zum Hauptinhalt

EU-Schutzzölle gegen China: Der Preis ist heiß

Bisher hat sich die EU mit Schutzzöllen auf chinesische Dumpingwaren zurückgehalten. Das könnte sich jetzt ändern. Nicht nur die Gewerkschaften machen Druck.

Am 9. November ist es für die Gewerkschafter wieder Zeit, die Trillerpfeifen in Brüssel herauszuholen. Die IG Metall unterstützt gemeinsam mit der Wirtschaftsvereinigung Stahl eine Demonstration, die sich gegen ein Land richtet, das Hoffnungen und Ängste der Europäer gleichermaßen weckt: China.

In den USA können Strafzölle von 500 Prozent fällig werden

Dass sich die Demonstranten ausgerechnet Brüssel für ihren Aktionstag ausgesucht haben, hat damit zu tun, dass der Kurs der EU-Oberen gegenüber China lange Zeit von großem Entgegenkommen geprägt war. Anders als in den USA werden chinesische Produkte, die den europäischen Markt überschwemmen, nur mit niedrigen Strafzöllen belegt. In Europa gilt die „Regel des niedrigeren Zolls“. Das heißt: Wenn die Chinesen Produkte zu Dumpingpreisen auf dem europäischen Markt abwerfen, dann können sich die Europäer nur mit vergleichsweise niedrigen Strafzöllen dagegen wehren. Die Zölle bemessen sich nicht an der Dumpingspanne zwischen den chinesischen Preisen und den auf dem EU-Markt erzielten Exportpreisen, sondern nur am Schaden, der für die europäische Industrie durch die chinesische Konkurrenz entsteht – mit dem Ergebnis, dass die EU-Kommission Unternehmen aus dem Reich der Mitte auch schon einmal Strafzölle aufbrummt, die gerade einmal rund zehn Prozent des Dumpingpreises entsprechen. Zum Vergleich: In den USA können Strafzölle eine Größenordnung von 500 Prozent erreichen.

Vor allem die Stahlbranche leidet unter der EU-Praxis

Unter dieser Praxis leidet in Europa vor allem die Stahlbranche, aber auch andere Bereiche wie die Keramik-, Solar- und Textilindustrie sind betroffen. In der EU ist seit 2009 ein Fünftel der Arbeitsplätze in der Stahlindustrie verschwunden. Nach Angaben der Wirtschaftsvereinigung Stahl, welche die Stahlindustrie in Deutschland vertritt, dürften die chinesischen Kapazitätsüberhänge in diesem Jahr auf ein Rekordniveau von 430 Millionen Tonnen steigen – mit der Folge, dass die Überkapazitäten „zu einem erheblichen Teil über gedumpte und damit unfaire Exporte“ abgebaut werden.

Zu denen, die Probleme mit dieser Praxis haben, gehört Bernd Lange (SPD), der Vorsitzende des Handelsausschusses im Europaparlament. Er fordert, dass die Europäer künftig höhere Strafzölle erheben sollten – nicht nur gegenüber China, sondern gegenüber allen Staaten, die Dumping betreiben.

Am Freitag beraten die EU-Wirtschaftsminister über Anti-Dumping-Maßnahmen

Am kommenden Freitag wollen sich nun die EU-Wirtschaftsminister in der slowakischen Hauptstadt Bratislava mit der umstrittenen „Regel des niedrigeren Zolls“ befassen, die chinesische Exporteure vor schärferen Sanktionen bewahrt. Seit drei Jahren verhandeln die EU-Mitgliedstaaten ergebnislos über eine von der Kommission vorgeschlagene Verschärfung der bisherigen Regelung, die vielen heimischen Unternehmen auf dem europäischen Markt entgegenkommen würde. Allerdings blockiert eine ganze Reihe von Staaten – allen voran Großbritannien – die geplante Verschärfung.

Dass die Europäer China im Streit um die Anti-Dumping-Gesetzgebung bislang viel weiter entgegenkommen als die USA, hat noch einen anderen Grund. China gilt als Quelle für Milliardeninvestitionen in der EU – da will es Brüssel sich mit den Anlegern nicht verscherzen.

EU-Abgeordneter Lange: Möglicherweise geben Briten Widerstand auf

Inzwischen zeichnet sich aber ein härterer Kurs der EU gegenüber Peking ab. Nicht zuletzt nach dem Brexit-Votum vom Juni könnte neue Bewegung in die festgefahrenen Debatten im europäischen Wirtschaftsministerrat kommen. Der Europaabgeordnete Lange kann sich durchaus vorstellen, dass die Briten, die ohnehin um den Bestand der Stahlindustrie auf der Insel sehr besorgt sind, ihren Widerstand gegen höhere Schutzzölle aufgeben. „Vielleicht bewegt sich da ja doch noch etwas“, sagt der SPD-Mann mit Blick auf das Wirtschaftsministertreffen am Freitag. Bindende Beschlüsse sind von dem Ministerrat in Bratislava aber nicht zu erwarten, da das Treffen informellen Charakter hat.

