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Ein Straßenwärter hält, hier an der Autobahn A81, ein Schild mit der Aufschrift "130" in den Händen.
© Patrick Seeger/dpa/picture alliance

Debatte um Tempolimit: Deutsche Geisterfahrten

Auf deutschen Autobahnen gibt es noch immer kein Tempolimit. Dabei gibt es kein einziges vernünftiges Argument dagegen, meint unser Kolumnist. Eine Glosse.

Eine Glosse von Lars von Törne

Kennen Sie den? Hört ein Mann beim Fahren auf der Autobahn Radio, „Achtung“ heißt es, „auf der A 1 kommt Ihnen ein Geisterfahrer entgegen!“ Sagt der Mann: „Wieso einer? Hunderte!“

Dieser Witz steht hier nicht einfach so, sondern deshalb, weil er sich vielfältig auf die deutsche Befindlichkeit anwenden lässt. Unsere berühmte Energiewende beispielsweise und ihre internationale Wertschätzung stellt er genau in den richtigen Zusammenhang. Aber auch, wenn wir ganz dicht beim Thema Autobahn bleiben, illustriert er die Lage akkurat. (Spoileralarm: Wer unbedingt volle Kanne weiterrasen will, sollte jetzt lieber was anderes lesen.)

Tempo, seufz, 130. Nur in Deutschland und in Afghanistan und Dschibuti (oder so) gibt es kein Tempolimit auf Autobahnen. Das ist noch kein vollständiger Beleg für dessen Richtigkeit, denn es könnte ja tatsächlich mal zufällig hundert Geisterfahrer geben. Aber nach vielen Jahren immer wiederkehrender Debatten ist doch wohl dies klar: Es gibt kein einziges Argument, das für die Beibehaltung des freien Rasens spricht, außer, dass ein Limit die Freiheit beschränke, eben dies tun zu dürfen, und ein paar Minuten Zeit kostet. Es senkt die Zahl der Verkehrstoten und -verletzten, mindert den Kohlendioxid-Ausstoß und verstetigt den Verkehrsfluss, weil es die Tempodifferenz zwischen den Spuren und damit die Zahl kritischer und stauträchtiger Situationen mindert. Unbestritten.

Initiative der Kirche im Petitionsausschuss

Die Pro-Argumente, die es ja gibt, sind umgebogene Contra-Argumente. Das Limit spare doch nur hundert Tote pro Jahr, heißt es, oder: Die CO2-Minderung sei nur ein Klacks gemessen an den chinesischen Kohlekraftwerken. Oder: Auf den deutschen Autobahnen ist doch eh schon überall Limit. Und, auch das noch, die gebeutelte deutsche Automobilindustrie breche final zusammen, wenn ihre Turbo-Tester keine alten Toyotas mehr im Originalbiotop in den Graben fegen dürften. Angesichts des von allen geliebten Plastiktüten-Banns und dessen rein symbolischem Effekt wird man von einer gewissen Schieflage der Debatte sprechen dürfen.

Warum also kommt das Limit nicht? Weil das freie Fahren in Deutschland eine Art Ventil ist, das die Politik nicht schließt, weil sie fürchtet, dass ihr dann die Gelbwesten um die Ohren fliegen; der Verkehrsminister der CSU ist da hart wie Karosseriestahl, obwohl auch seine Partei saftig ergrünt. Immerhin gibt es die katholische Kirche, die am gestrigen Montag den Petitionsausschuss des Bundestags mit ihrer Forderung nach Tempo 130 beschäftigt hat. Ungefähr hundert Tote weniger, das treibt die Kirche um. Recht hat sie.

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