Die Flüchtlingsdebatte: Deutschland, stark und gut
Gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik? Daraus wird nichts. Auch künftig wird Deutschland die Hauptlast tragen müssen. Je eher die Deutschen das verstehen, desto besser. Ein Kommentar.
Erzeugt von Herkules und Mutter Teresa: So muss man sich Deutschland vorstellen. Die Kraft kommt vom Vater – Exporte ohne Ende, sprudelnde Steuereinnahmen, kaum Arbeitslosigkeit. Die Güte kommt von der Mutter – Frieden schaffen ohne Waffen, Atomausstieg und jetzt die Flüchtlinge. Das Wort von der „Willkommenskultur“ klingt um die Welt. „Deutschland, ein Flüchtlingsmärchen“, heißt es in Anspielung auf die Gastfreundschaft während der Fußball-WM 2006. Auswärtige Beobachter schwanken zwischen Bewunderung und Erstaunen. Der britische Historiker Anthony Glees spottet über einen „Hippie-Staat, der nur von Gefühlen geleitet wird“. In Europa fällt es nicht leicht, die Deutschen zu verstehen. Wieder mal.
Dabei will das Kind von Herkules und Mutter Teresa nur eines – helfen. Es verfolgt weder Hintergedanken noch Eigennutz. Es hat große Ressourcen und viele Kapazitäten. „Wir schaffen das“, sagt die Kanzlerin, mahnt Flexibilität, Engagement und europäische Solidarität an. „Wenn wir vorangehen, wird eine europäische Lösung wahrscheinlicher.“ Auch Jean-Claude Juncker, der EU-Kommissionspräsident, preist Deutschland als beispielhaft und fordert die Verteilung von weiteren 120 000 Flüchtlingen über verpflichtende Quoten auf alle Mitgliedstaaten. Folgt dem Spardiktat wie in der Griechenlandkrise nun das Humanitätsdiktat zur Bewältigung der Flüchtlingskrise?
Man soll solche Analogien nicht überstrapazieren, zumal auch Angela Merkel etwas Richtiges ahnt: Gemessen an der Flüchtlingskrise war die Euro-Rettung ein Gesellenstück. Einige Fakten müssen kühl betrachtet werden: Es wird, erstens, in absehbarer Zeit kein Ende der Flüchtlingsströme geben. Afghanistan, Syrien und der Irak bleiben hochgradig instabil ebenso wie Somalia, Eritrea und andere Länder in Afrika. Schlepperbanden und Fluchtursachen zu bekämpfen, ist ein löbliches Ziel, durchschlagende Erfolge davon zu erwarten, wäre naiv. Das Gros der Flüchtlinge wird, zweitens, nach Deutschland drängen. Das liegt zum einen an der Willkommenskultur, zum anderen am Asylrecht, dem sozialen Netz und den Aussichten am Arbeitsmarkt.
Nennenswerte Hilfe ist auch nicht von Ländern außerhalb Europas zu erwarten
Deutschland wird, drittens, das Gros der Lasten tragen. Verpflichtende Aufnahmequoten wird es in Europa kaum geben, obwohl in den Verteilungsschlüssel Faktoren wie Bevölkerungszahl, Wirtschaftskraft und Arbeitslosigkeit einfließen. Die Gründe für den Widerstand anderswo reichen von fehlender Integrationstradition bis zur Angst vor dem Erstarken ausländerfeindlicher Bewegungen. Darüber mag lamentieren, wer will. Aber nur immer weiteren Druck auf europäische Länder aufzubauen, dem deutschen Beispiel gefälligst zu folgen, wird – wenn das erwünschte Ergebnis ausbleibt – vor allem antieuropäische Sentiments in Deutschland sowie antideutsche Sentiments im Rest Europas schüren.
Nennenswerte Hilfe ist, viertens, auch nicht von Ländern außerhalb Europas zu erwarten. Nach Russland, dem Paten Assads, will keiner derjenigen, die vom syrischen Diktator verfolgt wurden. Nach Saudi-Arabien wollen weder Christen noch Alawiten oder Jesiden. Und Amerika, das von extrem rechts wie links schon wieder als Hauptverursacher der Krise gebrandmarkt wird? Barack Obama könnte schon können, muss aber entsprechende Maßnahmen vor dem Hintergrund einer anhaltend scharfen Immigrationsdebatte sorgfältig abwägen.
Was bleibt, sind Tatkraft und Pragmatismus. Wenn Slowaken und Polen nur Christen aufnehmen wollen – warum nicht? Aus Syrien, Irak und Eritrea kommen viele davon. Wenn es aus der Industrie heißt, um Flüchtlinge schnell in den Arbeitsmarkt zu integrieren, müsse es Ausnahmen beim Mindestlohn geben – warum nicht? Das Land muss sich verändern, weil es sich verändern wird. Das Kind, das von Herkules und Mutter Teresa gezeugt wurde, will stark und gut sein? Bitte schön! Dazu gehört die Reife, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen und bei Frustrationen nicht gleich nach Sündenböcken zu suchen. Sollte das gelingen, wäre ein Wunder geschehen.