Hommage an die viktorianische Ästhetik: "Design wird überschätzt"
Tom Dixon ist nach London zurückgekehrt, um der britischen Möbelindustrie neuen Schwung zu geben. Er liebt noch stets die Provokation, aber seine Mittel sind subtiler geworden. Er ist noch stets anders ans die anderen – und das mit Erfolg.
In der Post-Punk-Zeit schweißte er Schrott zu Stühlen in Londoner Underground-Nachtclubs. Design als Performance-Kunst. Zwanzig Jahre später wird er als einer der schlausten Professionals und einflussreichsten Designer der Welt angesehen. Nach seinen eigenen Worten macht es der Selfmade-Designer gerne auf die naive Tour. Und genau wie in den „good old days“ möchte er unbedingt die Möbelindustrie herausfordern und reformieren.
2002 gründete er sein eigenes Label „Tom Dixon“. Gerade eröffnete er in London seinen ersten Showroom für das Label – mit Restaurant und großem Studio und Bürokomplex. Es gibt Designer, die ihr Werk gerne für sich sprechen lassen. In Interviews gehen sie sparsam mit Kommentaren um. Der in Tunis geborene Halb-Brite Tom Dixon (1959) ist bekannt dafür, dass er einen glühenden Ekel vor Interviews hegt. Aber wer sich nicht allzu sehr durch seine demonstrativ uninteressierte Körpersprache vom Konzept abbringen lässt, bekommt aufregende Dinge zu hören, denn der schnell gelangweilte Dixon versteht sehr wohl die Bedeutung von starker Kommunikation.
Seit der Gründung seines Labels publiziert er jedes Jahr eine kleine Zeitung mit einem Manifest. Es ist ein untrügliches Barometer für alle, die wissen wollen, was in der Designwelt im Schwange ist. Dixon ist verrückt danach, neue Dinge auszuprobieren und schaut oft freimütig in die Zukunft. Dennoch scheint er sich momentan in einer etwas nostalgischen Phase zu befinden. In seinem neuen Showroom in einem alten industriellen Dockgebiet in West London (Portobello Dock) lässt er sich völlig durch das viktorianische industrielle Erbe der Umgebung inspirieren. Er möchte die Briten davon überzeugen, wieder selbst Möbel zu produzieren. Und setzt natürlich den Ton mit seiner eigenen Marke.
Daher posiert er in seiner jüngsten Pressekampagne als exzentrischer britischer Industriellen-Gentleman, einschließlich verschlissener Schuhspitzen und einem mächtigen Schraubenschlüssel in der Hand. Dicht bei seinen Büros baut er einen Wasserturm für seine Familie, eine jungenhafte Phantasie, die er mit den typischen „follies“ (exzentrische romantische Bauwerke) des britischen Gentlemans von damals vergleicht.
Das Tom-Dixon-Label von 2009 ist eine zeitgenössische Hommage an die viktorianische Ästhetik: nützlich, robust, ursolide und ehrlich. Dixon bezieht hiermit radikal Stellung gegen die modischen weiblichen Deko-Designtrends der vergangenen Jahre. Und er greift zurück auf sein eigenes frühestes Werk: Der brutale, naive do-it-yourself-Look der Londoner Post-Punk-Ära ist wieder zurückgekehrt.
Früher arbeiteten Sie für Habitat und für das finnische Möbelunternehmen Artek. Sie haben damit aufgehört. Offensichtlich haben Sie beschlossen, von nun an alles für die eigene Marke Tom Dixon einzusetzen. War es ein Jetzt oder Nie?
Ich habe sieben Jahre bei Habitat gearbeitet und einige Jahre bei Artek, ja. Nun will ich ,die britische Möbelindustrie voranbringen. Ich bin davon überzeugt, dass die Zeit reif dafür ist. Das Designgeschäft wurde lange genug von italienischen Firmen dominiert. Heute gibt es nur eine echte britische Firma. Nun gut, das klingt etwas arrogant. Es geht auch um mich.
Die 80er Jahre in London waren ganz andere Zeiten. Damals war für einen Designer noch alles möglich. Um erfolgreich zu sein, musste ich nur rebellieren. Ich setzte mich von der italienischen Designindustrie ab, und das kam an. Das einzige, was ich brauchte, war ein Schrotthaufen. Ich hatte ein wenig schweißen gelernt und damit kam ich weiter.
Diese Naivität ist nun nicht mehr vorstellbar. Ich habe inzwischen unheimlich viel gelernt und ich fand es an der Zeit, um in London wieder sichtbar zu sein, mit meiner eigenen Marke in meiner eigenen Stadt. Das neue Studio, der neue Showroom, das neue Restaurant mit meinem persönlichen Projekt, der Wasserturm für meine Familie ... , ich kann das alles nun auf eine viel interessantere Art und Weise anpacken als vor 20 Jahren.
