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Anfangs nahmen Friedrich Merz und Armin Laschet den Konkurrenten Norbert Röttgen nicht so Ernst, das hat sich geändert.
© REUTERS

Röttgen will es nochmal wissen: Der unterschätzte Kandidat

Mit 10.000 Euro Wahlkampfkosten an die CDU-Spitze? Norbert Röttgen hat mit der Kanzlerin und Armin Laschet Kämpfe ausgefochten - nun will er das große Comeback.

Am 18. Februar verschickt die Bundespressekonferenz um 09.26 Uhr eine kurzfristige Terminankündigung. „Kandidatur für den CDU-Vorsitz Neu!“ ist dort zu lesen, mit dem Zusatz: „Norbert Röttgen, CDU, Vorsitzender Auswärtiger Ausschuss“. Exakt eineinhalb Stunden später betritt der Mann aus Meckenheim im Blitzlichtgewitter der Fotografen das Podium.

Diese Überraschung ist ihm gelungen. Auch wenn es erstmal viele Häme gibt. Erst ist er der eitle Solokämpfer, der sein Mütchen an Kanzlerin Angela Merkel und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer kühlen will. Dann der Unterschätzte, sein Umfeld mokiert sich, dass er monatelang froh sein kann, wenn er neben Armin Laschet und Friedrich Merz überhaupt als Kandidat erwähnt wird.

„Das Verfahren hat mich nicht überzeugt. Das ist wie eine Jacke, wo man schon den ersten Knopf falsch knöpft“, sagt er an jenem Tag zum Versuch der scheidenden CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer, im kleinen Kreis einen Kandidaten zu finden. Und während sich zu dem Zeitpunkt Laschet, Merz und Jens Spahn über ihre Karrierepläne noch bedeckt halten, sagt er: „Ich bin bislang der erste und einzige, der seine Kandidatur erklärt hat. Insofern bin ich nicht der Vierte, sondern der Erste.“ Merkel attestiert er eine Politik des „Reagieren und Reparieren“. Er empfiehlt sich als der Politiker mit Weitsicht, der die Politik wirklich vom Ende her denken kann, der „Politik aus den „Augen unserer Kinder“ machen will. Seine Gegner finden das arrogant.

Der Rauswurf durch die Kanzlerin

Vielleicht hat diese Kandidatur eigentlich schon knapp acht Jahre früher begonnen, im Schloss Bellevue, als er seine Entlassungsurkunde als Bundesumweltminister in die Hand gedrückt bekam. Wie versteinert blickt die Kanzlerin geradeaus, während Bundespräsident Joachim Gauck an jenem 22. Mai 2012 die Verdienste des von ihr aus dem Kabinett geworfenen Ministers bei Energiewende, Atomausstieg, Klimaschutz und Müllrecycling würdigt. „Früher als andere haben Sie erkannt, dass es Zeit für die Energiewende ist“, sagt Gauck und erinnert auch daran, dass Röttgen einen möglichen Neustart für eine bundesweite Suche nach einem Atommüll-Endlager mit angestoßen hat.

Röttgen muss manches Mal schlucken. Er hat ein paar Tage zuvor ein Debakel erlitten als CDU-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Die CDU landete bei 26,3 Prozent; ihr historisch schlechtestes Ergebnis in NRW. Sogar, dass Röttgen nicht gerade begeistert in eine Bratwurst biss, geriet zum Politikum.

Vor allem aber sein schwerer Fehler, sich offenzuhalten, ob er auch bei Niederlage als Oppositionsführer nach Düsseldorf gehen würde. Er wollte dann lieber Umweltminister bleiben, Merkel sah keine ausreichende Autorität mehr, um die schwierige Energiewende im Ringen mit den Bundesländern durchzusetzen und warf ihn raus. Ähnlich wie ein Friedrich Merz hatte er auch gerne den Eindruck erweckt, es besser zu können als Merkel. Die Männer fielen, Merkel blieb.

Wechsel in die Außenpolitik

Nach dem Rauswurf aus dem Kabinett wartete Röttgen auf seine Chance, unter Merkel würde er nichts mehr werden, das war klar. Er fokussierte sich auf die Außenpolitik, wurde Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses.

Glänzte in Talkshows, zuletzt auch rund um die Abwahl von US-Präsident Donald Trump. Und Merkel triezte er mit immer neuen Initiativen, zum Beispiel für einen Ausschluss des chinesischen Netzwerkausrüsters Huawei beim Aufbau des 5G-Datennetzes in Deutschland.

