Von Hartz IV bis Lecktuch: Die Anträge beim SPD-Parteitag
Die SPD will in der Sozialpolitik die Weichen stellen für die Zeit nach der großen Koalition – daneben gibt es auch einige ungewöhnliche Anträge.
Die SPD will mit neuen Wegen in der Sozialpolitik die Weichen stellen für die Zeit nach der großen Koalition – daneben gibt es auch einige ungewöhnliche Anträge beim Bundesparteitag in Berlin. Ein Überblick:
Kindergrundsicherung
Statt vieler verschiedener Familienleistungen will die Partei alles bündeln zu einer Kindergrundsicherung von bis zu 478 Euro im Monat, um die Kinderarmut zu verringern. Staatliche Leistungen für Kinder, wie Kindergeld, Freibeträge und Zuschläge die bisher individuell beantragt werden müssen, werden im neuen Kindergeld der SPD zusammengeführt. Das neue Kindergeld soll für alle 250 Euro betragen (für Familien aus ärmeren Familien mehr) und jedes Kind soll ein kostenloses Nahverkehrsticket erhalten. Von dem 250-Euro-Basisbetrag sollen für jedes Kind 30 Euro auf ein Teilhabekonto gehen.
Von diesem App-basierten Konto sollen Kinder Freizeitangebote vor Ort bezahlen können. Zudem soll es gebührenfreie Kitas und kostenlose Ganztagsbetreuung für Schüler geben. Der Höchstbetrag für Kinder ab 14 Jahren soll 478 Euro betragen, für Kinder zwischen 6 und 13 Jahren 458 Euro und für Kinder bis 6 Jahre 400 Euro. Eltern, die Hartz IV oder Arbeitslosengeld II beziehen, werden entlastet, da das neue Kindergeld nicht mehr auf ihre Sozialleistungen angerechnet werden soll. Mit den steuerlichen Freibeträgen werden Familien mit höherem Einkommen bislang bessergestellt. Das will die SPD ändern, indem die Steuervorteile auf maximal 250 Euro begrenzt werden.
Abkehr von Hartz IV
Es ist noch das Werk von Andrea Nahles. Auf ihr Betreiben hin wurde ein Konzept für einen „Sozialstaat 2025“ erarbeitet. Hat jemand viele Jahre gearbeitet und in die Sozialversicherungssysteme eingezahlt, soll er im Fall der Arbeitslosigkeit nicht mehr so schnell zum Hartz-IV-Bezieher werden – es ist bis heute ein Trauma der Partei, dass bisher Menschen bereits nach zwölf Monaten auf Hartz-IV-Niveau fallen und gezwungen werden können in eine kleinere Wohnung zu ziehen. Nach dem Konzept sollen ältere Bürger das weitaus höhere Arbeitslosengeld I künftig bis zu 33 Monate lang erhalten können.
Und wer arbeitslos ist und sich weiterbildet, soll für die Zeit der Qualifizierung ebenfalls eine Verlängerung seines Arbeitslosengeldes I – das Arbeitslosengeld Q – bekommen. Mit dem neuen Konzept soll es generell eine Übergangsphase von zwei Jahren geben, in der Arbeitslose auf keinen Fall aus ihrer Wohnung ausziehen müssen - falls die für größer als angemessen befunden wird. In dieser Zeit sollen die Menschen „von diesbezüglichen Sanktionen verschont bleiben“.
Neben den großen Themen gibt es aber auch viele Anträge zu Detailthemen, rund 1000 Seiten umfasste das Antragsbuch, bis hin zu Warngeräuschen für Elektroautos, die man sonst kaum hört oder strengeren Zulassungsvorschriften für Implantate. Der Kreisverband Stuttgart fordert, Apotheken sollen Kondome und Lecktücher kostenlos ausgeben und das Gesundheitsministerium eine Aufklärungskampagne über die Notwendigkeit von Lecktüchern beim Oralverkehr ins Leben rufen. Daneben gibt es zum Beispiel noch diese Forderungen:
Toiletten-Höchstpreis
„Der Gang zur Toilette ist ein Grundbedürfnis, absolut natürlich sowie nicht verhinderbar“, betont die SPD aus dem Unterbezirk Celle. Die Nutzung einer öffentlichen Toilette sollte bundesweit nicht mehr als 50 Cent kosten, „da zur Erfüllung der menschlichen Notdurft dringen ein Abort besucht werden muss“. Eine Erfüllung dieses Bedürfnisses außerhalb des Aborts sei strafbar.
Grundrecht auf analoges Leben
Jeder sollte gleichwertig am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können, ohne gezwungen zu sein, digitale Technik zu nutzen. „In allen Bereichen des sozialen, gesellschaftlichen, politischen, ökologischen und ökonomischen Lebens, in denen digitale Technik und digitale Hilfsmittel verwendet werden, muss eine Möglichkeit zu einer alternativen analogen Anwendung garantiert werden“, sagt der Antragstext. Gemeint sein könnte, dass man auch ohne Smartphone Leihwagen buchen können und mit Bargeld auch weiterhin noch einkaufen können sollte.
Prostitution
Der Landesverband Baden-Württemberg beantragt die Einführung des nordischen Modells bei Prostituierten. Ein Modell, mit dem die skandinavischen Länder schon seit einigen Jahren erfolgreich gegen Zwangsprostitution vorgehen. Dabei wird Prostitution strafbar gemacht, bei Vergehen werden aber nicht die Prostituierten, sondern die Freier bestraft. Straffrei soll dafür das „Containern“, also das Retten von weggeworfenen Lebensmitteln werden. Die Anfrage, ob man das Missionieren religiöser Gruppen an Bahnhöfen verbieten könnte, wurde von der Antragskommission abgelehnt.