"Design ist ein langweiliger Lückenbüßer für alles geworden"
Sie sagen, dass Sie sich sehr schnell langweilen. Ist das die Erklärung dafür, dass Sie mit einem Restaurant angefangen haben?
Ich fühle mich noch immer besser, wenn ich auf eine naive Art mit etwas beschäftigt sein kann. Solange ich kein Experte bin, muss ich nicht mit den Schlussfolgerungen anderer rechnen. Menschen, die es besser wissen können, haben mir schon zwanzig Mal gesagt, dass es idiotisch ist, ein Restaurant zu eröffnen. Aber ich betrachte es nicht als ein normales Restaurant. Es ist eine Kantine für meine Mitarbeiter. Und gleichzeitig ein Ort, an dem man eine Tasse Tee oder Kaffee trinken kann im Geist dessen, was wir tun.
Die Tische, das Besteck, die Tabletts, die Küchenausrüstung... ich will alles in dem gleichen Geist. Als Designer von Tischen und Leuchten bekomme ich oft Anfragen, um Kochtöpfe, Keramik, Services oder Besteck zu entwerfen. Aber darüber weiß ich zu wenig. Mit diesem Restaurant kann ich viel besser begreifen lernen, was die Menschen am Tisch brauchen und wie sie die Dinge benutzen. Ich kann alles ausprobieren. Das ist doch super?
Es war auch ein logischer Entschluss. In dem Gebäude, in dem wir nun sitzen, The Dock, dem alten Aufnahmestudio von Virgin Records, war schon einmal eine große industrielle Personalküche.
Sie sagen wohl öfter, dass Sie die einfachste Entscheidung treffen. Sie machen auch gerne Witze darüber, dass Sie faul sind. Müssen wir das wirklich glauben?
Ich bin einfach ehrlich. Es gibt Dinge, in denen ich gut bin, so wie das Starten von neuen Dingen. Aber ich bin nicht außergewöhnlich gut darin, diese Dinge auch zu Ende zu arbeiten um sie geschäftlich zu einem großen Erfolg zu bringen. Ich umgebe mich mit einem guten Team. Mit Menschen, die das für mich tun.
Viele Designer denken, dass Design an sich sehr wichtig ist. Aber ich finde Design viel interessanter, wenn man andere Anwendungsgebiete dafür findet, andere Produktionstechniken, andere Branchen – zum Beispiel ein Restaurant. Ich mag Leute nicht, die Design zu ernst nehmen. Ja, glauben Sie mir: Ich bin ziemlich faul. Ich bin produktiv und chaotisch, aber ich bringe mich für Design nicht um. Es irritiert mich maßlos, wie Menschen gegenwärtig denken, dass alles de-signt aussehen muss. Design ist ein langweiliger Lückenbüßer für alles geworden, was „aufgestylt“ ist.
Ich bin nicht davon überzeugt, dass ich in diesem Sinne ein Designer bin. Ich beschäftige mich damit, wie Dinge gemacht werden, wer sie macht, welche Materialien man verwenden kann. Ich beschäftige mich überhaupt nicht mit der Frage: Wie mache ich von einem Ding ein Design? Wie mache ich es kommerzieller, billiger, noch stromlinienförmiger ... ? Bei Habitat und Artek konnte ich einen Schritt zurückgehen. Es ging dort nicht um meine eigene Arbeit als Designer. Ich lernte, den ganzen Designsektor mit einem gewissen Abstand zu betrachten und stellte vor allem fest, dass in diesem Sektor überhaupt nicht so schlau gearbeitet wird wie in anderen kreativen Bereichen wie Musik, Film und Mode.
Ich bin schon lange davon überzeugt, dass man als Designer im Herzen eines Betriebes sitzen muss um effizient arbeiten zu können. Das ist bei Designern selten der Fall. Sie arbeiten für verschiedene Möbelhersteller und sie passen sich jedem an. Oft eine enorme Verschwendung von Energie und Talent, denn die Möbelindustrie arbeitet auf eine hoffnungslos altmodische, träge und komplizierte Art und Weise. Ich versuche also, es schlauer anzugehen. Eher so wie in Modeunternehmen.
In der Welt der Mode haben Designer ihre eigenen Label. Ihr Name klingt viel bekannter. Aber in der Welt des Designs wächst das Phänomen des Stardesigners doch auch? Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Oooh, ich bekomme davon nicht genug. (Lacht). Das Phänomen ist sehr allgemein. In jeder Branche spüren Sie diesen Hunger des Publikums nach mehr Persönlichkeit. Die Designwelt kommt damit allerdings etwas später als der Rest. Ich habe damit kein Problem. Im Gegenteil. Wenn ich in Japan bin, gebe ich Menschen Autogramme, die etwas von Design verstehen, aber in meiner eigenen Straße kommt niemand auf die Idee, mich zu fotografieren.
