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Das Flussbett des Alten Parana-Flusses in Argentinien während einer Dürre (Archivbild)
© dpa/AP/Victor Caivano

Kampf gegen den Klimawandel: Der Welt droht ein neues Mittelalter

Hitzewellen, Flucht aus unbewohnbaren Regionen: Vor allem ärmere Länder kämpfen mit dem Klimawandel. Doch er bedroht nicht nur die Menschen im globalen Süden.

Einsam steht der Eisbär auf seiner schmelzenden Scholle. Schlecht für ihn, dass er immer länger warten muss, bis das Eis friert und er Robben jagen kann. Aber sein Problem ist schön weit weg von uns. Zum Glück!

So sah früher unser Bild vom Klimawandel aus. Heute ist daraus ein Bewegtbild geworden: Reißende Fluten spülen Autos durch enge Gassen. Im Ahrtal, an der Erft, in Alicante und am Comer See. Menschen ertrinken. Der Klimawandel ist bei uns angekommen. Auch wir haben etwas zu verlieren.

[Lesen Sie hier mehr zur Flut im Ahrtal: Der Kampf der Überlebenden gegen die Erinnerung (T+)]

Grundsätzlich ist das klar. Aber was es wirklich bedeutet, ist immer noch schwer zu greifen. „Der Klimawandel hat das Potenzial, die Menschheit, wie wir sie kennen, auszulöschen“, warnte die frühere Generalsekretärin der Klimarahmenkonvention, Christiana Figueres, kurz vor der Klimakonferenz in Glasgow, die gerade gestartet ist. Es ist die Horrorvision eines Untergangs von Zivilisation und Demokratie.

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So schlimm wird es wahrscheinlich nicht kommen. Das Ruder der Titanic wird jetzt herumgerissen. Länder überall auf der Welt bauen die erneuerbare Energien aus. VW will bald nur noch elektrische Autos herstellen. Die Asian Development Bank hat ein Projekt gestartet, um Kohlekraftwerke in Asien aus dem Markt zu kaufen. Unvorstellbar, dass noch jemand sagen würde, Photovoltaik in Deutschland zu fördern sei „wie Ananas züchten in Alaska“ – ein schlecht gealtertes Zitat vom Chef des Energiekonzerns RWE, Jürgen Großmann, von 2012.

Demonstration für mehr Klimaschutz am 22. Oktober in Berlin
Demonstration für mehr Klimaschutz am 22. Oktober in Berlin
© Imago/aal.photo

Regionale Festungen oder Klimazuflucht im Norden

Seitdem hat sich die Welt verändert. Die Titanic wird den Eisberg wohl schrammen, aber wird nicht untergehen. Zumindest, wenn der derzeit schon vorgegebene Kurs eingehalten wird. Wenn alle Staaten der Welt ihre Zusagen beim Klimaschutz einhalten, wird die Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts zwei Grad betragen. Das hat der Climate Action Tracker berechnet, ein vom Bundesumweltministerium gefördertes wissenschaftliches Projekt. Dahinter stehen aber noch ein paar Fragezeichen. Bisher fehlt es an konkreten Beschlüssen, mit denen die ehrgeizigen Klimaziele umgesetzt werden. Realistisch ist zurzeit eine Erderwärmung von 2,7 Grad bis 2100. Was dann?

[Lesen Sie hier mehr über die COP26: Die Klimakonferenz in fünf Zahlen – das wird beim Gipfel in Glasgow wichtig (T+)]

Dann werden sich Millionen Menschen auf den Weg machen, bevor sie in ihrer Heimat verhungern oder an einer Hitzewelle sterben. Das soll keine Warnung vor Flüchtlingen sein, die uns die Butter vom Brot nehmen würden. Es ist einfach realistisch, wie der indisch-amerikanische Publizist Parag Khanna in seinem Buch „Move“ schreibt.

Klimamigration kann eine starke Dynamik entwickeln. Khanna hat in vier Szenarien beschrieben, wie sie aussehen würde. Nur eines davon, „Nordlichter“, ist positiv: Weite Landstriche, überwiegend in der nördlichen Hemisphäre, nehmen Milliarden von Migranten auf. In erneuerbare Energien wird massiv investiert.

