Die erste US-Präsidentin?: Die Amerikaner sind bereit für Hillary Clinton
Je länger Hillary Clinton raus ist aus dem Politbetrieb, desto größer wird die Erwartung. Will sie die erste Präsidentin der USA werden? Ihre Umfragewerte sind derzeit kaum zu toppen.
Im Preston-Auditorium der Weltbank in Washington hat Hillary Clinton an diesem Tag leichtes Spiel. Der Saal ist überfüllt, ein Bericht über die globale Situation von Frauen wird vorgestellt, auf der Bühne sitzt Clinton. „Willkommen zu dieser außergewöhnlich gut besuchten Präsentation der Weltbank“, sagt die Moderatorin zur Begrüßung und lächelt fröhlich. „Ich weiß, Sie sind alle wegen dieses fabelhaften Reports gekommen.“ Lachen im Saal. „Ich begrüße die frühere Außenministerin Hillary Clinton.“ Clinton erhält einen Beifall, als hätte sie das Ende der weltweiten Frauendiskriminierung verkündet.
Amerika ist, wieder einmal, im Clinton-Fieber. 2013 ist Hillary Rodham Clinton als Außenministerin zurückgetreten, und je länger sie dem Politbetrieb den Rücken gekehrt hat, umso größer wird die Erwartung, dass sie sich erklärt. Dass sie sagt, ob sie vorhat, die erste Präsidentin in der Geschichte der Vereinigten Staaten zu werden. Längst gibt es in Washington eine neue Disziplin, die an die Kreml-Astrologie vergangener Zeiten erinnert: die Clintonologie. Sie dreht sich um eine einzige Frage: „Was will Hillary?“
Seit Jahrzehnten hat kein Kandidat Umfragewerte wie Hillary Clinton erreicht. 55 Prozent aller Wähler – von links wie von rechts – würden ihre Kandidatur unterstützen. Das ist bei diesem mit nahezu religiöser Inbrunst gespaltenen Land eine unerreichte Zahl. Unter den Frauen sind es 59 Prozent, sie fordern endlich ihren Anteil an der Macht. Und unter den Anhängern ihrer demokratischen Partei wollen 73 Prozent Clinton im Weißen Haus sehen. Selbst ein Viertel der Republikaner bringt ihr Hochachtung entgegen. Amerika ist bereit für Hillary Clinton. Aber ist sie es?
Clinton selbst hat kein Wort über eine mögliche Präsidentschaftskandidatur verlauten lassen. Sie spricht kaum mit der Presse, sie beantwortet keine Fragen, die sich ums Weiße Haus drehen. Und doch inszeniert sie sich, als folge alles einem großen Masterplan.
Ihr Buch soll ein Momentum erzeugen
Am 10. Juni werden ihre Memoiren erscheinen, eine Art Manifest, mit dem seit Tagen dosiert die Öffentlichkeit gefüttert wird. Erst ließ sie das Vorwort an ihre Anhänger verschicken, am Wochenende konnte man im Magazin „Politico“ nun auch etwas über das Kapitel zum Anschlag auf die US-Botschaft in Benghasi 2012 lesen. Ihr Buch soll ein Momentum erzeugen, es heißt, die erste Auflage von einer Million Exemplaren sei bereits durch Vorbestellungen ausverkauft. Clinton wartet auf die perfekte Welle. Die Frage ist nur, ob sie auch den Mut hat, sie zu reiten.
Bei der Veranstaltung der Weltbank nimmt Hillary Clinton die Bühne ein. Sie schildert eine Reise nach Papua-Neuguinea. Mit dem Premierminister führte sie eine private Unterhaltung über die Gewalt gegen Frauen in seinem Land. „Es hätte ihn nicht weniger berühren können“, so erzählt Clinton mit dunkler, voller Stimme von diesem Mann, den sie offenkundig verachtet. Aber sie hatte ja die mitreisenden Reporter vorher gut gebrieft. „Als die Frage, was er dagegen unternehme, später auf der Pressekonferenz gestellt wurde, kamen ziemlich viele ,Nun ja’s‘ in den Sätzen vor.“ Clinton zeigt Genugtuung, als sie erzählt, wie sie den Staatschef bloßgestellt hat.
Die Feministin berichtet von ihrem Bemühen, im globalen Maßstab Veränderung zu fördern, von ihren Reisen, ihren Gesprächen, ihren Initiativen. „Und das ist es“, schließt sie, „was ich mit unserer Clinton Foundation tue.“ Ihr reichen ein paar Sätze in Papua-Neuguinea, um Weltpolitik zu machen. Und nur ein Satz, um zu zeigen, dass sie Politik und Menschen selbst dann bewegt, wenn sie, wie derzeit, nur in der familieneigenen Stiftung arbeitet. Sie ist eine Schattenpräsidentin.
