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Der polnische Präsident Duda fuhr zuerst nach Estland. Nun kommt der Neue nach Berlin.
© dpa

Antrittsbesuch von Duda: Deutschland und Polen: Zweierlei Solidarität

Polens neuer Präsident Duda kommt nach Berlin.

Polens neuer Präsident Andrzej Duda kommt am Freitag zum Antrittsbesuch nach Berlin. Da ist ein ernstes Gespräch unvermeidbar: Wie verstehen Polen und Deutsche Solidarität? Es ist derzeit die Schicksalsfrage schlechthin für die EU. Europa erlebt eine erschreckende Entsolidarisierung, von der fairen Flüchtlingsverteilung über die gemeinsame Verantwortung für die Stabilität des Euro bis zur verlässlichen Landesverteidigung gegen äußere Feinde. Nationaler Egoismus greift um sich. Zu viele EU-Mitglieder sagen ihren Partnern: Bleibt uns mit euren Problemen vom Leib! Wie will Duda es rechtfertigen, dass Polen von den rund einer halben Million Flüchtlingen, die in der ersten Jahreshälfte Schutz in der EU suchten, nur wenige tausend aufgenommen hat? Warum möchte er keine verbindlichen Zuteilungsquoten akzeptieren?
Es ist noch nicht lange her, da hatte das Wort „Solidarität“ einen polnischen Klang – und die Polen waren zu Recht stolz darauf. Solidarnosc, die erste freie Gewerkschaft im Ostblock, spielte eine Schlüsselrolle beim Sturz der kommunistischen Diktatur. Die Europäer im Westen übten Solidarität mit dieser Solidarnosc, schickten Hilfspakete und gaben Verfolgten aus Polen Zuflucht, zu Zehntausenden. Warum erinnert Präsident Duda seine Landsleute nicht daran und ermuntert sie, Flüchtlinge aus den heutigen Notgebieten aufzunehmen?
Duda sieht das etwas anders. Er verweist darauf, dass die offiziellen Statistiken, wie viele Flüchtlinge welches EU- Land aufnimmt, nicht einmal die Hälfte der Realität spiegeln. In Polens Nachbarland Ukraine tobt ein Krieg. Tausende flüchten von dort nach Polen und bleiben, auch weil sie in Polen sprachlich besser zurechtkommen als im Westen. Zuvor hat Polen Flüchtlinge aus anderen von Russland drangsalierten Regionen wie Tschetschenien und Georgien aufgenommen. Diese Flüchtlinge tauchen in EU-Statistiken meist nicht auf.

Polen Homogenität ist Resultat des Zweiten Weltkriegs

Offen anhören sollten die Deutschen auch Dudas Vorschlag, dass Polen sich aussuchen möchte, welche Flüchtlinge es aufnimmt: ganz voran Christen, weil die Bevölkerung die am ehesten akzeptiere. Das klingt für deutsche Ohren befremdlich. Haben Verfolgte nicht Anspruch auf Hilfe, ohne Ansehen der Person? Allerdings wird nun auch in Deutschland häufiger die Frage gestellt, was eine Gesellschaft verkraften kann. Polen hat heute eine homogene Bevölkerung. Das ist eine Folge des von Deutschland entfesselten Krieges, der den multiethnischen Staat mit großen nationalen wie religiösen Minderheiten, der Polen vor 1939 war, zerstört hat, samt der Westverschiebung. Heute fallen Menschen, die nicht Katholiken sind oder eine dunklere Hautfarbe haben, dort auf. Das kann man nicht ignorieren, genauso wenig wie die Ängste der Balten vor Überfremdung nach Jahrzehnten der Russifizierung. Auch sie wehren sich gegen Flüchtlingsquoten in der EU.

Europa wird den Geist der Solidarität nur wiederfinden, wenn die EU-Mitglieder Respekt vor den jeweiligen nationalen Sichtweisen zeigen. Es hat seinen Grund, dass Dudas erste Auslandsreise nicht nach Berlin, sondern nach Estland führte: am Tag des Hitler-Stalin-Pakts. Polen misst Solidarität heute daran, wo es Verständnis und Beistandszusagen gegen ein aggressives Russland findet. Deutschland misst Solidarität an der Flüchtlingsverteilung. Polen kann mehr leisten, Deutschland auch. Nur wenn beide die Solidarität üben, auf die der Partner hofft, wird das Vertrauen wieder wachsen.

Die Tagesspiegel-Themenseite zu Flüchtlingen finden Sie hier.

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