Parag Khanna (links) bei einer Veranstaltung zur Zukunft des Westens mit der Philosophin Susan Neiman und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
Parag Khanna (links) bei einer Veranstaltung zur Zukunft des Westens mit der Philosophin Susan Neiman und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
© dpa/Maurizio Gambarini

Die Variante „Regionale Festungen“ ähnelt am stärksten dem heutige Status quo. Investitionen in saubere Energien werden aufgestockt, aber die Migration ist eingeschränkt. Die reichen Länder des Nordens sind viel zu sehr mit ihrer eigenem Kampf gegen den Klimawandel beschäftigt, als dass sie mittellosen Regionen helfen könnten.

Das dritte Szenario weist in Richtung eines „Neuen Mittelalters“, in dem sich die Regionen stark voneinander absondern und niemand mehr größere Summen in Nachhaltigkeit investiert. In einer Abwärtsspirale konfiszieren Militärs gewaltsam Energieressourcen, Wasservorräte und bewohnbare Regionen. Ein großer Teil der Weltbevölkerung stirbt bei wellenartig auftretenden Naturkatastrophen. „Die Überlebenden sammeln sich in technokratischen, feudalen Stadtregionen, die Bündnisse ähnlich der mittelalterlichen Hanse schließen, um eine reichhaltige Versorgung für ihre Bewohner zu garantieren“, schreibt Khanna.

Reiche kaufen sich Klimaoasen

Im chaotischsten Szenario schadet der Klimawandel der Weltwirtschaft. Es brechen Kriege um Wasser aus und „Scharen von Migranten machen sich in bewohnbare Regionen auf, wobei der massive Zustrom die politische Stabilität gefährdet“, heißt es in dem Buch. Die Reichen dagegen kaufen für sich und ihre Gefolgsleute Klimaoasen und errichten bewehrte Gräben um sie. Die Szenarien spielen in etwa im Jahr 2050, doch Anteile davon existieren schon heute und parallel zueinander, sagt Khanna.

Man muss aber nicht in die Zukunft schauen, um zu sehen, was beim Klimawandel auf dem Spiel steht. Die Klimawissenschaftlerin Gabriele Hegerl hat Hinweise für ein Symposium zum Thema Menschenrechte und Klimawandel gesammelt. Was in Gefahr ist? „Das Recht auf Leben“, sagt sie und erinnert an die bis zu 70.000 Toten, die eine Hitzewelle 2003 in Europa forderte. Temperaturrekorde vor allem in Italien und Frankreich kosteten Alte und Schwache das Leben.

„Hitzewellen sind die tödlichsten Wetterextreme“, sagt Hegerl. Dieses Jahr traf es den eher kühlen Nordwesten der USA und das angrenzende Kanada, wo die Menschen keine Klimaanlage haben, weil sie bisher nie eine brauchten. 1400 Tote waren zu beklagen.

Tage, an denen die sogenannte Feuchtkugeltemperatur die Fähigkeit des menschlichen Körpers übersteigt, sich abzukühlen, werden mit dem Klimawandel zunehmen. In heißer feuchter Luft entsteht dann beim Schwitzen keine Verdunstungskühle mehr und der Organismus kollabiert. Teile der Tropen können deshalb bei ungebremsten Klimawandel unbewohnbar werden, warnen Klimaforscher.

Reiche Länder wie Deutschland sind in der Lage, sich „in Maßen“ anzupassen, sagt Hegerl. Die Klimafolgen in den Tropen könnten aber sehr stark sein. Auch an den hohen Norden denkt die Wissenschaftlerin. An die Dörfer der Inuit, die von der Küste weiter ins Landesinnere verlegt werden müssen, weil die Küsten erodieren. „Für diese Menschen ist das Recht auf Kultur in Gefahr“, sagt die Expertin. Denn wenn die Erderwärmung das Meereis vermindert, wird das Zeitfenster kleiner, in dem das Reisen und die Jagd auf dem Eis möglich sind. „Damit werden traditionelle Jagdmethoden problematisch“, sagt sie.