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Da passte es noch: Umweltminister Röttgen und Kanzlerin Minister nach Atomverhandlungen im Kanzleramt
Da passte es noch: Umweltminister Röttgen und Kanzlerin Minister nach Atomverhandlungen im Kanzleramt
© DPA

Er steht für einen härteren Kurs mit China und Russland, setzt auf die Wiederbelebung des transatlantischen Verhältnisses. Und im Interview mit dem Tagesspiegel rechnete er 2019 mit ihrer Klimapolitik ab. „Wir haben die tagespolitische Opportunität und Bequemlichkeit höher gewichtet. Wir haben die Kraft nicht aufgebracht, an einem Thema dranzubleiben, das keine Konjunktur hatte, obwohl es existenziell blieb.“ Er kritisierte, es gebe „so ein Muster, Politik für den nächsten Wahltag zu machen“. Kurz vor dem Abgrund sei ein „Weiter so“ kein Rezept.

Dann kam es zu einem Comeback der Klimakanzlerin und einem Klimapaket – und Röttgen muss mit seinem Fokus aufpassen, dass er gerade den konservativen CDU-Teil nicht vergrätzt, viele Bauern fühlen sich jetzt schon überfordert. Merkel betont entsprechend zum Auftakt des virtuellen CDU-Parteitags: Es müssten immer wieder ausgleichende Antworten gefunden werden, um regierungsfähig zu bleiben - zwischen Generationen, Stadt und Land, Ökonomie und Ökologie. Das Verständnis für alle Teile der Gesellschaft und alle Facetten der Herausforderungen schütze vor vorschnellen Festlegungen und zu einfachen Antworten, „wie sie ja manch andere Parteien zur Genüge haben“.

 Bisher kein großer Partei-Netzwerker

Ansgar Lewe, Bruder des Münsteraner Oberbürgermeisters Markus Lewe kennt Röttgen seit über 30 Jahren. „Er ist einer der klügsten Menschen, die ich kenne, er hört sehr präzise zu und fragt sehr präzise nach“. Schon zu Junge-Union-Zeiten wollte er mit Röttgen Urwahlen durchsetzen. Heute wären die für Röttgen sicher der beste Weg gewesen, er wollte zunächst auch einen CDU-Sonderparteitag mit vorgeschalteter Mitgliederbefragung; so siegte er auch schon einmal gegen Armin Laschet, 2010 bei der Bewerbung um den CDU-Landesvorsitz in Nordrhein-Westfalen. Aber dann kam Corona und alles verlagerte sich ins Digitale und zu den Delegierten.

Zugleich ist das vielleicht auch Röttgens Schwäche: Er ist früher nicht als großer Partei-Netzwerker aufgefallen, der die Parteiseele streichelt, den Kümmerer gibt. Laschet ist nun schon acht Jahre nach dem Röttgen-Intermezzo Landeschef in NRW. Und er hat eine Wahl gewonnen. Im Wahlkampf um den CDU-Vorsitz versuchte Röttgen die fehlenden Seilschaften in einen Vorteil umzudrehen: „Ich bin kein Lager. Ich kann und will die gesamte Partei repräsentieren“, betont Röttgen.

Inzwischen redet er auch wieder milder über Merkel, hielt sich im Wahlkampf mit Kritik zurück, kein Wunder bei den Zustimmungswerten in der Corona-Krise, einen scharfen Bruch mit ihrer Ära will er nicht. Aber wie er - sollte er gewinnen - in der Corona-Krise eigene Akzente setzen will gegen die Kanzlerin, dürfte interessant werden. Größere Absetzbewegungen könnten gleich als Streit ausgelegt und nicht goutiert werden. Aber das Problem haben Armin Laschet und erst recht Friedrich Merz auch.

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 Was er will

Er will eine Art Agenda 2030. „Wenn wir verharren und uns auf alten Erfolgen ausruhen, dann werden andere die Zukunft gewinnen“, das Motto seiner Kampagne lautet: „Jetzt.Voran.“ Und er holte als frisches Gesichts die rheinland-pfälzische Abgeordnete als „Chef-Strategin“ in sein Team. Er bekommt viel Zuspruch gerade auch von weiblichen Mitgliedern, Demuth war als mögliche Generalsekretärin vorgesehen, aber der Verschiebungen des Parteitags und des nahenden Bundestagswahlkampfes soll der erfahrene Paul Ziemiak auf dem Posten bleiben.

Pocht auf mehr Klimaschutzpolitik bei der CDU: Fridays for Future
Pocht auf mehr Klimaschutzpolitik bei der CDU: Fridays for Future
© picture alliance/dpa

Es überrascht nicht, dass Röttgen in „Fridays for Future“-Zeiten vor allem auch bei jungen Mitgliedern ankommt. Er warnt die CDU, eine ganze Generation zu verlieren. Sein Programm umfasst neben mehr klimapolitischer Glaubwürdigkeit auch Dinge wie eine Deutschland-Dialog zwischen Ost und West, eine glasklare Abgrenzung nach rechts zur AfD, eine Politik näher am Menschen, um Ursachen für das Erstarken des Rechtspopulismus zu beseitigen. Dazu Steuerentlastungen für Normalverdiener, Stärkung des Mittelstands und eine stärkere Führungsrolle in der Welt. Aber gerade mit dem Thema Volksnähe hat der manchmal professoral wirkende promovierte Jurist früher Probleme gehabt, siehe NRW. Der Ruf des Karrieristen und der Spitzname „Muttis Klügster“ klebten lange wie Kaugummi an den Schuhsohlen. Annegret Kramp-Karrenbauer hat bei aller Kritik mit ihren Zuhörtouren und der Modernisierung der CDU, gerade auch bei der Digitalisierung, bleibende Verdiente erworben. Sie zog Lehren nach den Negativschlagzeilen im Zuge des Rezo-Videos, organisierte zum Abschluss einen hochprofessionellen digitalen Parteitag, mit dem ungewöhnlichen Motto #wegenmorgen“.

