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Eine Debatte, die keine ist: In internationalen Medien und unter Außenpolitik-Experten wird diskutiert, ob Deutschland atomar aufrüsten sollte. Eine Phantomdebatte.
© Thilo Schmuelgen/Reuters

Atomare Aufrüstung: Deutschland will die Bombe...

...wir wissen das nur noch nicht. Warum Denkfabriken über deutsche Atomwaffen diskutieren. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Noch nicht online stellen - Nachträglich eingefügtes Zitat noch in Abstimmung

Seit Monaten geistert eine seltsame Debatte durch internationale Leitmedien und hat nun ihren Weg in die aktuelle Ausgabe des Außenpolitik-Magazins Foreign Affairs gefunden, herausgegeben von der renommierten amerikanischen Denkfabrik Council on Foreign Relations. Debattiert wird, ob sich Deutschland demnächst atomar bewaffnet. Unterstellt wird, Deutschland wolle das. Seltsam nur, dass in Deutschland darüber keiner redet. Eine Phantomdebatte, die aber als Phänomen interessant ist.

Es gebe eine deutsche Debatte über atomare Aufrüstung, schrieb der Economist

Die Debatte begann kurz nach Trumps Amtseinführung. Zu den Medien, die über ein angebliches deutsches Nachdenken über atomare Bewaffnung berichteten, gehörten die Financial Times, die Washington Post und der Economist. Die Autoren nennen immer wieder dieselben Kronzeugen: Zuerst den F.A.Z.-Herausgeber Berthold Kohler, der in einem Kommentar geschrieben hatte, wenn Trump bei seiner Anti-Nato-Linie bleibe, müsse Deutschland über atomare Bewaffnung nachdenken. Der „Economist“ berief sich außerdem auf den Präsidenten der deutschen Akademie für Sicherheitspolitik, Karl-Heinz Kamp, und auf den Politikwissenschaftler Maximilian Terhalle, der für eine atomare Bewaffnung Deutschlands eintritt und das im Januar im Tagesspiegel, im April in „Foreign Policy“ aufschrieb. Der Economist zitierte außerdem den CDU-Obmann im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, Roderich Kiesewetter, der angeblich nach Trumps Wahl mit Bezug auf die atomare Bewaffnung Deutschlands gesagt hatte, es dürfe „keine Tabus geben“. Das Magazin verbreitete so den Anschein, es handele sich nicht nur um Gedankenspiele von Außenpolitik-Experten, sondern um eine echte politische Auseinandersetzung. In Foreign Affairs nun geben Ulrich Kühn und Tristan Volpe vom Carnegie Endowment for International Peace zu, die Befürworter einer nuklearen Bewaffnung seien eine randständige Minderheit, diskutieren die Frage dann aber dennoch, als stünde eine Entscheidung an. Unter der Überschrift „Keine Atombombe, Bitte“ überlegen sie etwa, wie lange Deutschland die Bauarbeiten an Atomanlagen geheim halten könnte und stellen am Ende fest, es gebe ein „plötzliches Verlangen nach Nuklearwaffen in Deutschland“.

Eine kurze Umfrage unter Verteidigungspolitikern verschiedener Bundestagsfraktionen zeigt: Niemand sieht das als Thema. Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter, der als Zeuge des „Economist“ herhalten musste, fühlt sich richtiggehend missverstanden. Darum, Deutschland atomar zu bewaffnen, sei es ihm ohnehin nie gegangen, teilt er mit – und tatsächlich hat er auch nie von Atomwaffen für Deutschland gesprochen. Bei seiner Äußerung kurz nach Trumps Wahl im November 2016 sei es ihm darum gegangen, zu diskutieren, wie ein europäischer nuklearer Schutz organisiert und wie eine britisch-französische Nuklearkooperation finanziert werden könnte, so Kiesewetter: für den Fall – und zwar nur für den Fall – dass Donald Trump den US-Nuklearschild über Europa in Frage stellen sollte. Nun, da Trump sich ja zur Nato bekenne, US-Truppen in Osteuropa verbleiben und keine radikale Wende in der amerikanische Verteidigungspolitik zu erkennen sei, brauche man selbst darüber nicht zu sprechen.

Die Debatte soll belegen, dass Donald Trump in den internationalen Beziehungen Chaos verursacht hat

Der Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Karl-Heinz Kamp, betont, in der Bundesregierung gebe es niemanden, der die Frage einer wie auch immer gearteten deutschen Atombewaffnung auch nur andenke. Er selbst hat sich in einem Artikel für die Neue Züricher Zeitung schon öffentlich über die Debatte geärgert - und sich gegen eine deutsche atomare Bewaffnung ausgesprochen.

In der Debatte um eine stärkere Eigenständigkeit der europäischen Verteidigung spiele die Atom-Frage keine Rolle mehr, heißt es auch aus der grünen Fraktion, die das Thema ja sehr wachsam verfolgt. Einmal ganz abgesehen davon, dass Deutschland damit gegen den Atomwaffensperrvertrag und den Zwei-plus-Vier-

Vertrag verstoßen würde. Warum wird dann in Denkfabriken weiter so getan? Aus Lust an der Provokation? Als intellektuellen Fingerübung?

Trumps Wahl schien die Weltordnung zunächst grundsätzlich in Frage zu stellen. Das hatte etwas Erschreckendes, aber für viele Langzeitbeobachter offenbar auch etwas Stimulierendes. Einmal die Welt neu durchmischen! Die vermeintliche deutsche Atomdebatte wird aber auch – etwa in Foreign Affairs – als Argument gegen Donald Trump verwendet. Seht her, suggerieren die Autoren, wenn selbst die deutschen Oberpazifisten vom Dienst schon über die Atombombe nachdenken, dann herrscht wirklich Chaos – und schuld daran ist Trumps erratische Außenpolitik.

Bislang hat die deutsche Politik sich von der fiktiven Debatte nicht anstecken lassen. Auch für die Gedankenspieler ist es an der Zeit festzustellen, dass sich zunächst so radikal nichts ändert – und ihre bombige Idee aufzugeben.

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