Das Lager der Befürworter höherer Schutzzölle unter den EU-Ländern ist bereits stärker geworden, seit Wirtschaftsstaatssekretär Matthias Machnig (SPD) und sein französischer Kollege Matthias Fekl im Frühjahr die EU-Kommission zu einer schärferen Gangart gegenüber Peking aufforderten. Künftig solle die Brüsseler Behörde, forderten Machnig und Fekl, von sich aus Dumping-Vorwürfe überprüfen – und nicht erst, wenn einzelne Branchen aufschreien.

EU-Kommission wird China wohl nicht Marktwirtschaftsstatus geben

Neben dem Streit um die „Regel des niedrigeren Zolls“ gibt es noch einen zweiten Punkt, der zurzeit in der EU-Kommission und bei Industrievertretern intensiv beraten wird: die Frage, ob die EU China Ende des Jahres den Marktwirtschaftsstatus gewähren soll oder nicht. Lange Zeit war Peking davon ausgegangen, dass die EU China automatisch zum Stichtag am 11. Dezember – 15 Jahre nach dem Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) – den Marktwirtschaftsstatus verleihen würde. Noch gegen Ende des vergangenen Jahres hatte es danach ausgesehen, dass die Kommission China entsprechend aufwerten würde. Die Entscheidung wäre von erheblicher Brisanz: Falls China den begehrten Status bekäme, wäre die Verhängung von Dumping-Strafzöllen erheblich schwieriger.

Doch inzwischen hat sich das Blatt gewendet. Nachdem zahlreiche Industriezweige im vergangenen Frühjahr in Brüssel auf den Plan traten, zeichnet sich ein Umdenken in der EU-Behörde ab. Ende Oktober oder Anfang November, so wird in Brüssel gemutmaßt, wird die EU-Kommission einen neuen Vorschlag zur Bewertung Chinas vorlegen. Von einem Status als Marktwirtschaft ist darin dem Vernehmen nach keine Rede mehr. Stattdessen soll es künftig möglich sein, zur Ermittlung des tatsächlichen Preises chinesischer Exportgüter sogenannte Produktionsfaktoren – etwa Grundstoffe – wie in einem Baukasten zusammenzusetzen. Strafzölle wären demzufolge auch künftig möglich. Sie würden sich nicht nach den chinesischen Preisangaben richten, sondern nach einem anhand der Produktionsfaktoren ermittelten Index.

Auch der Brüsseler Anwalt Bernard O’Connor von der italienischen Kanzlei NCTM, der sich ausgiebig mit den chinesischen Handelspraktiken beschäftigt hat, ist der Auffassung, dass China keineswegs das erstrebte Gütesiegel verdient hat. „China ist keine Marktwirtschaft“, sagt O’Connor. Das zeige sich schon daran, dass es gegenwärtig 72 verschiedene Fünf-Jahres-Pläne in China auf verschiedenen staatlichen Ebenen und wirtschaftlichen Sektoren gebe.

Deutschland hält sich bedeckt - mit Rücksicht auf Investoren

So kritisch wie O’Connor blicken aber längst nicht alle in der EU auf China. Unter den EU-Mitgliedstaaten hat Deutschland zwischen dem Lager der China-Kritiker, das von Frankreich angeführt wird, und entgegenkommenderen Ländern wie Großbritannien eine mittlere Position eingenommen. Daran werde sich auch beim kommenden Treffen der europäischen Wirtschaftsminister nichts ändern, heißt es aus EU-Diplomatenkreisen. Berlin wolle aber in jedem Fall sicherstellen, dass es „keine Wettbewerbsverzerrungen“ gebe, heißt es den Angaben zufolge weiter.

Dass sich Deutschland in der China- Frage eher neutral verhält, hängt auch mit der unterschiedlichen Interessenlage einzelner Industriezweige zusammen: Während die Stahlindustrie einen harten Kurs gegenüber Peking verlangt, sind da die Automobil- und Chemiebranche deutlich zurückhaltender. Milan Nitzschke, der Sprecher der europäischen Industrieallianz AEGIS Europe, ist der Auffassung: „Diejenigen, die in China engagiert sind, fürchten bei allzu harten Anti-Dumping-Maßnahmen um ihre Investments. Sich deswegen aber China auszuliefern, darf keine Option sein."

Der Text erschien in der "Agenda" vom 20. September 2016, einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

Zur Startseite