Zivilgesellschaft in Russland: Der Protest gegen Putin macht Hoffnung
Selbst ein Wladimir Putin braucht die Unterstützung seiner Bevölkerung. Darum ist der russische Protest gegen den Krieg so wertvoll. Ein Kommentar.
Die Unterstützung des Volkes ist Wladimir Putin wichtig. Zwar sind Wahlen ohne Bedeutung, weil er als Sieger feststeht. Die Macht geht in Russland nicht vom Volke aus, sie liegt in den Händen des „nationalen Führers“, wie Putin schon lange genannt wird. Dennoch will jede Diktatur den Schein wahren, dass sie im Einklang mit dem Willen ihrer Bürger handelt. Das verleiht ihr Legitimität. Dafür braucht Putin die Unterstützung aus dem Volk.
Gegen eine mögliche Abkehr seiner Bürger hat er sich abgesichert: Die Medien sind weitgehend gleichgeschaltet, sie verbreiten nur seine Sicht. Oppositionelle lässt Putin mit allen Mitteln bekämpfen. Demonstrationen sind – offiziell wegen Corona – verboten. Umso erstaunlicher die Bilder, die am Abend der russischen Invasion in der Ukraine in Moskau, Sankt Petersburg und Dutzenden weiteren russischen Städten zu sehen waren. Tausende Menschen, vor allem junge, wagten sich auf die Straße, um für den Frieden einzutreten. Sie skandierten „Keinen Krieg!“, obwohl sie wussten, dass die Polizei brutal gegen sie vorgehen wird. Fast 2000 Menschen wurden festgenommen.
Wer in Russland demonstriert, riskiert viel. Geldbußen, Haftstrafen oder der Ausschluss von der Universität sind möglich. Große Teile der Opposition sind verstummt, sie sitzen im Gefängnis oder im Exil. Große Teile der russischen Bevölkerung sind betäubt von den Propaganda-Lügen des Fernsehens, das in diesen Tagen den Krieg gegen das Brudervolk als gezielte Operation zur „Entnazifizierung“ präsentiert.
Womöglich bringt die Invasion noch mehr in Bewegung
Vor einem Jahr hat es die letzten größeren Proteste in Russland gegeben. Selbst wenn jetzt verhältnismäßig wenig Russen für den Frieden demonstrieren, ist das ein Signal der Hoffnung. Es ist ein Lebenszeichen der Zivilgesellschaft; es gibt die Russen, die dem Kreml öffentlich widersprechen. Es gibt noch ein anderes Russland.
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Womöglich bringt die Invasion noch mehr in Bewegung. Am Donnerstag kritisierte einer der bekanntesten Rapper des Landes, Oxxxymiron, den Krieg als „Katastrophe und Verbrechen“. Er erinnerte an den Protest in den USA gegen den Vietnamkrieg. „Wir brauchen jetzt eine solche Bewegung“, erklärte er. Weitere Stars aus Kultur und Sport äußerten sich ähnlich. In einem offenen Brief wandten sich einige hundert Wissenschaftler gegen Putin.
Vor acht Jahren, als nach der Krim-Annexion eine Welle der Euphorie durch Russland schwappte, hätte kaum ein Star seine Karriere durch solche Kritik riskiert. Damals schoss Putins Beliebtheit in Russland in ungeahnte Höhen. In den vergangenen Wochen ist sie dagegen nur ganz leicht gestiegen. Vielleicht sorgt der Krieg für eine Unzufriedenheit, mit der Putin nicht gerechnet hat. Am Ende könnte sie ihn die Popularität und Legitimation kosten.