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Im Irak fliehen immer mehr Menschen vom Terror der IS. Zum Beispiel ins Flüchtlingscamp Khazir nahe Erbil.
© dpa

Terror in Syrien und im Irak: Die Angst der saudischen Führung vor den IS-Gotteskriegern

In Saudi-Arabien schaut das Königshaus mit Sorge auf den Irak und nach Syrien, wo die Terroristen des "Islamischen Staates" auf dem Vormarsch sind. Die größte Gefahr jedoch könnte im eigenen Land lauern.

Wochenlang hatte der saudische König Abdullah zur Tragödie in Gaza geschwiegen. Kürzlich ließ der 90-Jährige im Staatsfernsehen dann endlich eine fünfminütige Erklärung zum Krieg zwischen Israel und Hamas verlesen. Doch diese offenbarte vor allem eins, wie sehr den Herrschenden in Riad der Vormarsch des „Islamischen Staates (IS)“ in die Knochen gefahren ist. Die muslimische Welt gehe dieser Tage durch eine „historische und gefährliche Phase“, weil Terroristen glaubten, „ihnen wird der Rücken gestärkt“, deklamierte der Monarch. Die internationale Gemeinschaft aber schaue schweigend zu, was sich in der gesamten Region abspiele. Sie gebe sich unbeteiligt, als wenn sie dies alles nichts angehe. „Es gibt keine Rechtfertigung für dieses Schweigen“, tadelte Abdullah entnervt, um gleichzeitig indirekte Kritik an radikalen Predigern zu üben, die das „reine und humanitäre Wesen des Islam entstellen“.

Seit der Blitzinvasion der IS-Gotteskrieger im benachbarten Irak geht in Riad die Angst um. Denn die Vorkämpfer des „Islamischen Kalifates“ lassen keine Zweifel daran, ihr nächstes Ziel ist die Eroberung von Mekka. „Wenn Allah es wünscht, werden wir alle töten, die Steine anbeten, und wir werden die Kaaba in Mekka zerstören“, zitierten türkische Medien die Twitter-Botschaft eines IS-Führungsmitglieds mit Kriegsnamen Abu Turab Al Mugaddasi. Auf Propaganda-Videos zerreißen saudische Dschihadisten ihre Pässe und schwören, sie würden „das Land der beiden heiligen Moscheen“ befreien, sobald „wir in Syrien und Irak fertig sind“.

Nach einem Bericht der Londoner „Times“ hat Saudi-Arabien darum dieser Tage Pakistan und Ägypten gebeten, Truppen zu Sicherung seiner 814 Kilometer langen Grenze mit dem Irak zu schicken. „Niemand weiß, was IS plant“, zitiert das Blatt einen Regierungsberater in Riyadh. Klar aber sei, dass diese Gruppe – wenn sie könne - Mekka erobern wolle. „Wir gehen davon aus, dass ihr Angriffsschwung erlahmt, aber wir werden kein Risiko eingehen.“ Zusätzliche 30.000 Soldaten will König Abdullah fest im Norden stationieren, verstärkt durch die ägyptischen und pakistanischen Elitekräfte.

Offene Sympathie für ISIS in Saudi-Arabien

Die größte Gefahr für das Königshaus jedoch könnte im Inneren lauern. Die saudischen Stämme im Grenzgebiet haben enge Verbindungen zu sunnitischen Clans in Mesopotamien, von denen viele offene Sympathie für die radikalen Eroberer hegen. Mindestens 3000 junge Saudis kämpfen mittlerweile in Syrien und Irak, aufgehetzt durch ihren heimischen Klerus, der einen ähnlich puritanisch-intoleranten Islam predigt wie die Vorkämpfer des „Islamischen Kalifates“. In Riad tauchten kürzlich erstmals ISIS-Graffiti auf. Bewohner ganzer Stadtteile fanden morgens Flugblätter der Radikalen an ihren Windschutzscheiben. Im Mai hoben die saudischen Sicherheitskräfte in Abha nahe der jemenitischen Grenze eine ISIS-Zelle aus und verhafteten 62 Leute, die meisten von ihnen Saudis.

Der saudische König Abdullah fürchtet um seinen Einflussbereich wenn der "Islamische Staat" größer wird.
Der saudische König Abdullah fürchtet um seinen Einflussbereich wenn der "Islamische Staat" größer wird.
© Reuters

Praktisch auf allen Ebenen der Gesellschaft gebe es offene Sympathie für ISIS, schreibt der bekannte schiitische Publizist und langjährige Bürgermeister von Qatif, Jafar Alshayeb, in einer für saudische Verhältnisse ungeschminkten Analyse. „Ich bin erstaunt über das Ausmaß an Zustimmung, das ISIS in lokalen Zirkeln genießt, besonders unter jungen Leuten, selbst unter Intellektuellen und Gelehrten“, heißt es im dem Text mit dem Titel „ISIS unter uns“. In Saudi-Arabien gebe es „viele Bürger, die die gleiche Orientierung und die gleichen Ideen haben wie diese Leute, und die Terrorakte gegen politische Regime und soziale Gruppen gut heißen“, konstatiert Alshayeb. „Sie finden es richtig, wenn Christen in Mosul gezwungen werden, Sondersteuern zu zahlen oder ihre Häuser zu verlassen. Sie finden es richtig, wenn Menschen wegen Ehebruchs gesteinigt werden. Sie finden es richtig, wenn Leute gekreuzigt werden, weil sie die Fastenregeln des Ramadan oder die Gesetze von ISIS gebrochen haben.“

Zwischen der Weltsicht eines jungen Saudi, der in Japan Buddha-Statuen zertrümmert, und ISIS, die in Mosul Gräber und Mausoleen zerstören, gebe es keinen Unterscheid, argumentiert Alshayeb, der für eine grundlegende Revision der Schulcurricula plädiert, vor allem beim Religionsunterricht. Die Erziehung in Saudi-Arabien müsse gereinigt werden von „Militanz, Abgrenzung und Diskriminierung.“ Nur so könne eine Gesellschaft entstehen, „die offener, toleranter und menschlich vielfältiger ist“.

Martin Gehlen

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