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Erster Weltkrieg - deutsche Truppen an der Ostfront
© dpa

Jetzt – nach 100 Jahren: Der Weltkrieg und wir

Deutschland ist wider Willen wieder an Kriegen beteiligt. Trotzdem wiederholen sich 1914 und 1939 nicht mehr. Ein Kommentar.

Vor 100 Jahren: Am 28. Juni erschießt ein serbischer Attentäter in Sarajewo das habsburgische Thronfolgerpaar, am 28. Juli erklärt Österreich-Ungarn dem kleinen Königreich Serbien den Krieg, und am 1. August 1914 verkündet Kaiser Wilhelm II. vom Balkon des Berliner Stadtschlosses, er kenne nun keine Parteien und Konfessionen mehr. Nur noch wehrhafte Deutsche. Da hatte der Erste Weltkrieg begonnen. Da waren zwei Schüsse auf dem Balkan zum Anlass und Alibi für jene „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ geworden, wie sie der amerikanische Diplomat und Historiker George F. Kennan genannt hat. Ein Unheil, patriotisch bejubelt zunächst – von Paris bis Moskau.

Noch heute heißt das vierjährige Inferno der modernen Materialschlachten im Englischen und im Französischen der „Große Krieg“. Doch nach fast 20 Millionen Toten entfachte der Erste Weltkrieg immerhin die Hoffnung, die Menschheit habe ihr Fürchterlichstes nun hinter sich, es sei dies „the war to end the war“: ein Menetekel für alle Zeiten und der Krieg nicht weiter ein Mittel der Politik.

Als später Hohn wirken hierzu die Nachrichten der vergangenen Wochen. Zwar wird in diesem Jubiläumsjahr des Ersten Weltkriegs an vielen Orten mit imposanten Ausstellungen gedacht und Autoren wie Christopher Clark, Jörn Leonhard oder Herfried Münkler haben groß angelegte, verdienstvolle neue Darstellungen des europäisch-globalen Dramas der Jahre 1914–18 vorgelegt. Aber lernen wir, lernt der Mensch, das dem Menschen noch immer ungeheure Wesen, aus der Geschichte?

Mit dem Ersten Weltkrieg gingen Imperien unter, es gab Revolutionen, Bolschewismus und Stalinismus, Faschismus und Nationalsozialismus, dem ersten Krieg folgte eine noch mörderischere Katastrophe. Nicht als neuerlicher Irrtum, vielmehr als verbrecherischer Versuch einer gewaltsamen Geschichtskorrektur.

„Ich habe die Vergangenheit gesehen, ich kenne die Zukunft“, lautet eine Inschrift im Grab des vor 3300 Jahren gestorbenen Pharaos Tutanchamun. Ein Omen auch für Historiker? Dass sich Geschichte wiederhole und die Tragödie in der Reprise zur Farce mutiere, befand einst der junge Marx. Am Ende aller Geschichte wähnte uns nach dem Fall des Eisernen Vorhangs der amerikanische Optimist Francis Fukuyama. So freilich denkt 25 Jahre später keiner mehr. Geschichte hört nie auf, sie wiederhole sich sogar, doch nicht nur als Farce, sondern eher von Tragödie zu Tragödie – dies ist heute der wohl verbreitete Eindruck bei historischer Betrachtung der Gegenwart. Spätestens der Balkankrieg in den 1990er Jahren war ein Schock. Bomben, KZs und Genozide wieder mitten in Europa: eben noch unvorstellbar. Zum vermeintlichen Aufleben alter Geister aber kamen noch die neuen Formen des internationalen Terrorismus, und so ist auch Deutschland wider Willen wieder an Kriegen beteiligt.

Trotzdem wiederholen sich 1914 und 1939 nicht mehr. Europas einst verfeindete Staaten sind zumeist Bündnispartner, die Diplomatie in den Echtzeiten moderner Kommunikation hat das Primat der Politik befestigt, es regiert, trotz aller Waffenexporte, kein ungehinderter militärisch-industrieller Komplex. „Schlafwandler“, wie der Historiker Christopher Clark die Europäer und ihre Regenten der Jahre um 1914 genannt hat, sind die Politiker Europas nicht mehr. Und die Zivilgesellschaft, sie erhebt mehrheitlich ihren Weckruf gegenüber der Wiederkehr blutig blinder Geister der Vergangenheit.

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