Vor dem Nato-Gipfel: Deutschland ist ein sicherheitspolitisches Mündel
Die Bundesregierung muss sich endlich zum Zwei-Prozent-Ziel bekennen, schreiben Thomas Kleine-Brockhoff und Jan Techau vom German Marshall Fund in einem Gastbeitrag.
Die Garantie der Sicherheit seiner Bürger ist Kernaufgabe des Staates. Hier verbindet sich hoheitliches Handeln mit existentieller Fürsorge. Zur Fürsorge gehört aber nicht nur die Abwehr von Gefahren und Angriffen. Dazu zählt auch, quasi vorgeschaltet, die Aufklärung über bestehende und erwartbare Bedrohungen sowie über die Mittel, die zu deren Bekämpfung benötigt werden. Nur wer Bürgern die Chance zur Mündigkeit gibt, kann erwarten, dass sie zum Verteidiger ihres Gemeinwesens werden.
Seit Jahrzehnten ist dieser Diskurs in Deutschland unterentwickelt. Er gilt als politisch heikel, unfein und irgendwie unziemlich. Auch die Zwei-Prozent-Debatte über Deutschlands Beitrag zur Bündnisverteidigung, die diese Woche beim Nato-Gipfel ihren Höhepunkt erreichen dürfte, hat die Bundesregierung verstreichen lassen, ohne damit die sicherheitspolitische Mündigkeit zu befördern. Lange Zeit wollte niemand etwas von den Absprachen im Bündnis hören, dann nahmen jedenfalls Teile der Bundesregierung die eigene Selbstverpflichtung nicht ernst, nur um sie im Pointengefecht des Wahlkampfs zu missdeuten, zu missbrauchen und zu zerreden. Und nun wird sogar noch versucht, die Verteidigungsfähigkeit des Landes in die dritte Reihe neu-koalitionärer Prioritäten zu verbannen.
Doch wer der Bevölkerung die Zwei-Prozent-Verpflichtung nicht erklärt und sie nicht offensiv vertritt, der enthält ihr auch eine Debatte über die Verwendung dieser Mittel vor. Und vermeidet damit, horribile dictu, die überfällige Strategiedebatte: Was wollen wir? Wie erreichen wir es? Was brauchen wir dafür? Die Bundesregierung verweigert der Bevölkerung sogar bisher einen Plan, wie sie das Zwei-Prozent-Ziel zeitgerecht einzuhalten gedenkt. Wer sich so tief wegduckt, der erlaubt der Bevölkerung nicht einmal, die absehbaren haushaltspolitischen Zielkonflikte vernünftig zu diskutieren.
Es geht nicht darum, sich bei Trump lieb Kind zu machen
Ein täglicher Blick in die Zeitung genügt, um die Konturen der dramatisch veränderten Sicherheitslage Deutschlands zu erkennen. Wann, wenn nicht jetzt will eine Bundesregierung harte Wahrheiten aussprechen und harte Entscheidungen treffen? Wann will sie erklären, dass zwei Prozent notwendig sind, um eine kaputtgesparte Armee zu reparieren; dass zwei Prozent nicht ein Fetisch irgendwelcher Militärs sind, sondern eine Mindestanforderung fairer Lastenteilung innerhalb einer Allianz? Wann will sie die Bevölkerung wissen lassen, dass die Bundesrepublik das einzige Nato-Land ist, das eine einmal gegebene Zusage immer wieder derart in Frage stellt? Wann lässt sie die Bevölkerung wissen, dass Deutschland durch sein ständiges Zurückrudern und Lavieren in der Nato das zu werden droht, was Griechenland einst in der Eurozone war?
Gerade der Trump-Moment bietet die Chance, sich endlich ehrlich zu machen. Jahrzehntelang hat Amerika Deutschlands Sicherheit subventioniert, mit Truppen und mit Atomwaffen, die die Bundesregierung vor machtpolitischer Erpressung freihielten. Wollte man diese Subvention bei ihrem Wegfall auch nur annähernd ersetzen, dann spräche man hierzulande nicht mehr über zwei Prozent, sondern mindestens über vier Prozent. Von einer kaum aushaltbaren Diskussionen über atomare Abschreckung und Bewaffnung in Europa einmal ganz abgesehen.
Jeder weiß: es geht keineswegs darum, sich bei Donald Trump lieb Kind zu machen. Zwei Prozent liegen im ureigenen Sicherheitsinteresse Deutschlands und Europas. Und es wäre gegenüber dem Ernstfall amerikanischer Abkopplung die deutlich billigere Option.
In Wahrheit werden die zwei Prozent nicht für Donald Trump gebraucht, sondern gegen ihn. Denn sie sind eine Investition in genau jene multilaterale Ordnung, die Trump geringschätzt, offen angreift und nach Kräften zu schwächen sucht. Zwei Prozent auszugeben ist ein Beitrag zur Bewahrung dessen, was Deutschland bisher unterhalb seiner Möglichkeiten unterstützt: die Sicherheitsarchitektur Europas, die Freiheit in Frieden und Wohlstand erst möglich macht.
Thomas Kleine-Brockhoff leitet das Berliner Büro, Jan Techau das Europaprogramm des German Marshall Fund of the United States.
Thomas Kleine-Brockhoff, Jan Techau