Kein krampfhaftes Bemühen um Jugendlichkeit
Wie bedeutend Hillary und ihr Ehemann, Ex-Präsident Bill Clinton, mittlerweile sind, kann man jedes Jahr im September beobachten, wenn parallel zur UN-Vollversammlung die „Clinton Global Initiative“ einlädt. New York ist in diesen Tagen der wichtigste und mächtigste Ort der Welt, mit so vielen Staatschefs wie nirgendwo sonst. Sie sprechen vor den Vereinten Nationen – und danach schauen sie bei den Clintons vorbei, um bei deren Stiftung über Konzepte zum Abbau von Armut zu diskutieren.
Leute, die Hillary Clinton besser kennen, sagen, dass sie diesen neuen, privatisierten Zugang zur Weltpolitik bei der Stiftung liebt. Vielleicht ist dies das größte Hindernis für eine künftige erste Präsidentin in den USA: dass Hillary Clinton dieses Amt weniger braucht als jeder andere Bewerber vor ihr; dass sie, im besten feministischen Sinne, unabhängig ist. „Ich habe ihr zugehört, wenn sie von ihrer Arbeit bei der Stiftung spricht“, sagt Mike McCurry, der einst Sprecher von Bill Clinton war und die Familie noch immer gut kennt. McCurry beschreibt Hillary Clintons Stimmung als euphorisch, er sagt: „Ich bin vielleicht der einzige Mensch in Washington, der darauf wetten würde, dass sie nicht antritt.“
Wer Hillary Clinton bei einem ihrer wenigen Auftritte nahe kommt, begegnet einer überraschend kleinen Frau. Inmitten einer Eskorte von dunkel gekleideten Männern sieht sie zart aus. Sie bindet sich die Haare nicht mehr zum Pferdeschwanz, sie hat eine Brille aufgesetzt, inzwischen sieht man ihr das Alter an. Clinton bemüht sich nicht mehr krampfhaft um Jugendlichkeit. Sie wird bald Großmutter, ihre Tochter Chelsea erwartet ein Baby. Wenn sie 2017 ins Weiße Haus einzöge, wäre sie 69 Jahre alt. Kein Alter, in dem man sich noch alles zumuten will. Sie hat ihr Leben schon einmal der Öffentlichkeit preisgegeben. Sie weiß, dass der Wahlkampf Monate geprägt von unfairen und bösartigen Attacken bedeuten würde, von Menschen wie Karl Rove.
Die Partei wartet auf sie. Zu langes Zögern birgt auch Gefahr
Karl Rove ist der Architekt des Wahlsieges von George W. Bush, er hat wohl für mehr Intrigen gesorgt als jeder andere in der Ära Bush-Clinton, und er ist stolz darauf. Neulich fing Rove an, über Clinton zu reden, er fragte scheinheilig nach einem Krankenhausaufenthalt vor eineinhalb Jahren. „30 Tage im Krankenhaus?“, fragte Rove. „Und als sie wieder auftaucht, trägt sie eine Sonnenbrille, die nur für Menschen mit einer schweren Hirnverletzung gedacht ist.“ Karl Roves Kommentar war angeblich nichtöffentlich, aber er fand natürlich seinen Weg an die Öffentlichkeit. Die Wahrheit ist, dass Clinton im Dezember 2012 drei, nicht 30 Tage wegen eines Blutgerinsels im Krankenhaus lag und schon kurz danach wieder öffentliche Auftritte absolvierte. Aber irgendetwas bleibt immer hängen. Wie fit ist Clinton wirklich? Ist sie bereit, eine ermüdende Kampagne auf sich zu nehmen, eine mit vielen Karl Roves?
L-Street, Washington, ein Betonklotz unweit des Weißen Hauses, an einem anderen Tag im Mai 2014. Der linke Flügel der Demokraten, der in der „New America Foundation“ organisiert ist, lässt hier eine intellektuelle liberale Elite über „Große Ideen für ein neues Amerika“ diskutieren. Hillary Clinton ist hier die Hauptrednerin. Mit einem warmen Lächeln und energischen Gesten steht sie vor ihrem Publikum. Nur unter den Augen zeigen dunkle Schatten ihre Erschöpfung.
40 Minuten redet die Frau, von der Google-Chef Eric Schmidt sagt, was immer sie tue, sei „auf einem nur schwer beschreibbaren Niveau von Intellekt und Leidenschaft“. Sie spricht frei, ohne Skript, ohne Teleprompter. Wer mit Hillary Clinton arbeitet, beschreibt sie mit Wörtern wie brillant, hochintelligent, zielstrebig.