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Wahlkampf mit Koala-Bären

Auch Röttgen überraschte mit seiner Social-Media-Strategie. Zahllose Bilder, wie er zu Hause vor dem Notebook sitzt, gerne aufgebaut auf dicken Büchern, die er gerade zu lesen scheint, im Gespräch mit CDU-Mitgliedern. Videos zeigten ihn abends einsam im Büro, beim nachdenklichen Bälle werfen gegen die Wand, er postete Koala-Bilder bei Twitter und profitierte von der Schar junger Helfer im Netz. Dazu viele virtuelle „Röttgen Rallys“, mit Anleihen aus den USA. Und wirkte viel lockerer und nahbarer als früher, klapperte zahllose Kreisverbände ab. Nach elf Monaten Wahlkampf sagt Röttgen: „Ich hätte diesen Wahlkampf ohne mein Team nicht bestreiten können“. Und mit einem Seitenhieb auf die Kampagne von Friedrich Merz meint er: „Mein Team ist keine Agentur. Es besteht aus jungen Männern und Frauen, die sich bei mir gemeldet und ihre Ideen eingebracht haben. Ich danke Euch für 11 Monate Begeisterung“. Er sagt, sein Wahlkampf habe gerade einmal 10.000 Euro gekostet - wegen Corona fand das meiste virtuell statt.

Die Nacht als 2011 der Atomausstieg vereinbart wurde: Röttgen radelt vom Hof des Kanzleramts.
Die Nacht als 2011 der Atomausstieg vereinbart wurde: Röttgen radelt vom Hof des Kanzleramts.
© DPA

Die Abrechnung mit der FDP

Aber kurz vor dem Parteitag brach dann Hektik im Team Röttgen aus. „Die FDP hat ein historisches Versagen zu verantworten, indem sie sich nach zwei großen Koalitionen einem neuen Anfang und der Regierungsverantwortung verweigert hat“, sagte Röttgen der „Augsburger Allgemeinen“. „Auf eine Partei, die mal Lust hat zu regieren und dann wieder nicht, kann man sich nicht verlassen“, sagte der Außenpolitiker. „„Das sind unsichere Kantonisten, auf die ich nicht setzen würde.“

Würde er Söder zum Kanzlerkandidaten machen?

Das wurde als Absage an eine erneute schwarz-gelbe Koalition verstanden, sein Team versuchte das auf allen Kanälen zu entschärfen. Er war wie Laschet zwar zu Bonner Zeiten Teil der schwarz-grünen Pizza-Connection, aber Laschet lobte im Vorfeld die FDP, mit der gut in NRW gut regiert. Eine Steilvorlage: Die FDP zu beschimpfen halte er für einen fundamentalen Fehler. Die Aussagen von Röttgen seien gefährlich. „Das treibt alle in die Ampel hinein.“ Und legte er eine Schwachstelle offen: Manchmal Stimmungen zu unterschätzen, als Umweltminister war er zunächst im Skiurlaub, statt das Fiasko bei der Einführung des E10-Biosprits in den Griff zu bekommen, und musste sich von Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) düpieren lassen, der an ihm vorbei einen Benzingipfel einberief.

Hat viele mit seiner Aufholjagd überrascht: Norbert Röttgen.
Hat viele mit seiner Aufholjagd überrascht: Norbert Röttgen.
© imago images/Eibner

Er ist ein Gewinner des CDU-Wahlkampfes – und bisher der Einzige, der offen bereit wäre, den CDU-Mitgliedern einen Herzenswunsch zu erfüllen: Ihm gehe es um „Bestaufstellung“, sagt er. Und wenn Markus Söder weiter so weit vorn liegt, kann er ihn sich als Kanzlerkandidaten der Union vorstellen. Wenbn es ihm gelingt, im ersten Wahlgang vor Armin Laschet zu liegen und so in eine Stichwahl gegen Friedrich Merz einzuziehen ist alles möglich: Da viele unbedingt den Polarisierer Merz verhindern wollen, könnte er plötzlich Chef sein. Gut gelaunt twittert er seit Tagen CDU-Probeabstimmungen, eine ergibt folgendes: Laschet: 2,5 Prozent, Merz: 37,5 Prozent, Röttgen: 60 Prozent. „Tolles Ergebnis“ twittert Röttgen. Das Meinungsbild stammt aber lediglich von der Jungen Union Northeim.  

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