CDU-Parteivize Laschet im Interview: „Der Streit macht es allen an der Basis schwer“
CDU-Parteivize Armin Laschet spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über die Vorwürfe der CSU gegen Angela Merkel, über die Flüchtlingspolitik und die AfD.
Herr Laschet, verstehen Sie eigentlich die CSU noch?
Begrenzt.
Wo ist Ihre Obergrenze?
Ich verstehe gut, dass die CSU in ihrer Geschichte immer eigene Akzente gesetzt hat. Aber ich verstehe nicht die Dauerattacken auf die Bundesregierung, die Kanzlerin, die Parteivorsitzende und die ganze CDU. Und ich verstehe gar nicht, was der Zweck der Übung sein soll. Ich wünsche mir von der CSU, dass sie konkret benennt, welche Themen wir gemeinsam mehr nach vorne stellen sollen oder was sie ändern will. Darüber sollten wir reden. Pauschale Beschimpfungen über einen angeblichen Linksruck helfen keinem.
Wenn wir die CSU richtig verstehen, geht es ihr ums Grundsätzliche, etwa wenn Markus Söder sagt, die CDU wirke nur noch wie die Variante von Rot-Grün.
Ich lade Herrn Söder gerne einmal nach Nordrhein-Westfalen ein, wo ein Drittel der deutschen CDU-Mitglieder lebt. Wir stellen Tag für Tag Rot-Grün mit klarer Sprache in den Kernbereichen, die uns als Union am Herzen liegen und die wir besser können: Wirtschaft, Innere Sicherheit, Bildung. Bei Lichte betrachtet profiliert er sich mit dem Vorwurf des Linksrucks gegen eigene CSU-Kollegen: Die Wehrpflicht hat CSU-Verteidigungsminister zu Guttenberg ausgesetzt. Die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank, die er kritisiert, hat der frühere CSU-Finanzminister Waigel durchgesetzt. Und nach Fukushima hat die bayerische CSU-Staatsregierung den Ausstieg aus der Kernenergie als erstes Bundesland überhaupt gefordert. Der damalige Umweltminister hieß Söder. Man sollte zur gemeinsamen, erfolgreichen Geschichte stehen.
Will die CSU sich mit ihrer Kritik als Alternative zur AfD behaupten?
Das mag so sein. Ich teile die Grundthese von Franz Josef Strauß, dass auf Dauer rechts von der Union keine demokratisch legitimierte Partei entstehen darf. Das ist richtiger denn je. Aber Strauß hat in seinem Kampf gegen die damaligen „Republikaner“ nicht deren Themen und Parolen übernommen, sondern an seiner europäischen Orientierung und an seinen Prinzipien nicht rütteln lassen. Er hat den Populisten nicht nach dem Mund geredet. Das Vokabular der AfD zu übernehmen wäre falsch.
Dann aber auch konkret: Wo übernimmt die CSU Vokabular der AfD?
Sie hat nicht das Vokabular übernommen, aber sie hat den Eindruck erweckt, die Bundesregierung handele nicht nach Recht und Gesetz. Und sie wollte durch Zuspitzung besorgte Bürger von der AfD fern halten.
War das denn falsch?
Die Methode ist falsch. CDU und CSU haben in den 90er Jahren in der Debatte um das Asylrecht geglaubt, wenn man die SPD vorführt und sich selbst als Bollwerk gegen Asylsuchende darstellt, werde man Punkte machen. Das Ergebnis war, dass die „Republikaner“ mit zwölf Prozent in den Landtag in Baden-Württemberg einzogen. Und die Methode, einen europakritischen Europawahlkampf mit der Galionsfigur Gauweiler zu führen, hat auch nicht funktioniert. Populisten kann man nur stellen, indem man konsequent und klar für seine eigenen Ideen wirbt. Wir haben in NRW für mehr Europa geworben und die AfD hatte bei uns das schlechteste Ergebnis in Deutschland.
Die CSU büßt in den Umfragen anders als die CDU nicht ein, und die AfD verharrt in Bayern unter zehn Prozent!
Jedes Land ist unterschiedlich. In Bayern gibt es zum Beispiel noch die Freien Wähler. In Nordrhein-Westfalen stehen wir Tag für Tag in einer scharfen Auseinandersetzung mit Rot-Grün, weil wir den Finger in die Wunde legen: Verfünffachung der Salafisten seit Amtsantritt Rot-Grün, No-Go-Areas im Ruhrgebiet und explodierende Wohnungseinbrüche. Da schaut die Landesregierung ebenso tatenlos zu wie dabei, dass ihr Land Schlusslicht im Wirtschaftswachstum geworden ist. Im Bund ist die Lage noch mal anders. Da steht die CDU in einer Koalition mit der SPD. Da kann man nicht jeden Tag den Koalitionspartner beschimpfen. Die CSU tut jetzt so, als rede man in Berlin nur noch sozialdemokratisch daher. In Wahrheit macht die Bundesregierung genau das, was wir alle gemeinsam im Koalitionsvertrag vereinbart haben, und zwar auch die CSU.
Aber hat die CDU ein Konzept, wie sie die Wähler zurückgewinnen kann, die sich zur „Alternative“ abgewandt haben?