Zahl der Todesopfer wegen besserer Vorsorge gesunken

Wetterextreme sind eine besondere Gefahr für Menschen, die in und von der Natur leben. Diese Extreme haben sich – so die UN-Organisation für Meteorologie WMO – in den vergangenen 50 Jahren verfünffacht. Das Ausmaß dieser Verwüstung ist nur schwer greifbar. Verteilt man die Schäden gleichmäßig über die Zeitspanne, betragen sie 202 Millionen Dollar am Tag. Je weiter sich die Erde erhitzt, desto öfter und desto heftiger werden solche Extremereignisse auftreten.

[Lesen Sie hier mehr zur Klimakonferenz in Glasgow: „Die Jugend drängt auf Beteiligung bei der COP26“ (T+)]

Im jüngsten Bericht des Weltklimarats IPCC sind sie alle versammelt: Häufigere Dürren – nicht auf der ganzen Welt, aber mit großer Sicherheit in Südeuropa. Längere Hitzewellen. Mehr Überflutungen durch Starkregen in anfälligen Einzugsgebieten wie schmalen Tälern. Erdrutsche am Fuß von Gletschern durch tauendes Eis und Ausbrechen von Gletscherseen. Höhere Windgeschwindigkeiten tropischer Stürme. Mehr Überflutungen an Küsten durch einen steigenden Meeresspiegel – und damit auch das Eindringen von Salzwasser ins Grundwasser. Möglicherweise eine Zunahme auch von Sandstürmen und veränderte Monsunmuster.

Ein Haus am Stadtrand von Sydney nach einem Rekordregen
Ein Haus am Stadtrand von Sydney nach einem Rekordregen
© dpa/AP/Mark Baker

Doch die WMO hat auch eine positive Botschaft: Während immer mehr Schäden auftreten, ist die Zahl der Todesopfer um ein Drittel gesunken. Die Organisation begründet das mit dem Ausbau von Frühwarnsystemen und Katastrophenmanagement. „Wir sind besser darin als je zuvor, Leben zu retten“, fasst der WMO- Generalsekretär Petteri Taalas zusammen. Das verdeutliche einmal mehr, wie wichtig es sei, sich gut auf die vielen bevorstehenden Extremereignisse vorzubereiten, so Taalas.

Das wird auch auf der Klimakonferenz in Glasgow eines der großen Themen sein: Die Ausgestaltung des Artikel 8 des Pariser Klimavertrags. Dort geht es um den Umgang mit nicht wieder gutzumachenden Schäden und Verlusten durch die Erderwärmung.

Die Grundidee ist die: Vor allem ärmere Staaten kämpfen bereits mit den Auswirkungen des Klimawandels und haben wenig Ressourcen, um mit Schäden und Verlusten umzugehen. Dabei haben sie am wenigsten zur Erderhitzung beigetragen. Nun fordern sie mehr Unterstützung von den Industrieländern. Im Kern geht es um die historische Verantwortung für den Klimawandel.

„Allerdings ist niemand daran interessiert, Schuldzuweisungen zu machen. Vielmehr geht es darum, Antworten auf ganz praktische Fragen zu finden“, erklärt Anoop Poonia vom Climate Vulnerable Forum (CVF). Das ist ein Zusammenschluss von 48 Staaten aus Asien, Afrika und Lateinamerika, die besonders anfällig für die Folgen des Klimawandels sind. Bangladesh führt derzeit den Vorsitz, der alle zwei Jahre rotiert.

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Die wichtigste Frage für die Verhandlungen auf der Klimakonferenz sei die Finanzierung, ist Poonia überzeugt. Denn derzeit fließen internationale Gelder für den Klimaschutz vor allem in Projekte zur Minderung von Emissionen und zu einem kleineren Teil auch in die Anpassung an den Klimawandel. Keine Struktur gibt es dagegen für die schnelle Bereitstellung von Mitteln im Katastrophenfall – außer die internationalen Nothilfe. Doch die ist schon heute mit den Klimaextremen überfordert.

Daher setzt sich das CVF für die Einrichtung eines eigenen Fonds für Klimaschäden ein. Ein anderer Vorschlag ist, das Mandat des Green Climate Fund, der einen großen Teil der internationalen Klimafinanzierung verteilt, zu erweitern. Neben Projekten zum Klimaschutz und der Klimaanpassung könnte dort eine dritte Säule für Verluste und Schäden eingerichtet werden.