Wie gemacht für eine Kampagne
Clinton ruft den progressiven Flügel ihrer Partei dazu auf, sich für eine gerechtere Gesellschaft zu engagieren. Sie zitiert Statistiken, beruft sich auf Alexis de Tocqueville und spricht von Zeitgenossen, die die ökonomische Entwicklung in den USA als „Rückfall in die goldene Zeit des skrupellosen Kapitalismus“ bezeichnen. Die Rede, urteilt anschließend die „New York Times“, „wirkte, als sei sie wie gemacht für eine Kampagne“.
Wer Clinton zuhört, weiß, in welche Richtung die Kampagne gehen könnte. Clinton inszeniert sich als Anwältin des Sozialstaats, und die Linke scheint sich mit ihr versöhnt zu haben. Dabei ist die Hoffnungsträgerin der Frauen und Liberalen selbst keine klassische Linke. Im Juli 2009 hat sie als US-Außenministerin in einer Rede vor dem „Council of Foreign Relations“ ihre Vorstellungen von erfolgreicher Außenpolitik vorgestellt. Sie sprach über Amerikas Engagement in der Welt und von einem kooperativen Führungsansatz, der leider allzu häufig nicht funktioniere. Deshalb gelte: „Keiner Herausforderung kann ohne Amerika begegnet werden.“ Sie klang wie einer der Generäle aus dem Pentagon, als sie erklärte, in Afghanistan müssten die USA härter kämpfen. „Wenn wir das halbherzig machen, gewinnen wir gar nichts.“
Die Außenpolitikerin Clinton ist eher Interventionistin. Aber die Vereinigten Staaten blicken derzeit ohnehin vor allem in eine Richtung, nach innen. Nichts interessiert die Amerikaner nach den harten Jahren der Rezession mehr als ihre soziale Sicherheit.
Vor November, wenn die Amerikaner Teile des Kongresses neu wählen, wird sich wohl keiner der künftigen Präsidentschaftskandidaten erklären. Jene, die einen guten Zugang zu ihr haben, sagen, Clinton halte sich die Entscheidung aus taktischen Gründen offen bis ins kommende Jahr. Das Clinton-Universum soll nicht frühzeitig Schaden nehmen. Bis heute hält sich in Washington das Gerücht, dass es einen Pakt gibt zwischen Bill und Hillary Clinton, seit den harten Tagen im Oval Office 1998. Sie ertrug den Skandal um Bills Affäre mit der White-House-Praktikantin Monika Lewinsky, er unterstützt eine spätere Präsidentschaftskampagne ihrerseits. Bill Clinton nennt heute jede Spekulation um seine Frau, mit List in den Augen, „die schlimmste Zeitverschwendung“.
Obama: "Ich glaube, dass sie effektiv wäre."
Im letzten Wahlkampf hat Bill Clinton für Barack Obama gesprochen, es war ein grandioser Auftritt, der vielleicht emotionalste im ganzen Wahlkampf. Wenn es Bill Clinton gelingt, das Land für seine Frau einzunehmen, ohne sie zu überstrahlen, dann kann es zumindest in der eigenen Partei keine ernsthaften Mitbewerber geben. Auch ihr Chef und einstiger Rivale Obama erklärte in einem Fernsehinterview am vergangenen Freitag: „Wenn sie kandidieren würde, glaube ich, dass sie sehr effektiv wäre.“ Am Mittwoch zuvor hatten die beiden beim Lunch zusammengesessen.
Für die Demokraten kann ihr langes Zögern aber auch eine Gefahr sein. Die Partei wartet, bis sie ein Zeichen gibt. Auch anerkannte Parteigrößen wie Obamas Vizepräsident Joe Biden, der selbst gerne Präsident werden würde, trauen sich nicht, sich zu erklären, solange sie nicht wissen, ob sie vielleicht gegen Hillary Clinton bestehen müssen.
Bei den Republikanern erwägt derzeit Jeb Bush seine Chancen. Der ehemalige Gouverneur von Florida und sieben Jahre jüngere Bruder von George W. Bush ist der Einzige mit guten Umfragewerten. Kandidierte er, dann wäre es ein Showdown, wie ihn die Amerikaner lieben: die Clintons gegen die Bushs. Die „Huffington Post“ allerdings hat vor kurzem die Ergebnisse aller verfügbaren Umfragen und Erhebungen zusammengerechnet. Demnach liegt Hillary Clinton mit einem Vorsprung von 16 Prozent vor Jeb Bush. Es scheint also, als sei die größte Herausforderung für Hillary Clinton sie selbst.
ImVorwort zu ihren Memoiren schreibt Hillary Clinton: „Eine Sache, die für mich nie eine schwierige Entscheidung war, ist es, meinem Land zu dienen.“ War? Oder wird es so sein?
„Hard Choices“, lautet der Titel ihres Buches, schwierige Entscheidungen.
Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.