"Pegida"-Proteste: Der Umgang mit den Flüchtlingen ist eine Schande
Wieder einmal zeigt sich, dass die Angst vor dem Fremden da am größten ist, wo es keine Fremden gibt. Dabei liegen die eigentlichen Probleme ganz woanders - darin zum Beispiel, dass Flüchtlingen so viele Wege und Chancen versperrt werden. Ein Kommentar.
In Sachsen haben etwa 2,3 Prozent der Einwohner des Landes einen Migrationshintergrund. In Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt oder Thüringen sind die Zahlen nicht wesentlich höher. Sie sind typisch für fast alle Regionen der früheren DDR – wenn es dort Ausländer gab, lebten sie isoliert von der deutschen Bevölkerung, es waren hereingeholte Arbeitskräfte. Der Faktor Mensch zählte da weniger. Ganz im Gegenteil: Die SED spielte, wenn es in die Propaganda passte, sogar gerne mit Ressentiments. Als im Polen der frühen achtziger Jahre Lech Walesas „Solidarnosc“ erstarkte und polnische Touristen anfingen, die knappen Waren in den DDR-Geschäften westlich der Oder leer zu kaufen, ließ die Staatspartei gegen die „polnische Wirtschaft“ hetzen. Eine Vokabel, die eins zu eins aus dem Sprachschatz der Nazis übernommen worden war.
Woran liegt es, dass in Regionen, in denen kaum Ausländer leben, wie zum Beispiel Dresden, mehr Menschen als sonst irgendwo gegen eine vermeintlich drohende Islamisierung Deutschlands auf die Straße gehen? Woher kommt es, dass in einem europäischen Landstrich, in dem es prozentual die wenigsten Mitglieder christlicher Kirchen überhaupt gibt, die Angst vor einer Bedrohung der abendländischen Kultur und Zivilisation am größten ist? Diese Formulierung findet sich auf Protestplakaten, gezeigt bei Demonstrationen der „Pegida“ in der sächsischen Landeshauptstadt. Pegida steht für „Patriotische Europäer gegen Islamisierung des Abendlandes“.
Daran, dass es so weit kommen konnte, ist die bundesrepublikanische Politik nicht unschuldig
Wieder einmal zeigt sich, dass die Angst vor dem Andersartigen vor dem Fremden, da am größten ist, wo es keine Fremden gibt. Nur wer nicht weiß, wie die Wirklichkeit ist, lässt sich vor ihr Bange machen. Daran, dass es so weit kommen konnte, ist die bundesrepublikanische Politik nicht unschuldig. Bis zum Ende des Ära Kohl propagierten christdemokratische und christsoziale Meinungsführer unverdrossen, dieses Land sei kein Einwanderungsland. Entsprechend wurde erst mit den Gastarbeitern der ersten und zweiten Generation, dann aber auch mit den Asylbewerbern, mit den Flüchtlingen umgegangen. Von den Gastarbeitern, die ja ab 1961 wegen des Arbeitskräftemangels in ihren Herkunftsländern verstärkt angeworben wurden, vermutete, hoffte man, sie würden irgendwann wieder gehen. Erst als die gehäuften Bildungsabbrüche und das Schulversagen in der zweiten Migrantengeneration unübersehbar wurden, begann die Politik sich zu kümmern. Was blieb, ist das Vorurteil, migrantische Jugendliche wollten nicht arbeiten und spekulierten auf Hartz-IV-Karrieren.
Ist schon deren Situation eines sich auf christliche Werte berufenden Kulturstaates nicht würdig, ist unser Umgang mit den Kindern und Jugendlichen aus Flüchtlingsfamilien eine Schande. Nur zur Erinnerung: Es geht um Millionen von Menschen, die vor Bürgerkrieg und Mord und Totschlag geflohen sind. Fast ein Drittel von ihnen sind Kinder. Eigentlich sollte die Bearbeitung eines Asylantrages nicht länger als ein Vierteljahr dauern. Tatsächlich wird daraus eher ein halbes, oft dauern die Verfahren aber Jahre, in denen der Aufenthaltsstatus weder der Kinder noch ihrer Eltern klar ist.
Wie sollen sie ihre Chancen nutzen, wenn man ihnen alle Wege blockiert?
Noch bis vor wenigen Monaten durften Asylbewerber lange keine Arbeit aufnehmen – wo doch die Integration durch Arbeit für Erwachsene den Zugang in eine Gesellschaft mehr als alles andere erleichtert. Bei Kindern und Jugendliche wäre es eine schulische, dann eine Berufsausbildung. Aber die deutschen Handwerkskammern klagen, dass sie solchen Mädchen und Jungen nur schwer einen Ausbildungsplatz geben können, weil die Gefahr besteht, dass sie mitten in der Ausbildung plötzlich abgeschoben werden. Hinzu kommt, dass diese Jugendlichen keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben. Wie aber sollen sie ihre Chancen nutzen, wenn man ihnen alle Wege blockiert?
In der Wochenzeitung „Die Zeit“ beklagte jetzt der Kinderarzt Andreas Schultz, dass nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Asylbewerbern ärztliche Hilfe nur bei „akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen“ zusteht. Das Ergebnis: Kindern verfaulen die Milchzähne im Mund, sie haben langwierige Atemwegserkrankungen, aus denen sich chronische Beschwerden entwickeln. Vielleicht sollten alle, die den Untergang der abendländischen Kultur befürchten, diese Realität einmal an unseren eigenen Ansprüchen messen.
Ach ja: Die Ministerpräsidenten wollten am Donnerstag wieder mal mit der Bundeskanzlerin beraten, wie die Situation der Flüchtlinge zu verbessern wäre.