Das Wichtigste ist: Man darf der AfD nicht erlauben so zu tun, als wäre sie die CDU vor 30 Jahren. Die CDU Helmut Kohls war immer europäisch. Kohl hat Zäune und Grenzen abgebaut, die D-Mark abgeschafft und den Euro eingeführt. Er stand damit in der Tradition von Konrad Adenauer. Die CDU war auch immer eine Partei mit einem christlichen Menschenbild. Die Bischöfe und die Aktiven in den Pfarrgemeinden standen der CDU lange nicht mehr so nahe wie in den letzten Monaten. AfD-Wähler, das zeigen Analysen, sind eher konfessionslos. Deshalb muss man ihr auch den Anspruch nehmen, für ein „christliches Abendland“ zu stehen.
Also offensive Auseinandersetzung?
Unbedingt! Ich habe von Anfang an jede Diskussion mit der AfD gesucht. Man kann sie stellen. Wir müssen den Menschen sagen: Ja, ihr ärgert euch über manches. Es gibt Protest und Unzufriedenheit mit der großen Koalition und auch mit der Flüchtlingspolitik. Aber es geht hier um die gute Tradition von 67 Jahren Bundesrepublik. Die Tradition von Westbindung, von europäischer Orientierung, von Respekt vor anderen Religionen, auch von gesellschaftlichem Zusammenhalt, all das steht auf dem Spiel, wenn man denen folgt.
In zwei Wochen soll nun das große CDU/CSU-Versöhnungstreffen starten. Was erwarten Sie sich eigentlich davon?
Ich erwarte zunächst einmal Offenheit. Wir sollten uns offen gegenseitig sagen, was jeder an Beschwernissen hat. Und dann, hoffe ich, wird die CSU Vorschläge auf den Tisch legen, wo sie konkret eine andere Politik der Union im Bund wünscht. Ich glaube, dass bei einem Sachgespräch die Gemeinsamkeiten sehr groß sind.
Nun, die Flüchtlingspolitik …
… die Zahlen gehen runter, egal wo man die Gründe dafür sieht. Ich glaube, dass das EU-Türkei-Abkommen jetzt die Außengrenze besser schützt. Da kann man anderer Meinung sein. Aber die Deutung ist Retro, rückwärtsgewandt. Jetzt muss es um Zukunftsthemen gehen. Wenn die CSU wüsste, wie oft ich gegenüber Rot-Grün in NRW die bayerische Staatsregierung, die Innenpolitik, die Schulpolitik, die Wirtschaftspolitik als vorbildlich lobe, würde sie sich wundern.
Wolfgang Schäuble sagt, die CSU reite „Attacken gegen Angela Merkel“. Wenn die beiden in Potsdam plötzlich auf Frieden machen - wäre das nicht bloß unglaubwürdiges Schmierentheater?
Nein. Wolfgang Schäuble hat in seiner Beschreibung ja völlig recht. Anders als bei früheren Konflikten zwischen CDU und CSU, auch zwischen Kohl und Strauß, geht es diesmal nicht nur um eine Sachauseinandersetzung. Denn es gibt doch programmatisch keinen wirklichen Gegensatz. In dieser Lage erwarten hunderttausende Mitglieder, dass wir einen neuen Anfang machen. Der Streit macht es allen an der Basis schwer.
Welchen Beitrag zur Versöhnung müsste denn Angela Merkel leisten?
Die CDU-Bundesvorsitzende und ihre Stellvertreter und viele andere haben über Monate nicht geantwortet auf Attacken und keinerlei persönlichen Gegenangriff unternommen. Und man muss daran erinnern: Der CDU-Bundesparteitag, gerade auch der europäisch orientierte Landesverband NRW haben an die Kanzlerin die Erwartung gerichtet, dass sie eine europäische Lösung des Flüchtlingsproblems findet. Die CSU war anderer Meinung. Aber es gab da keinen Mittelweg, den Angela Merkel hätte gehen können. Entweder ist die Grenzschließung und der Zaun in Salzburg und Passau richtig oder die Lösung an der griechisch-türkischen EU-Außengrenze.
… der Deutschland und Europa in fatale Abhängigkeit von der Türkei bringt?
Das ist doch nicht wahr! Der Bundestag hat gerade mit seiner Armenien-Resolution gezeigt, wie unabhängig er von türkischen Befindlichkeiten handelt. Der Bundestag hat jahrzehntelang in der Regierungszeit Helmut Kohls und Gerhard Schröders eine solch klare Resolution zum Völkermord an den Armeniern nicht beschlossen. In dieser Woche haben die Abgeordneten parteiübergreifend Klartext gesprochen und das in einer Phase, wo jeder zu wissen glaubt, dass die Deutschen angeblich vom Wohlwollen Ankaras abhängig seien. Das ist eine historische Entscheidung.
Wenn Joachim Gauck nicht weiter macht, muss die Union dann einen Kandidaten aus den eigenen Reihen aufstellen?
Bevor der Bundespräsident sich nicht selbst geäußert hat, halte ich Nachfolgespekulationen für unangemessen.
Das Gespräch führte Robert Birnbaum.
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