Ende fast aller Corona-Auflagen: Deutschland begibt sich ins volle Risiko
Seit dem 1. April gilt nur noch ein Minimalschutz gegen Corona. Obwohl wir die Pandemie nicht im Griff haben. Wohin soll das führen? Ein Kommentar.
Und jetzt kommt der „Basisschutz“. Basis, Grundlage – wofür? Grundlage dafür, dass wir, also die Gesellschaft, die Corona-Pandemie im Griff haben? Haben wir nicht. Und nicht wenige sagen: Bekommen wir so auch nicht. Zu den nicht Wenigen gehören übrigens nicht wenige Bundesländer.
Durchsetzen können sie sich nicht. Was – obwohl wir den 1. April schreiben – kein Scherz ist. Vielmehr kann das bitter ernst werden.
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Denn die Sieben-Tage-Inzidenz bleibt hoch, und es ist kein Trost, dass viele Patient:innen verhältnismäßig milde Verläufe zeigen. Viele allerdings auch nicht.
Die bundesdeutschen Gesundheitsämter meldeten dem RKI, dem Robert-Koch-Institut, über all die vergangenen Tage mehr als 26.0000 Neuinfektionen. Als ob das nicht reichte für Vorsicht.
Man muss aber nicht allein den Zahlen folgen, um zu wissen: Die Politik begibt sich ins Risiko, voran die Bundespolitik, und hier vor allem – die FDP. Maßgeblich auf deren Betreiben gibt es jetzt nämlich diesen „Basisschutz“.
Basisschutz wird ein anderes Wort für Minimalschutz, auch wenn die FDP den als Freiheit des Einzelnen definiert. Denn, noch einmal: Die Corona-Zahlen bleiben hoch – doch die meisten Maßnahmen laufen aus.
Mehrere Bundesländer wollten dagegen die Einschränkungen ja beibehalten. Sie wollten eine Fristverlängerung bis Ende April. Abgelehnt. Dafür müsste das neue Infektionsschutzgesetz wieder geändert werden, mit einer Mehrheit im Bundestag.
Und die gibt es nicht, wegen – genau, wegen der Rücksichtnahme auf die Position der FDP.
Die Länder sollen entscheiden
Heißt: Ab Sonntag etwa gilt die Maskenpflicht nur noch in wenigen Einrichtungen, wie in Kliniken oder Pflegeheimen, in öffentlichen Verkehrsmitteln. Bundesweite 2G- oder 3G-Regeln entfallen. Nun verweist der Bund auf Hotspot-Regeln, die die Länder selbst einführen könnten.
Für Hotspots müsste das jeweilige Landesparlament eine besonders kritische Corona- Lage feststellen; also wenn Patienten in andere Krankenhäuser verlegt werden müssen, die Notfallversorgung gefährdet ist, planbare Eingriffe verschoben werden müssen oder Pflegeuntergrenzen unterschritten werden.
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Die Landesregierungen in Bayern, Berlin, Brandenburg, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Schleswig-Holstein haben daraufhin beschlossen, die Maskenpflicht in Geschäften, Schulen oder 2G- und 3G-Zutrittsregeln auslaufen zu lassen – weil die rechtlichen Vorgaben des Bundes vor Gerichten kaum Bestand hätten.
Kann gut sein: So gibt es in dem Gesetz keine Kriterien dafür, wann eine Überlastung der Krankenhäuser droht. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst beispielsweise hält es da für ausgeschlossen, sein ganzes Bundesland rechtssicher als Corona-Hotspot auszuweisen.
In der Praxis sieht das dann so aus (Copyright: der „Checkpoint“ des Tagesspiegel): Auf dem Weg in die Kneipe oder zum Club muss auch im leeren Bus noch Maske getragen werden („Basisschutz“), in den jetzt auch „3G“-nachweislosen Aerosolschwitzbuden nicht („Freiheit“).
Im Zeichen der Ampel
Was wiederum die Neufassung des bundesweit gültigen Infektionsschutzgesetzes bestimmt, das damit im Zeichen der Ampelregierung – SPD, Grüne, FDP – erstmals seinem Namen gerecht wird: Es schützt Infektionen.
Bundesjustizminister Marco Buschmann von der FDP hat nun schon die Länder gewarnt, bei vorschneller Anwendung der Hotspot-Regeln drohten ihnen Niederlagen vor Gericht. Nur argwöhnen umgekehrt die Länder, das sei vom Bund gewollt – siehe die Unklarheiten im Infektionsschutzgesetz.
Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg versuchen es trotzdem. Sie wollen Hotspot-Regeln bis Ende April. Ach ja, wer klagt dagegen neben der AfD? Genau, die FDP.
Anfangs war der Grund ihres Widerstands immerhin der Schutz der Verfassung. Im dritten Corona-Jahr steht fest: Der ist ausreichend. Für den Schutz der Gesundheit gilt das nicht. Das kann bitter enden, auch für die FDP.