Schäden und Verluste bisher nur Nebensache

Die Finanzierung brauche es auch deshalb besonders dringend, weil Staaten, die besonderen Klimarisiken ausgesetzt sind, schwer an Kredite kommen: „Bereits heute müssen Entwicklungsländer im Schnitt für jede zehn Dollar, die sie für Kreditzinsen zahlen, einen weiteren für Klimarisiken darauflegen. Und dieser Anteil steigt“, erklärt Poonia. Ein neuer Umgang mit der internationalen Verschuldung ärmerer Länder müsse her, ergänzt er – die Folgen der Klimakrise seien sonst kaum zu schultern.

Vorschläge zur Finanzierung von Klimaschäden gibt es einige – viel passiert ist bislang allerdings nicht. Auch jetzt, auf der COP26, wird das Thema eher als zweitrangig behandelt. So auch auf der Verhandlungsagenda: Hier findet sich kein eigenständiger Punkt zu Schäden und Verlusten. Das Gastgeberland Großbritannien widmet dem Thema zwar einen eigenen Tag – der Montag der zweiten Verhandlungswoche –, doch dabei geht es in erster Linie um Nebenveranstaltungen, nicht um hochrangige politische Gespräche.

Extreme Hitze führt zu Bränden in Nordamerika.
Extreme Hitze führt zu Bränden in Nordamerika.
© dpa/AP/Pete Caster/The Lewiston Tribune

„Viele Industrieländer haben kein Interesse daran, das Thema zu besprechen. Allen voran die USA“, kritisiert Poonia. Andere, etwa Deutschland und Europa insgesamt, würde zwar Unterstützung signalisieren, bislang habe das jedoch zu keinen neuen Maßnahmen geführt.

„Aber wir müssen abwarten, vielleicht bewegt sich auf der COP ja doch etwas“, hofft Poonia. So heißt es aus dem Bundesentwicklungsministerium, man ziele darauf ab, auf der COP „Maßnahmen voranzubringen, um drohende Verluste und Schäden vor Ort abzuwehren und abzufedern“.

Nächstes Jahr in Ägypten wird ein Abschluss erwartet

Zum Beispiel wird voraussichtlich das Santiago-Netzwerk mit Leben gefüllt, das auf der letzten COP in Madrid gegründet wurde. Dieses Netzwerk soll eine Koordinierungsstelle für Verluste und Schäden schaffen. „Das kann bei der Vorbereitung auf Extremwetterereignissen helfen oder Entwicklungsländer zu langsam voranschreitenden Schäden beraten“, sagt Laura Schäfer, die das Thema für die Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Germanwatch begleitet.

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„Allerdings wird das Netzwerk kaum in der Lage sein, im Notfall sofortige Hilfe zu leisten. Die Lücke für schnelle Unterstützung bleibt also weiterhin“, sagt Schäfer. Sie habe deshalb gemischte Gefühl mit Blick auf die Verhandlungen – es gebe einige vielversprechende Schritte, aber vieles werde zu halbherzig behandelt. Das gelte auch für den Warschau-Mechanismus für Schäden und Verluste, so Schäfer weiter. Dieser wurde 2013 auf der COP19 in Warschau gegründet und besteht bislang nur aus einem Exekutivkomittee als politischem Arm. „Ein zusätzlicher, technischer Arm wäre notwendig, um das Mandat des Mechanismus umzusetzen und Unterstützung für verwundbare Länder und Gemeinschaften im Umgang mit Schäden und Verlusten zu mobilisieren“, sagt Schäfer.

Neben diesen Schritten dürfte es vor allem darum gehen, die Verhandlungen zu Schäden und Verlusten so weit vorzubereiten, dass sie nächstes Jahr – wenn die Klimakonferenz wahrscheinlich in Ägypten stattfindet – zu einem Ergebnis führen.

Jedenfalls sei es höchste Zeit, dass das Thema in den Fokus rückt, sagt Schäfer: „Der effektiven Klimaschutz ist wichtig, aber wir waren so lange untätig, dass daneben auch der Umgang mit Klimafolgen mehr Aufmerksamkeit braucht.“ Die Länder des Climate Vulnerable Forum schlagen deshalb vor: Schäden und Verluste sollen einen festen Platz auf allen künftigen UN-Klimakonferenzen erhalten.

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