Angela Merkel und Flüchtlinge: Der Pakt mit der Türkei bleibt die einzige Hoffnung
Der Türkei kommt eine Schlüsselrolle zu. Ohne ihre Hilfe wird sich die Anzahl der Flüchtlinge nicht reduzieren. Das sollten alle begreifen. Ein Kommentar.
Wenn Europa scheitert, scheitert es an seiner Uneinigkeit. Das ist die Botschaft hinter der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin am Tage vor dem nächsten Flüchtlingsgipfel der 28 EU-Staaten. Ein Adressat der Nachricht saß nicht im Plenarsaal. Aber Horst Seehofers Berliner Stadthalterin, Gerda Hasselfeldt, Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, war da, und was sie sagte, passte wie ein ergänzendes Teil zu Angela Merkels Mantra: Mit rein nationalen Maßnahmen ist das Flüchtlingsproblem nicht zu lösen, formulierte sie, je weniger europäisch der Lösungsansatz ist, desto größer wird der nationale Druck. Was wiederum den Umkehrschluss erlaubt, den sie auch benannte: Je europäischer die Lösung sein wird, desto geringer der nationale Druck, einen Sonderweg zu suchen.
Wenn Merkels Prämisse richtig ist, wird es für sie beim Brüsseler Gipfel vor allem darauf ankommen, möglichst viele der übrigen 27 EU-Staaten von jenem Plan zu überzeugen, der der Türkei eine entscheidende, eine Schlüsselrolle bei der Lösung des Flüchtlingsproblems zuweist. Von großer Bedeutung für den Erfolg wäre die allgemeine Bereitschaft, sich ehrlich zu machen. Ein Blick auf die Landkarte genügt, um zu begreifen, dass es ohne die Türkei, das Hauptdurchgangsland der Flüchtlinge aus dem mittelöstlichen Raum, keine Reduzierung der Zahl der Asylsuchenden geben wird.
Die Blockade ist keine Lösung
Dass der türkische Präsident Erdogan wegen seines mangelhaft ausgebildeten Demokratieverständnisses alles andere als ein idealer Partner für solche Vereinbarungen ist, ist leider nur zu wahr. Die Kanzlerin hat aber, wie auch andere Koalitionsredner, darauf verwiesen, dass die Türkei weit mehr als zwei Millionen Syrien-Flüchtlingen einen sicheren Aufenthalt garantiert, während es dem so viel größeren demokratischen Europa nicht zur Ehre gereicht, schon bei der Verteilung von 160 000 Flüchtlingen gescheitert zu sein.
Dass der bayerische Ministerpräsident wie der Geist, der stets verneint, nun das Schreckgespenst einer visafreien Einreise von 75 Millionen Türken an die Wand malt, während er vorher davor warnte, dass Europa durch die Flüchtlinge überrollt wird, ist ein neuerliches Indiz für seine Entschlossenheit, die Bundeskanzlerin so lange zu desavouieren, bis sie vor ihm zu Kreuze kriecht und sich zu einer exakt definierten Obergrenze der Flüchtlingszahl bekennt.
Tatsächlich hat sich Merkel längst von ihrer geradezu sorglosen Offenheit in dieser Frage im vergangenen September verabschiedet. Es ist vermutlich nichts als taktische Klugheit, wenn sie Seehofer nicht offen bittet, doch einmal seinen Vorschlag für eine Problemlösung auszubreiten.
Dass die Blockade der Westbalkanroute – von der Deutschland jetzt profitiert – keine Dauerlösung ist, zeigt die Karte. Solange im syrischen Krieg, der alles andere als ein Bürgerkrieg ist, gehungert und gestorben wird, suchen Menschen Fluchtwege. Bis die Genfer Friedenskonferenz zu einem Erfolg und zum Ende der Kämpfe führt, bleibt der europäische Pakt mit der Türkei die einzige Hoffnung. Wenn Angela Merkel dafür eine Koalition der Willigen findet, deren Länder am Ende auch bereit sind, Kontingente der Flüchtlinge aufzunehmen, wird ihr der Beifall sicher sein. Dazu muss sie aber jetzt noch viel Überzeugungsarbeit leisten. Das Verfahren, von Gipfel zu Gipfel nur ein Stückchen weiterzukommen, ist jedenfalls an sein Ende gelangt.