Das ist ein angenehmes Gleichgewicht. Stardesigner sind vor allem eine Obsession innerhalb des eigenen Sektors. Beim großen Publikum ist Philippe Starck noch immer der einzige Star. Marcel Wanders denkt, dass er ein Star ist. Karim Rashid sieht aus, als ob er ein Star wäre. Aber der Mann auf der Straße ist nicht überzeugt. Der wartet nicht auf Designstars. Das könnte sich verändern. Aber dafür wären noch sehr viele Fernsehsendungen nötig.
"Das Britische ist keine Pose"
Sie verbreiten einen Comic, in dem Sie als Superheld – oder ist es ein Anti-Held – des Designs aufgeführt werden. Ironie oder Eitelkeit?
Es ist einfach ein phantastisches Kommunikationsmittel. Statt den Rest meiner Tage mit Interviews auszufüllen, in denen ich immer wieder dasselbe sage, veröffentliche ich einen Comic. Vor zehn Jahren hatte ein Designer vielleicht ab und zu ein Interview in einer Design-Fachzeitschrift. Jetzt will jeder Interviews: die Modemagazine, die brasilianischen und die indischen Magazine.
Wenn man nach China kommt, trifft man Journalisten von Magazinen, von denen noch nie jemand etwas gehört hat und die es letztes Jahr noch gar nicht gab; aber sie haben zwei Millionen Leser. Mit diesen extremen Comics versuche ich jedermann deutlich zu machen, was ich wirklich denke. Gleichzeitig ist es eines meiner Hobbys: verschwindende Handwerke. Wissen Sie, dass Comics kaum noch gelesen werden? Jeder spielt nur noch Spielchen im Internet.
Sie kommen mit urbritischen Klischees daher. Die Marke Tom Dixon hat das Ungekünstelte des Landrover und von Fish & Chips, haben Sie in einem Vortrag in Brüssel gesagt. Passt das auch zu Ihrer Strategie der globalen Kommunikation? Ist das ein Bild von England, das heute in der ganzen Welt noch ankommt?
Darauf müssen Sie nun selbst statt meiner antworten. Man muss versuchen anders zu sein als der Rest. Darum geht es. Es gibt keine britische Möbelindustrie mehr. Das ist schön für mich. Ich kann einzigartig sein, indem ich in diese Lücke springe. Und dabei kann ich die britischen kulturellen Fundamente als Inspiration nutzen.
Das Britische ist keine Pose. Ich bin dieser Brite. Okay, ich bin vielleicht nur halb britisch in meinem Blut (als Sohn einer französisch-litauischen Mutter und eines englischen Vaters, A.d.Red.). Aber ich habe mein ganzes Leben auf dieser Insel zugebracht. Die Zwiespältigkeit, die Gentleman-Anarchisten-Attitüde, all das gehört nun mal zur DNA dieser Insel.
Wie stehen Sie zu Established & Sons, der anderen jungen, hippen britischen Marke, die gerade Furore macht? Finden Sie die inspirierend?
Ja natürlich ... sie sind sehr schlau. Ihre Kommunikation ist glasklar. Ihre Präsentationen sind erstaunlich stark. Aber ich denke, dass sie dabei sind, sich nun selbst ein Problem zu schaffen. Zu Anfang kamen sie mit einem starken Statement: Ihre ganze Kollektion sollte British Made sein. Aber das können sie nun nicht mehr durchhalten. Und sie haben französische und niederländische Designer. Sie fischen also im gleichen Teich wie die italienischen Möbelunternehmen und Vitra. Wie können sie sich dann noch als englischer Betrieb unterscheiden?
Bitte beachten Sie, ich bin natürlich sehr froh darüber, dass es sie gibt. Wir sind gute Freunde. Dank ihrer Existenz muss ich mich nicht mehr die ganze Zeit einsam auf meiner Insel fühlen (lacht).
Es kursieren merkwürdige Geschichten darüber, auf welche Weise Sie ihre eigene Wohnung einrichten. Sie sollen angeblich gar keine Möbel wollen und alles mit nackten Glühbirnen beleuchten statt mit ihren eigenen tollen Lampen.
