Flüchtlinge in Griechenland: Die Aktion "Abschiebung" läuft an
In Lesbos und Chios sind türkische Verbindungsoffiziere eingetroffen, die Griechenland bei der Erfassung und Abschiebung der Flüchtlinge helfen sollen. Auf Lesbos soll der "Hotspot" nach Angaben des UNHCR in ein geschlossenes Lager umgewandelt werden.
Die Operation zur Beendigung des Flüchtlingszustroms an der türkisch-griechischen Grenze in der Ägäis läuft nach und nach an. Am Montag kamen türkische Verbindungsoffiziere auf den griechischen Inseln Lesbos und Chios an. Sie sollen dabei helfen, die am Freitag geschlossene Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei umzusetzen. Der Einsatz der türkischen Verbindungsleute auf den griechischen Inseln ist Bestandteil der EU-Türkei-Vereinbarung von der vergangenen Woche.
Am Freitag hatten die EU-Staaten mit der Regierung in Ankara vereinbart, dass alle Flüchtlinge, die über keinen Asylanspruch verfügen, von Griechenland wieder in die Türkei abgeschoben werden. Die Vereinbarung, die am vergangenen Sonntag in Kraft trat, soll zur Rückführung der meisten Migranten führen – mit der Ausnahme weniger Flüchtlinge, zum Beispiel Kurden. Die Abschiebungen sollen demnächst beginnen. Gleichzeitig sollen die EU-Staaten für jeden abgeschobenen Syrer einen Syrer legal aus einem türkischen Flüchtlingslager aufnehmen.
Das Abkommen soll, so die Überlegung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrer EU-Partner, dazu führen, dass sich Flüchtlinge in Zukunft an der türkischen Küste nicht mehr in die Hände von Schleppern begeben. Am Montag pochte Innenminister Thomas de Maizière (CDU) in Berlin erneut darauf, dass den Schleppern das Handwerk gelegt werden müsse. „Das geht nur dann, wenn tatsächlich auch diejenigen, die jetzt auf die Inseln nach Griechenland kommen, zurückgeschickt werden in die Türkei“, fügte de Maizière hinzu.
Fest steht, dass zumindest am ersten Tag nach dem Inkrafttreten des Türkei-Abkommens von einer Verringerung der Flüchtlingszahlen in Griechenland keine Rede sein konnte – offenbar wirkt die Brüsseler Gipfelentscheidung zumindest kurzfristig noch einmal wie ein „Pull-Faktor“. Sprich: Viele Flüchtlinge machen sich gerade wegen der Nachricht, dass sich das Tor zur EU in der Ägäis schließt, auf den Weg nach Griechenland. Nach Angaben der griechischen Regierung von Montag kamen seit dem Vortag 1662 Menschen vor allem auf Lesbos und Chios an. Die Registrierungsstelle („Hotspot“) auf Lesbos will die Regierung von Tsipras nach den Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR derweil in ein geschlossenes Lager umwandeln.
Griechenlands Koordinator für Einwanderungspolitik, Giorgos Kyritsis, sagte, es sei ein ein „objektives Problem", dass die Flüchtlingsbewegung anhalte. Zuvor hatte der griechische Regierungschef Alexis Tsipras gesagt, dass in Hellas 2300 Experten aus anderen EU-Ländern zur Umsetzung der Brüsseler Gipfelbeschlüsse erwartet würden.
Deutschland und Frankreich wollen gemeinsam bis zu 600 Polizeibeamte und Asylexperten für die EU–Grenzschutzagentur Frontex und die europäische Asylbehörde Easo zur Verfügung stellen, um Griechenland bei der Registrierung und der Abschiebung der Migranten zu helfen. Mit Blick auf die bis zu 200 deutschen Polizeibeamten, deren Einsatz in Griechenland geplant ist, sagte der Sprecher des Innenministeriums, Johannes Dimroth, am Montag, dass Frontex Experten zur Rückführung von Migranten angefordert habe.
Im Gegenzug zur Abschiebung wollen die EU-Staaten in den nächsten Wochen bis zu 72.000 Syrer direkt aus der Türkei aufnehmen. In Berlin sagte Regierungssprecher Steffen Seibert, dass sich beim Brüsseler Gipfel 26 EU-Staaten – mit der Ausnahme der Slowakei und Ungarns – bereit erklärt hätten, „in diese Vereinbarung mit der Türkei einzutreten“.
Organisation "Ärzte der Welt" warnt vor Umwandlung der "Hotspots" in Gefängnisse
Derweil ziehen Leute wie Nikitas Kanakis ein erstes Fazit zur Umsetzung des EU-Türkei-Abkommens. „Es herrscht eine große Verwirrung", sagte der Griechenland-Chef der Hilfsorganisation „Ärzte der Welt“ am Montag dem Tagesspiegel. Kanakis hält sich derzeit auf der griechischen Insel Kastelorizo in der südlichen Ägäis auf. Dort kann er hautnah beobachten, welche Auswirkungen der EU-Beschluss vom vergangenen Freitag auf die Situation der Flüchtlinge vor Ort hat. Am vergangenen Samstag haben es noch 80 Flüchtlinge auf das Eiland drei Kilometer vor der türkische Küste geschafft, erzählt Kanakis. „Aber keiner weiß, was mit ihnen geschehen soll.“
In Griechenland rätseln viele Verantwortliche – bis hinauf zum Regierungschef Tsipras –, wie sie die Vereinbarung eigentlich umsetzen sollen. Bei einem Treffen mit dem EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos sagte Tsipras am Montag in Athen, dass sein Land nur dann das Abkommen zur Registrierung und Abschiebung der Flüchtlinge umsetzen könne, wenn die Türkei mehr zur Bekämpfung der Schleppernetzwerke unternehme. Derweil stellen sich die Mitarbeiter von Hilfsorganisationen die Frage, welche Aufgaben sie mit dem Inkrafttreten der EU-Türkei-Vereinbarung demnächst übernehmen sollen. „Wenn die Registrierungszentren auf den griechischen Inseln in Gefängnisse verwandelt werden, welche Rolle bleibt dann noch für uns?“, fragt Nikitas Kanakis von der Organisation „Ärzte der Welt“.