„Ist unsere Pflicht, die Ukraine zu unterstützen“: Deutschland liefert jetzt doch direkt Waffen an die Ukraine
1000 Panzerabwehrwaffen sowie 500 Boden-Luft-Raketen aus Bundeswehr-Beständen sollen in die Ukraine gehen. Präsident Selenskyj kommentiert: „Weiter so.“
Deutschland liefert jetzt doch Waffen an die Ukraine. Die Bundesregierung habe entschieden, 1000 Panzerabwehrwaffen sowie 500 Boden-Luft-Raketen vom Typ „Stinger“ aus Beständen der Bundeswehr zu liefern, teilte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Samstagabend mit. „Die Waffen werden so schnell wie möglich an die Ukraine geliefert.“
Bisher hatte die Bundesregierung eine Lieferung von Waffen nach Kiew abgelehnt. „Der russische Überfall auf die Ukraine markiert eine Zeitenwende. Er bedroht unsere gesamte Nachkriegsordnung“, erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). „In dieser Situation ist es unsere Pflicht, die Ukraine nach Kräften zu unterstützen bei der Verteidigung gegen die Invasionsarmee von Wladimir Putin. Deutschland steht eng an der Seite der Ukraine.“
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Nach Informationen des Tagesspiegels hatten sich am Samstag Bundeskanzleramt, Auswärtiges Amt, Wirtschafts- und Verteidigungsministerium in dieser Frage abgestimmt.
Mit der Entscheidung macht die Bundesregierung eine Kehrtwende. Die Ukraine hatte seit längerer Zeit um die Lieferung von Defensivwaffen gebeten, die Bundesregierung hatte dem aber immer wieder eine Absage erteilt, zuletzt noch am Donnerstag. Zugesagt hatte Deutschland bisher nur 5000 Helme. Sie wurden am Samstag an die ukrainischen Streitkräfte übergeben.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zeigte sich erfreut über die Ankündigung. „Deutschland hat gerade die Lieferung von Panzerabwehr-Granatwerfern und Stinger-Raketen an die Ukraine angekündigt. Weiter so, Kanzler Olaf Scholz“, schrieb Selenskyj am Samstagabend auf Twitter. „Die Anti-Kriegs-Koalition handelt!“
Der ukrainische Botschafter in Berlin würdigte die Entscheidung der Bundesregierung gar als historischen Schritt. „Wir sind froh, dass Deutschland endlich diese 180-Grad-Wende vollzogen hat“, sagte Botschafter Andrij Melnyk der Deutschen Presse-Agentur. „Ich habe meinen deutschen Freunden und der Bundesregierung immer gesagt, dass sie die schrecklichen Bilder vom Krieg in der Ukraine nicht lange ertragen werden, ohne zu reagieren und umzusteuern.“
Lange Zeit sei er mit seinen Mahnungen „nicht ernstgenommen“ worden. „Endlich sind die Deutschen erwacht und haben begonnen, richtig zu handeln.“ Melnyk hofft, dass es jetzt nicht zu spät sei. „Jetzt gilt es, die deutschen Waffensysteme schnellstens an die ukrainischen Verteidiger zu liefern.“ Die Ukraine hoffe auch auf weitere Rüstungshilfen Deutschlands. „Dieser Krieg könnte noch lange dauern. Wir alle brauchen noch einen langen Atem“, sagte Melnyk.
Außerdem wünscht er sich weitere wirtschaftliche Hilfe von Deutschland. „Wir brauchen sofort auch einen umfassenden wirtschaftlichen Rettungsplan für die Ukraine, bei dem Deutschland eine führende Rolle spielen sollte.“
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Die Bundesregierung erteilte am Samstag auch zwei EU-Staaten grünes Licht für die Lieferung von Waffen aus deutscher Produktion: Sie genehmigte den Niederlanden, 400 ursprünglich in Deutschland produzierte Panzerfäuste an die Ukraine zu liefern. Das wurde dem Tagesspiegel aus Regierungskreisen bestätigt. In solchen Fällen benötigt der betreffende Staat grünes Licht aus Deutschland.
Estland darf neun Artilleriegeschütze sowie Munition an die Ukraine weitergeben. Es handelt sich um neun Haubitzen, die noch aus Beständen der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR stammen. Die Bundesregierung hatte in den vergangenen Wochen einen entsprechenden Antrag Estlands nicht genehmigt.
Darüber hinaus billigte die Bundesregierung am Samstag die Lieferung von 14 gepanzerten Fahrzeugen aus Deutschland in die Ukraine. Diese würden für den Personenschutz und gegebenenfalls für Evakuierungen genutzt. Außerdem sollen „bis zu 10.000 Tonnen Treibstoff“ über Polen in die Ukraine geliefert werden.
„Nach dem schamlosen Angriff Russlands muss sich die Ukraine verteidigen können“, erklärten Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck (beide Grüne). (mit dpa)