Das ist ein kleines Missverständnis. Der Punkt ist nicht, dass ich keine Möbel will, aber ich habe keine Energie um mich die ganze Zeit mit meiner eigenen Einrichtung zu beschäftigen. In den Jahren, in denen ich noch in meinem eigenen Studio wohnte, hatte ich jede Menge meiner eigenen Möbel zu Hause stehen. Ich wohnte und arbeitete in demselben Raum. Ein irres Chaos. Das ist toll, wenn man 23 ist. Und solange man ein oder zwei Assistenten hat.
Aber ich bekam mehr Personal. Jeder ging da ein und aus. Alle saßen in meiner Küche. Das hält man nicht durch. Nun trenne ich privat und Arbeit. Mein Wasserturm ist eine ganz andere Geschichte. Ich habe einfach Lust, mit diesem Wohnraum zu experimentieren, das ist meine persönliche „folly“. Ich bin mir auch irgendwie noch nicht ganz klar darüber, wie ich ihn einrichten will, aber alles einfach mit Möbel und anderem Zeug vollstopfen scheint mir jedenfalls nicht die Lösung zu sein.
Die Welt von Tom Dixon
Als Artdirektor von Design Research Studio sind Sie mehr denn je zuvor mit Inneneinrichtungsprojekten beschäftigt, wie etwa für einige todschicke exklusive englische Clubs in London: das Paramount im West End und das Shoreditch House.
Es ist unglaublich interessant, um sich mit Interieurs statt nur mit Objekten zu beschäftigen. Man lernt viel besser zu erkennen, was auf dem Markt noch fehlt. Es hilft wirklich enorm, um ein besserer Produktdesigner zu werden. In einem Interieur kann man auch gut zeigen, was mit deinen Produkten möglich ist. Wir können nun wirklich eine Tom-Dixon-Welt zeigen. Das verstehen Menschen viel besser als einzelne Stühle.
Denken Sie nur an Philippe Starck. Erst als er damit begann, ganze Hotels einzurichten, begriffen die Menschen erst, wohin er mit dieser Zitronenpresse wollte. Und ich habe es bereits gesagt: ich tue Dinge gerne so wie jemand, der gerade anfängt.
Was finden Sie als beginnender Innenarchitekt wichtig?
Da gilt das gleiche. Ich finde, dass Design viel zu künstlich, zu glatt, zu stromlinienförmig geworden ist. Zu viel am Computer ausgedacht. Ich will dem Ganzen eine gewisse robuste Aufrichtigkeit gegenüberstellen, um den Dingen etwas mehr Menschlichkeit zu geben. Ich will raue, durchlebte Materialien und Texturen benutzen. Natürlich mag ich die dann auch mit etwas ganz künstlichem kontrastieren, etwa einer Fluor-Orange- Farbe.
Wissen Sie, was ich mich manchmal frage? Wenn ich ein halbes Jahr in einem Raumschiff sitzen müsste, was würde ich dann wirklich mitnehmen? Wenn Menschen ein Raumfahrzeug entwerfen, ist alles völlig eingebaut, abgerundet und aus Plastik. Nun, ich denke, dass ich das Louisquatorze-Schränkchen meiner Urgroßmutter mitnehmen würde. Etwas mit einer Geschichte und einer Seele. Das würde ich wirklich brauchen. Kein Plastik oder bloody Design.
Artek lancierte gerade ein Parfum, Standard, zusammen mit Comme des Garcons. Waren Sie an diesem Projekt beteiligt?
Haben Sie es schon gerochen? Ich finde es unglaublich gut. Ich kann es kaum abwarten, bis ich mein Fläschchen bekomme. Das ganze Problem mit Artek ist, dass es ein wenig ein dumpfes Alvar-Aalto-Museum geworden ist. Das Unternehmen wurde 1935 von Aalto und seiner Frau gegründet. Das waren damals Twens, Idealisten, die mit Fotografie, Poesie und sogar Sanitärentwürfen radikal erneuernd tätig sein wollten.
Aber 70 Jahre später ist sich die Mentalität von Artek erstarrt zu einem „Rühr' das Aalto-Erbe nicht an!“ Ich habe als Artdirektor versucht, daran etwas zu verändern. In Finnland befindet man sich als Möbelunternehmen in einer schwierigen Situation. Man kann Aalto nie übertreffen. Ich dachte daher, dass Artek andere Horizonte erkunden musste.
Für mich war es klar, dass das auch ohne neue Möbel gelingt. Standard ist ein Spitzenparfum. Noch vor der Markteinführung waren mehr als 1000 Flakons verkauft. Ich sehe eine große Zukunft für diese Art von Dingen: Düfte, Licht, Luftbefeuchter ... alles Dinge, die sinnlich auf uns einwirken und unsere Umgebung beeinflussen. Es ist ein Gebiet, auf dem noch sehr viel geschehen kann.
Aus dem Niederländischen übersetzt von Rolf Brockschmidt
Chris Meplon