen Aufschwung, eine stete Zunahme an Touristen aus allen Teilen Europas, die kommen, um die verlassenen Ruinenstädte zu besuchen, weil ihnen Machu Picchu zu weit weg ist.
Und dann ist ja noch die CSU die erste Regierungspartei Europas gewesen, die ein Umweltministerium eingeführt hat. Die bayerischen Menschen, die beispielsweise an der B 12 leben, sind doch glücklich! Hier beginnt der Tag nicht, wenn der Hahn kräht, sondern wenn der erste Sattelschlepper hupt. In den Alpen trotzt man der Erderwärmung mit dem Bau neuer Skiliftanlagen, und auch Windräder sind erlaubt, sofern sie nicht in Bayern stehen. Da ist es doch nachvollziehbar, dass man in der CSU die Welt nicht mehr versteht und nicht mehr weiß, womit man so viel Undank der Bevölkerung verdient hat.
Bayerische Wahrheitsessenz zeigt keine Wirkung, trotz Schuhbecks Ingwer
In den uralten bajuwarischen Schriften steht geschrieben, dass man die bayerische Wahrheit nur mithilfe einer Essenz erkennen kann: Man nehme Schuppen des Donauwallers, zermahlene Schnäbel über Bayern abgestürzter Zugvögel, das zerriebene Haus einer Oberpfälzer Weinbergschnecke sowie eine klein geschnittene Feder des Steinadlers aus dem Hintersteiner Tal und verrühre dies mit drei Tropfen Ammersee, drei Tropfen Walchensee und einer Handvoll Torf aus dem Moor bei Murnau. Markus Söder hat in seiner Verzweiflung nach den letzten Umfrageergebnissen die Essenz sofort nachbrauen lassen, doch selbst nach der Beigabe des obligatorischen Ingwers von Alfons Schuhbeck zeigte sie immer noch keine Wirkung.
Die Wahrheit ist: Die Bayern sind in Wirklichkeit ein unregierbares Volk. Und sind es immer schon gewesen. Sie lassen es sich halt nicht anmerken. Und wer es nicht glauben mag, der begebe sich in München auf den Viktualienmarkt, mitten hinein in das bayerische Bauchgefühl. Es gibt Würste und Wein aus Franken, Maultaschen aus Schwaben, Steinpilze aus der Oberpfalz, Geselchtes aus Niederbayern, Käse aus dem Allgäu und Fisch aus dem Atlantik. Das Publikum ist bunt gemischt, aus aller Herren Länder, und gleich um die Ecke ist das Bellevue di Monaco, ein Wohnprojekt für Flüchtlinge mit einem Café der Begegnung. Im Biergarten am Viktualienmarkt sitzen die Bayern in der warmen Altweibersonne bei einer Maß Bier und lassen den Herrgott einen guten Mann sein. Hier ist der Ort des ewigen Sitzens. Da ist man immer gesessen und wird man auch immer sitzen. Da ist man im „Do samma im Dosamma“. Und das garantiert völlig unabhängig davon, wie am Sonntag die Wahl ausgeht!
- Luise Kinseher, alias Mamma Bavaria, ist bayerische Kabarettistin. Mit ihrem neuen Soloprogramm „Mamma Mia Bavaria“ gastiert sie am 2. November in Berlin (Wühlmäuse, Pommernallee 2–4, Charlottenburg), weitere Infos unter: www.luise-kinseher.de).
Luise Kinseher